von Trixie » Mi 25. Aug 2010, 13:41
Hallo alle,
wie schon im Schnäppchen-Thread erwähnt, komme ich mit The Alchemy of Murder nur langsam voran - das soll nichts über die Qualität dieses Buches sagen, denn es ist nicht zu leugnen, daß der Roman solche hat: Carol McCleary muß wirklich lange und ausgiebig recherchiert haben, schafft sie es doch, die historische Person der Nellie Bly absolut überzeugend und glaubwürdig herüberzubringen. Genau so könnte ich mir vorstellen, daß diese Journalistin gewesen und ihre Artikel angegangen ist und eben gelebt hat.
Ebenso zeichnet sie die Städte New York, London und Paris der Jahre 1885-89 (in diesen Jahren spielt der Roman) sorgfältig nach und gibt dem Leser viele interessante Fakten über Ereignisse und Personen, die damals eine Rolle spielten (z.B. zu der Situation der arbeitenden Frauen, zu Prostitution oder die Einrichtungen für Geisteskranke, ebenso wie zu Joseph Pulitzer, der bei The World Nellies Arbeitgeber ist, oder zu Louis Pasteur, der sich gerade mit seinen 67 Jahren noch einmal auf die Suche nach jenem Erreger macht, der Paris zur Zeit der Weltausstellung in seinen Klauen zu haben scheint). Tatsächlich schreibt McCleary über alle Ereignisse und Personen so realistisch, daß ich persönlich schon gewisse Schwierigkeiten habe abzugrenzen, was noch gesicherte Historie ist und wo die Fiktion anfängt. Ich muß zu sehr vielen Punkten meine Nachschlagewerke oder das Internet bemühen, wenn mal wieder ein Detail oder eine Info meine Neugier weckt - sicher auch ein Grund, warum ich so langsam vorankomme.
Ein anderer Grund ist aber unbedingt auch die Atmosphäre, der Grundton des Romans, von dem ich bislang einen sehr bedrückten, freudlosen Eindruck habe. Natürlich sind Themen wie die Ausbeutung der Arbeiterklasse, insbesondere die Ausbeutung und Benachteiligung der arbeitenden Frauen, der Umgang mit Geistesstörungen (alles Themen, die die engagierte investigative Journalistin Nellie Bly aufgegriffen hat), anarchistische Strömungen des späten 19. Jahrhunderts in Frankreich, bedrohliche Epidemien und natürlich ein Serienmörder von Haus aus keine heiteren Themen. Aber in ihrem Bemühen, eine möglichst realistische Wiedergabe der damaligen Welt zu erreichen, ignoriert McCleary leider völlig, daß es auch schöne und freudige Aspekte gegeben haben muß. Auf deren Erwähnung im Roman warte ich noch. Auch entdecke ich bislang nicht viel Humor in ihrem Stil und kann nur hoffen, daß sich das noch ändert - einen fast 600 Seiten starken Roman kann ich sonst nämlich wirklich nur streng dosiert zu mir nehmen.
Außerdem verwirrt die Erzählung in der ersten Person Gegenwart (!) immer wieder. Überwiegend erzählt natürlich Nellie in ihrem Tagebuch (das soll ja angeblich in einem Abrißhaus gefunden worden sein), aber selbst für Tagebucheinträge finde ich die Wahl der Erzählzeit "Gegenwart" sehr ungewöhnlich. Dann gibt es Rückblenden zu ihrer eigenen Geschichte, die in der passenden Vergangenheitsform wiedergegeben werden, und schließlich werden noch andere Erzählstränge in der 3. Person (aber ebenfalls Gegenwart) eingefügt. Für mich persönlich gewöhnungsbedürftig...
Eine schöne Note sind die im Buch enthaltenen (ich vermute zeitgenössischen) Zeichnungen und Photographien, die in regelmäßigen Abständen die Romanhandlung begleiten.
Das vorläufige Fazit lautet erstmal: informativ, historisch detailiert und korrekt -bis auf den fiktiven Teil, zu dem manchmal sehr schwer die Grenzen zu entdecken sind. Dieses geradezu nahtlose Verweben von historischem Fakt und literarischer Fiktion ist gelungen und faszinierend, der Inhalt durchaus spannend. Aber bislang eben auch überwiegend düster. Sicher kein Roman, der mal schnell zwischendurch verschlungen werden kann oder sollte.
Gruß,
Trixie
Ich lese gerade:
Ann Myers: Cinco de MayhemViel lesen und nicht durchschauen ist viel essen und nicht verdauen.Rätselforum
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