Alain Claude Sulzer: Ein perfekter Kellner

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Alain Claude Sulzer: Ein perfekter Kellner

Beitragvon Fevvers » Sa 19. Feb 2011, 02:21

Hallo JMaria u. Rachel,

ich lese seit gestern - endlich, das Buch steht schon lange in meinem Regal - "Ein perfekter Kellner" von Alain Claude Sulzer.

@JMaria: Hast Du den Roman schon gelesen?

Ich habe nun etwas mehr als die Hälfte gelesen und meine Eindrücke sind bisher wechselhaft. Der Einsteig in die Geschichte fiel mir leicht, dann jedoch stellte mich die phasenweise redundante Erzählweise aus der Perspektive Ernestes zuweilen auf eine harte Probe. Desgleichen die Trostlosigkeit seiner Situation, auch noch 30 Jahre später.

Bislang finde ich die Passagen am eindrücklichsten, die im Vergleich dazu verhaltener erzählt sind. Z.B. Jakobs charakterliche Verwandlung nach seinem Aufenthalt in Köln. Oder auch die sinnlichen Szenen: der Besuch bei der Schneiderin; der erste leidenschaftliche Kuss.

Grandios die Szenen, in denen Erneste sich fragt, ob er die Briefe Jakobs öffnen soll; wie er versucht sich vorzustellen, was darin steht; über ein mögliche Antwort reflektiert. Und dann kommt doch alles ganz anders.

Ich weiß noch nicht, was ich von den Thomas Mann-Bezügen zu halten habe. Einige sind mir etwas zu dick aufgetragen, z.B. der Bericht über die Rede Klingers wider die nationalsozialistischen Machthaber in Dtld. Andere dagegen gelungen, etwa wenn das Auftreten der Familie Klinger als eine Mischung aus Spießbürgertum und Bohème geschildert wird.

Insgesamt aber eine auch sehr spannende Geschichte.
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Re: Alain Claude Sulzer: Ein perfekter Kellner

Beitragvon Britti » Sa 19. Feb 2011, 18:21

Hallo liebe Fevvers.

Zu dem perfekten Kellner kann ich nicht sagen, aber ich habe gerade entdeckt das du ebenfalls den Herrn der Ringe die Gefährten liest. Und dann auch noch die alte Klett Cotta Übersetzung. WOW. Viel Vergnügen damit :)
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Re: Alain Claude Sulzer: Ein perfekter Kellner

Beitragvon JMaria » So 20. Feb 2011, 11:00

Hallo Fevvers,

dann lass ich mich von dir anspornen und habe die ersten 42 Seiten gelesen.

Dass es darin Thomas Mann Bezüge gibt, habe ich nicht gewußt. War das vom Autor bewußt so konstruiert?

ein sehr gewagtes Unternehmen! ;-)

Kannst du mir deinen Eindruck über die redundante Erzählweise näher erklären? Mir fiel auf den ersten 40 Seiten nichts dergleichen auf. Oder meinst du damit, dass sich nach Erhalt des Briefes, die Vergangenheit und Gegenwart um den Brief dreht und immer wieder darauf zurückkommt?

der Einstieg in die Geschichte fand ich sehr angenehm und die Rückblenden fügen sich gut ein, denn meist habe ich Probleme mit Geschichten mit Rückblenden, doch hier, kommt man immer zu einem zentralen Punkt (Brief) zurück und schweift wieder weg. Das gefällt mir, ergibt es einen gleichmässigen Erzählfluß.

ich bin gespannt, wie es weitergeht, denn Jakobs Bitte ist ja ganz schön dreist.

einen schönen Sonntag wünscht dir
Maria
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Re: Alain Claude Sulzer: Ein perfekter Kellner

Beitragvon Rachel » So 20. Feb 2011, 14:40

Hallo Fevvers, hallo Maria,

schön, dass ihr beide nun ebenfalls zu "Ein perfekter Kellner" gegriffen habt.

Fevvers, schade, dass Du nicht ganz so angetan bist bisher. Was eine redundante Erzählweise angeht, mir ist ehrlich gesagt nichts dergleichen aufgefallen. Ich mochte, dass die Geschichte zeitlich immer wieder hin und her springt und immer wieder zu dem Brief zurückkehrt. Besonder gelungen fand ich die Szenen in diesem Hotel kurz vor Ausbruch des zweiten Weltkrieges, wie der Autor die Stimmung dort einfängt, das fand ich großartig. Auch die Beziehung des Ich-Erzählers zu Jacob. Für mich hat sich auch Ernestes aktuelle Situation ganz automatisch aus seiner Perönlichkeit und seiner Vergangenheit entwickelt. Er war ja schon ein Einzelgänger, als er Jacob kennen lernte, die völlige Entwurzelung von seiner Familie...

Was die Thomas Mann-Bezüge betrifft, mich hat das keineswegs gestört. Der Autor hat sich offensichtlich bei der Figur Klingers in einigen Aspekten von Thomas Mann inspirieren lassen, das ist für mich aber absolut legitim. Ich wüsste auch überhaupt nicht, wie der Autor über eine ähnlich gelagerte Figur hätte schreiben sollen, ohne dass man als Leser automatisch an Thomas Mann denkt. Da stören mich einige eindeutigere Bezüge, wie die schon erwähnte Rede, überhaupt nicht. Im Gegenteil macht es deutlich, dass der Autor sich gewisser Ähnlichkeiten bewusst ist und dazu steht. Genug weicht dann ja auch wieder vom Leben Thomas Manns ab, so dass es für mich bei einer Inspiration bleibt.

Maria, Dir weiterhin viel Vergnügen mit dem Buch, ich bin schon auf deine abschließenden Eindrücke gespannt.
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Re: Alain Claude Sulzer: Ein perfekter Kellner

Beitragvon Fevvers » So 20. Feb 2011, 15:06

Hallo Maria und Rachel,

ich finde Sulzers Erzählstil redundant. Er arbeitet sehr viel mit Wiederholungen. Um ein Beispiel vom Anfang aufzugreifen: "Er hatte Zeit,... Er ließ sich zwei Tage Zeit. ... Indem er ihn nicht öffnete, hielt er die Zeit an. ... Die Zeit, die er anhielt,..."

Es kommt hier zum Ausdruck, in welchem Schwebezustand sich der Protagonist befindet, was der unerwartete Empfang des Briefes, quasi ein Brief aus seiner Vergangenheit, auslöst. Mich ermüdet das aber sehr schnell. Es passt jedoch immer gut an den Stellen, wo dargestellt wird, wie Ernestes Gedanken um ein Thema kreisen. Genau da, wo sich Vergangenheit, Gegenwart und mögliches zukünftiges Handeln vermischen.

Mein Gesamteindruck ist durchaus positiv. Ich mochte die Melancholie, die über dem ganzen liegt. Das letzte Drittel des Romans hatte sehr viele intensive Szenen. Das zweimalige Zusammentreffen von Erneste und Klinger etwa, das war eindringlich (und stringent) erzählt und emotional ergreifend.
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Re: Alain Claude Sulzer: Ein perfekter Kellner

Beitragvon JMaria » So 20. Feb 2011, 16:49

Fevvers hat geschrieben:
ich finde Sulzers Erzählstil redundant. Er arbeitet sehr viel mit Wiederholungen. Um ein Beispiel vom Anfang aufzugreifen: "Er hatte Zeit,... Er ließ sich zwei Tage Zeit. ... Indem er ihn nicht öffnete, hielt er die Zeit an. ... Die Zeit, die er anhielt,..."


Hallo zusammen,

@Fevvers,
ich sehe du hast bereits geantwortet auf meine Frage, vielen Dank. Während ich heute nachmittag weitergelesen habe (ca. S. 100), habe ich ein Gefühl für die Wiederholungen bekommen und mir stieg eine Ahnung auf was du damit gemeint haben könntest. Dein obiges Beispiel bestätigt mir das. Solche Wortwiederholungen kommen wirklich regelmässig vor. Jedoch hätte ich es jetzt von alleine nicht definieren können, vermutlich nicht mal bewußt bemerkt.

Somit ein Danke schön fürs Aufmerksam machen. Es kommt mir auch so vor, als ob der Autor gerne Chiasmen verwendet, um eine Formulierung einprägsamer zu machen, zumindest Eine ist mir bewußt aufgefallen und ich werde nun vermehrt darauf achten, denn auffallend war es schon:

S. 90 (Suhrkamp TB)
Stirbt die Liebe, kommt der Tod, kommt die Liebe, stirbt der Tod.

ich finds sehr interessant, auch mal vermehrt auf den Stil zu achten. Ohne deine Aufmerksamkeit wäre das mir entgangen. :-)

@Rachel,
bisher gefällt mir das Buch sehr gut. Im Gegensatz zu Fevvers ermüdet mich der Stil der Wortwiederholung, der eine schwebende Handlung hervor ruft, nicht. Es macht mich sogar etwas atemlos, gerade weil ich Erneste am liebsten anstossen würde. Der Stil ist bemerkenswert.

Ob sich der Autor die Th. M. Bezüge hätte sparen können?

mal sehen ....

Edit:
ich frage mich, warum es wichtig ist ein perfekter Kellner sein zu wollen? ( der Unsichtbarkeit wegen? )



Fevvers hat geschrieben:Desgleichen die Trostlosigkeit seiner Situation, auch noch 30 Jahre später.


ja, er nimmt es so gleichmütig/gleichgültig an. Ein Glücksmoment in 30 Jahren. Zu seinem Leben finde ich diesen Satz passend auf der S. 15 (Suhrkamp TB):

...Die schöneren Zimmer des kleinen Hotels waren leider besetzt gewesen, so daß er keinen Blick aufs Meer gehabt hatte, das aber Tag und Nacht zu hören war.

nie so recht nah dran am Leben, oder?
außer vor 30 Jahren.


Schöne Grüße
Maria
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Re: Alain Claude Sulzer: Ein perfekter Kellner

Beitragvon Fevvers » So 20. Feb 2011, 17:32

Hallo Maria,

vieles wird subtil über die stilistischen Elemente transportiert. Darin liegt die literarische Leistung. Und der Effekt der bleiernen Antriebslosigkeit ist vielleicht gewollt? Eine Atemlosigkeit habe ich nirgends verspürt. Interessant, wie unterschiedlich unsere Wahrnehmung ist!

Ich denke, es ist wichtig, ein "perfekter Kellner" zu sein, weil das so ziemlich das einzige ist, was Erneste wirklich kann. Sein Beruf steht im Mittelpunkt seines Daseins. Im Vergleich zu anderen fehlt es ihm an vielem. Es gibt viele "Beinahes". Er hat keine familiären Bindungen; seine Freundschaft zur Cousine ist lediglich einseitig; nur kurz darf er sich wähnen, die große, alles überdauernde Liebe gefunden zu haben; nur für einen Sommer geht er Risiken ein, fühlt sich lebendig und frei.

Seine Homosexualität, würde sie öffentlich werden, würde ihn erst recht an den Rand der Gesellschaft treiben. Als Kellner jedoch wird er von allen akzeptiert, weil er sein Metier in Vollendung beherrscht. Dort ist alles wohlgeordnet, es gibt Hierarchien, die strikt eingehalten werden. Nur von Jakob nicht. Würde auch nicht zu einem "homme fatal" passen.

Ja, man möchte Erneste ständig anschubsen.
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Re: Alain Claude Sulzer: Ein perfekter Kellner

Beitragvon JMaria » Di 22. Feb 2011, 11:16

Fevvers hat geschrieben: vieles wird subtil über die stilistischen Elemente transportiert. Darin liegt die literarische Leistung. Und der Effekt der bleiernen Antriebslosigkeit ist vielleicht gewollt? Eine Atemlosigkeit habe ich nirgends verspürt. Interessant, wie unterschiedlich unsere Wahrnehmung ist!


Hallo Fevvers,

die Atemlosigkeit stellte sich bei mir ein, wegen dem retardierendem Element. Die Rückblenden verzögern die Geschichte derart, dass ich es mich sehr in Spannung hält. Das merke ich auch daran, dass ich das Buch öfters schließen muß, um die Spannung in mir wieder abzubauen. Manche lesen dann weiter, ich kann das in diesem Fall, und meistens bei solchen Gefühlen, nicht.

Somit bin ich noch nicht ganz durch. Es fehlen mir noch ca 20 Seiten.

Sehr schön empfinde ich die ältliche Sprache ... und vergessene Begriffe wie "Vaudeville" und "Urnings".


Viele Grüße
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Re: Alain Claude Sulzer: Ein perfekter Kellner

Beitragvon Fevvers » Di 22. Feb 2011, 11:35

JMaria hat geschrieben:Sehr schön empfinde ich die ältliche Sprache ... und vergessene Begriffe wie "Vaudeville" und "Urnings".


Das liebst Du ja auch bei Thomas Mann. Ich erinnere mich noch gut an das "Embonpoint", das werde ich nie wieder vergessen. ;-)
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Re: Alain Claude Sulzer: Ein perfekter Kellner

Beitragvon JMaria » Di 22. Feb 2011, 11:41

Fevvers hat geschrieben:
JMaria hat geschrieben:Sehr schön empfinde ich die ältliche Sprache ... und vergessene Begriffe wie "Vaudeville" und "Urnings".


Das liebst Du ja auch bei Thomas Mann. Ich erinnere mich noch gut an das "Embonpoint", das werde ich nie wieder vergessen. ;-)


Buddenbrooks, nicht wahr?
oder doch der Felix? :roll:

Gruß,
Maria
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