Hallo, vielen Dank für die freundliche Begrüßung!
Das 37. Kapitel ist für mich eines der hermetischeren im ganzen Buch. Offensichtlich handelt es sich um eine leicht absurde Theatervorstellung, in der es unter anderem um die Vater-Sohn Beziehung geht. Man denke nur: der liebevolle Vater verhilft seinem Sohn zu einem "Werk" indem er ihn leiden lässt!
Ich will versuchen, kurz mein Verständnis des 37 Kapitels - jedenfalls für den Teil im Haus Zinnober darzulegen. Man sollte im Hinterkopf behalten, das dieses Kapitel am Beginn des Buches II steht, in welchem sich der Protagonist Christian aus seinem angestammten Milieu löst und am Ende des Romans auf Grund seiner Erfahrungen zu einer Bewertung seines eigenen Vaters kommt:"... Du hast gelogen.... er vermied das Wort Vater..." etc. S.955 unten f.
Also: S.518 das Haus Zinnober: ETA Hoffmann: Klein Zaches, genannt Zinnober...
Esch... gibt eine kurze Inhaltszusammfassung: Leim, Repetition, Konservierung
Albin: Ich bin der Sohn... Goethe Xenien(wenn ich nicht irre) angeknackstes anstatt ernstes Führen ... und von der Mutter nichts - also keine Frohnatur... aber das können wir uns bei dem Auftritt mit Monokel ja schon denken. Man beachte die Kleidung von Vater und Sohn: auf der Bühne könnte sie sich farblich in den zusammengeklebten Fischen wiederholen ...
Es folgt die Beschreibung des Bühnenbildes (es schien ...): Zwei Pulte sich gegenüberstehend wie Vater und Sohn, die Bonsaibäumchen auf der Planke ... am Ende wird Albin selbst deren Stelle augenfällig einnehmen. Der Maler als Beobachter – ohne "Sprechrolle" an der Aufführung beteiligt – und das Aquarium: in dem Biotop tummeln sich also unsere Exoten
. Ein Gleichnis ... „in diesem Land ist vieles möglich“ die Chimäre auch unfähig sich nach vorn oder zurück zu bewegen ... wissenschaftlicher Sozialismus wohlmöglich?
„... Die Herren baten um Bericht...“ Ich tippe auf Brecht, evtl. der Galilei, aber mir fehlt die Bibliothek dies zu verifizieren. Nun jedenfalls kommentiert der Herr Vogelstrom durch zerknüllen/verbrennen(?) des Bildes ... die Wortwahl lässt an Goethes Zeit denken oder Fontane oder ... Grass (ein weites Feld*1). Fonty treibt ja auch so seine Vaterverehrung. Nun wird wiederholt: Der Fisch verschlungen an des Bildes Stelle. Zäher Kleber ist das, so ganz erschließt sich mir der Sinn nicht.
Es wird noch ein bischen theatralisch geraucht (Zigarillos und Zigaretten), und klar gemacht, dass Albin eine höchst lächerliche Figur ist. Und der Vater ? Goethe und Tellkamps Abneigung gegen postmoderne Heiterkeit, Autoren die mit Scherzen nach dem Gral schnappen ... auch Esch... wird so einer sein. Himbeersoße-Clownsblut. Böll ick hör dir trapsen (Ansichten eines Clowns. Auch das ein gescheiterter Sohn übrigens, andere Zeit, anderer Ort, Westdeutschland diesmal, aber das selbe Elend bei Hans.) Albin, von Beginn an als unbegabt vom Vater verdammt. Nun das saß, und Albin entblödet sich nicht, uns auch zu zeigen, das er in seines Vaters Augen ein Bonsai-Dramatiker bleibt.
Phillipp Londoner versucht das zweite Thema anzubringen: die Wirtschaftspolitik. Zuvor wird uns aber noch erklärt, das Künstler ganz besondere Menschen sind (was wichtig ist, um die etwas unkonventionellen Vorstellungen von Vaterliebe und Erziehung zu verstehen, die Esch... ein paar Seiten weiter bekennt.) Welches aber - und hier sind wir beim Grundsätzlichen – niemanden interessiert, denn offenbar folgen alle Beteiligten längst ihrer individuellen Agenda – für das, was am Ende das Land in den Abgrund riss (Its the economy, stupid!), interessiert sich niemand. Es lässt sich ja auch soviel trefflicher über Stalinismus und die Verbrechen Stalins debattieren (Erwartet hier noch irgendjemand Neues? Ich nicht.).
-- Der kleine Exkurs übers Duzen –
Was nun das Duzen angeht, so wird es ja in dem Kapitel gleich zweimal diskutiert. Zum einen will der Lektor (Meno) die Distanz zum Schriftsteller zu wahren (keine verschimmelten Kekse und Zigarettenkippen), zum anderen wir auf die Provinzialität, die mit der Vertrautheit des Duzens verbunden ist, und mit der man sich die Weite der literarischen Welt nicht verschließen sollte hingewiesen. – sagt Sie zur Lyrik und bewahrt ihr Würde und das Geheimnis weiten Landes
! „Wer das nicht sieht ist minderen Ranges“ – gehört nicht zur „wahren Elite“ (aha!). Sehr einleuchtende Argumente zur generellen Frage, warum das Sie und die damit verbundene Distanz in bestimmten Situationen von Vorteil sein kann. Daneben möchte ich noch darauf hinweisen, dass es in gewissen Kreisen der Zone durchaus zum habitus gehörte, sich dem kumpelhaften "Du" der Genossen bewusst zu entziehen und sich damit von den Sitten der herrschenden Nomenklatura abzugrenzen. Das tut die Figur Meno (und Londoner jun. auch) in diesem Kapitel und wird damit als jemand charakterisiert, der, obwohl in Moskau aufgewachsen (offensichtlich mit einer dramatischen Geschichte im Lux, wo der Vater die Mutter an die Tscheka verriet) und damit zum "roten Adel" gehörend, sich doch von den proletarischen Elementen des Umgangs distanziert.
Ironie? Ja ich denke zum Teil schon denn was, wenn nicht die Untergrundmusik in dem versunkenen Land war provinziell?
Esch... bekennt sich mit russischer Attitüde „Söhnchen“ und stalinschem Vokabular zum Stalinismus.
„Die Verderbnis der Sitten ... wie das Gemüse zuerst im Detail“ : Peter Hacks.
„bedrängte Zeit darf nicht bedrängte Mittel kennen“ klingt eher nach Shakespeare ...
Interessant ist vielleicht, das bei der Diskussion um Stalin und seine Macht Argumente auftauchen, die schon in Lenins Testament stehen.
Was folgt ist ein pasticcio aus Shakespeare (King JohnV, Richard III) und Peter Hacks Texten. Ein Kommentar zu Stalin? Es ließe sich so lesen, auch die englischen Herrscher in jenen Dramen sparen beim Kampf um die Macht nicht mit Blut, nicht wahr?
Zurück zu Albin: sein Vater glaubt, ihm das Werk dadurch zu verschaffen, das er ihn verstößt ... soso.
Nun kommt die Idee einer Elite ins Spiel, für die die Anwendung „kleinbürgerlicher“ Moralvorstellungen: „... auf mangelnden Sinn für Gesetz und Schicksal, das ich ... Lebensform nenne“ [schließen lassen]
Und da ja Wiederholung hilft, finden wir diese Elite-Idee auch in der Unterhaltung zwischen Christian und Pfannkuchen auf S. 839 („...so ist das seit alters.“, aber dazu später...)
„Was bin ich? Ein pfeifenrauchender Schakal?“ → Stalin (Trotzki: „der Schakal im Kreml“)
...
bis später, S-Gast