Zurück zu neuere Bücher Zurück zu Buchbesprechungen Juni 2001
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Duve, Karen
Regenroman:
Inhalt:
Martina, die naive Hübsche "mit Augen wie ein angefahrenes Reh" und
Leon, der kleine, kurzsichtige Dichter sind auf den Weg in den Ort Priesnitz in der
Ex-DDR, in die man "normalerweise nicht [zieht] (...), sondern aus der man
wegläuft" . Hier möchte das frisch vermählte Ehepaar ein preiswertes Haus im
Grünen kaufen. Unterwegs findet das Paar, passend zum Wetter, eine
Wasserleiche.
Das Geld für diesen lang gehegten Traum erhält Leon für die Abfassung der Biographie
seines neuen Arbeitgebers Benno Pfitzner. Der Zuhälter betreibt in Hamburg auf der
Reeperbahn ein Geschäft, "an dem das deutsche Rechtssystem sich nicht richtig
durchzusetzen vermochte" . Sein silbergraues Haar wirkt "furchteinflößend wie
das Altersprachtkleid eines Pavians" .
"Nirgends würde [Leon] (...) so schreiben können wie hier. Er brauchte sich bloß
an den Schreibtisch zu setzen, in die Weite des Moores hinauszuschauen, und schon
entfaltete die Inspiration knallend ihre Flügel." In Karen Duves REGENROMAN
kommt es aber ganz anders.
Ihr Erstling wird von Wetterberichten durchzogen: "Starke Bewölkung und vereinzelte,
zum Teil heftige Schauer, Höchsttemperaturen zwischen 11 und 14 Grad. Wind aus Nord-West,
abnehmend 2 bis 3" , heißt es zu Beginn. Das Wetter -
es regnet, schüttet, nebelt, dampft. Die Umgebung besteht ausschließlich aus Moor,
Morast und Sumpf so weit das Auge blickt, mit "skelettierten Bäumen, als hätte ein
Choleriker in seiner therapeutischen Malgruppe sie gezeichnet". Das Haus entpuppt
sich zu einem "chinesischen Feuerwerk von Schimmelpilzen" mit "üppigem
Champignongeruch" . Selbst die Zigaretten in der Jackentasche werden durchweicht.
"Wenn man im Keller ein Handtuch an die Wand hing, konnte man es am nächsten Tag
auswringen." Dazu eine Frosch- und Schneckenplage, der Leon verzweifelt
versucht Herr zu werden, lassen die Sehnsucht nach ländlicher Idylle und konzentriertem
Arbeiten langsam zerplatzen.
Doch das sind erst die äußeren mißlichen Umstände, mit denen Leon kämpft. Ein
schmerzhafter Bandscheibenvorfall plagt ihn zusätzlich, so daß er weder seinen
ungeliebten Heimwerkerarbeiten nachgehen kann, noch an seinem Buch über Pfitzner
weiterkommt.
Als sich dann auch noch die zwei Bewohnerinnen des Nachbarhauses, das Mannsweib Kay Schlei
und ihre genußsüchtige, "hoffnungslos übergewichtige" Schwester Isadora
Schlei, ins dahinmodernde Leben von Leon und Martina einmischen,
gerät die Lawine restlos ins Rollen. Nun sind auch erotische Ausrutscher vorprogrammiert:
Leon beginnt eine Affäre mit Isadorra, Kay verliebt sich in Martina. Als im zweiten
Kapitel ein herrenloser Hund angestrolcht kommt, schließt Martina ihn sofort in ihr Herz.
Sie gibt dem Hund den Namen Noah. Im Verlaufe des Romans nimmt dieser, durch Martinas
ständige Bemutterung, Leons Platz ein.
Leon kämpft mit seinen Leiden. Später vegetiert er vor sich hin. Als der brutale
Pfitzner schließlich noch auftaucht, gemeinsam mit Leons einzigem besten Freund Harry
Klammt, der ihm damals den Biographieauftrag beschaffte und grinst "als wäre ihm ein
entscheidender Teil des Gehirns herausoperiert worden", ist der tragische Verfall
nicht mehr aufzuhalten. Der Zuhälter will sich
für das Ausbleiben seines Buches rächen, welches ihm mit der "brutalsten und
ekeligsten Vergewaltigungsszene der neueren Literatur" auch gelingt. Während
Leon in seinem eigenen Haus von Pfitzner brutal zusammengeschlagen wird, führt Harry
seinen Auftrag, Martina zu vergewaltigen, kompromißlos und erbarmungslos im Nebenzimmer
durch. "Er zerrte ihre Schamlippen auseinander und stopfte mit einer Hand seinen
Schwanz in sie hinein, ruckte ein paarmal hin und her. Es passierte wirklich, und es
passierte hier. Es tat weh. (...) Sie hörte, wie Leon im Wohnzimmer brüllte. Er brüllte
wie ein Tier."
Während sich der REGENROMAN seinem Höhepunkt nähert, bemerkt Kay Schlei durch einen
Zufall, was sich im Hause ihrer Nachbarn abspielt. Um Leon und Martina aus der grausamen
Lage zu befreien, beschließt sie Isadorra als Verstärkung
heranzuziehen. Beide bewaffnen sich mit einer Gartenschaufel und dem Gasbrenner, der
eigentlich zum Einsatz der Hauswandentwässerung dient. Sie verbrennen Pfitzner und Harry
zu Tode. Martina trennt sich von ihrem Mann und sucht bei ihren Eltern Geborgenheit.
Mit dem Wetterbericht zum letzten Kapitel, drei Monate später, leitet Karen Duve den
Schlußteil ihres Buches ein. Sturmwarnung, Kälte, verstärkter Regen. Leons Traumhaus
wird von dem Sturm so in Mitleidenschaft gezogen, daß ihm
bildlich "die Decke über dem Kopf" zusammen bricht. Nachdem er auch hier von
Kay vor dem Schlimmsten bewahrt wird, beschließt Leon, der "Niemand. (...)
[das] formloses Etwas ohne Kern. Ohne Wert." , sich im Moor ertrinken zu lassen.
Ansonsten enthält das Buch Handlungsstränge, die sehr absurd erscheinen: Vom
Bullterrier, der ein Baby reißt und dafür mit einem Stein um den Hals in der Elbe
ertränkt wird, bis zum Krämer, der sich an abgelegten Mädchenkleidern antörnt und
dafür beinahe im Gefängnis endet.
Schließlich endet der REGENROMAN wie er beginnt: mit einer Wasserleiche.
(Inhaltsangabe von Mathias Kruse Kontakt: kruse@sleise.de)
Meine Meinung:
Zugegeben, der Titel von Karen Duves REGENROMAN klingt nicht sehr verlockend. Ist doch
der Regen nicht gerade das, was die meisten Menschen in einem Buch suchen. Gespannt war
ich, nachdem ich so viel über den ersten Roman der jungen Autorin gehört habe. Gehobene
Literatur, Frauenroman, neue Literatur, Krimi, wunderschön und doppelbödig - na was
denn? Also selber lesen und wirken lassen. Nur so viel: es war die Aufregung nur ca. 66,7
Prozent wert.
Der REGENROMAN ist aufgrund der einfachen und unkomplizierten Sprache sehr leicht zu
lesen. Die kurzen aneinandergereihten Sätze, die Teilweise nur aus einem Wort bestehen,
erzeugen Geschwindigkeit und Spannung. Dieses führt dazu, daß man das Buch regelrecht
verschlingt. Jedoch bleibt dieser Turbo-Boost a la Nightrider in der Mitte des Romans für
ca. 100 Seiten aus. Das ist sehr schade, weil man ehrlich gesagt nur weiterlesen möchte,
wenn man wirklich nichts Besseres mehr zu tun hat. Diese Bremse setzt in Kapitel Sechs ein
und hält bis zum Achten an. Hier verblaßt ihr rasanter Stil zur Einsilbigkeit. Der Leser
wird von wenigerwichtigen aber sehr langatmigen und ausführlichen
Landschaftsbeschreibungen vom begeisterten Lesen abgehalten. Das sich Karen Duve in ihrer
Vergangenheit, bevor sie den REGENROMAN schrieb, intensiver mit Tieren und Pflanzen
beschäftigte ("Lexikon berühmter Tiere", "Lexikon berühmter
Pflanzen") fällt deutlich auf. Sie setzt ihre biologischen Erkenntnisse mit
ausführlichen Tier- und Pflanzenbeschreibungen ein. Da sie aber fast jedes Tier näher
beschreibt, und es tritt nicht nur ein gottesgesegneter Hund in der Geschichte auf, ist
diese Art jedoch eher störend.
Die angewandte moderne Sprache bekräftigt ihren schwarzen Humor, lockert auf und hebt den
REGENROMAN deutlich von älteren "fast Kriminalromanen" ab. Trotzdem bin ich
nicht von dieser Sprachwahl überzeugt wurden. Duve übertreibt. Sie ist vulgärer und
ekliger als mancher sechzehnjähriger Junge. Mit Wörtern wie Mösensaft, Fotze, Muschi,
Schwanz usw. verdirbt sie nicht nur den Geschmack, sondern läßt sich mit Jugendromanen
in eine Schublade einordnen. Doch Geschmäcker sind bekanntlich verschieden. Mir ist diese
Form moderner Sprache mit der bildlichen Assoziation die Duve dem Leser unterwirft einfach
zu direkt.
Sehr interessant und lobenswert empfinde ich allerdings Duves Begabung zur Darstellung der
Situationsveränderung der Hauptpersonen. Schön, gleichzeitig auch heftig, wie
beispielsweise Leon von seiner eindeutigen superioren Rolle in die inferiore schlüpft,
sowie Martina von den deutlichen Attributen ihrer schwachen, naiven, leisen Fraurolle zur
"ich hau auf den Putz-Martina" wandelt. Der Verfall der Ehe, dieses
unaufhaltsame grausame Schleichen der Zerstörung, macht Karen Duve wirklich brutal
langsam, aber mit wirklich treffenden Worten, wie "formloses Etwas ohne Kern. Ohne
Wert." , deutlich.
Beeindruckend ist auch die Leichtigkeit, mit der Duve oft das richtige Wort findet. Leon
stürzt bei der versuchten Entwässerung seines Hauses in einen Drainagegraben und kann
sich wegen seiner Kreuzschmerzen nicht mehr rühren. "Einer der kleinen
Frösche", heißt es nun, "kam angepaddelt, hielt sich an Leons Brille fest,
verschnaufte kurz und schwamm weiter." Überzeugender kann man Leons
Hilflosigkeit wohl nicht zeigen.
Außerdem gefällt mir der Rahmen, den die Autorin erzeugt. Die beiden Wasserleichen am
Anfang und am Ende der Geschichte. Mit den Worten "Sie riß tatsächlich."
ihren Debütroman zu beenden, hat sie einen tollen Schluß gefunden. So
abrupt und einfach.
Mein Lieblingsaspekt: Noah. Die Sintflut. Ach genau, das meistverkaufteste Buch der Welt -
die Bibel. Ich wollte sie ja schon als kleiner Konfirmant lesen. Bin leider nie dazu
gekommen. Doch Karen Duve hat mich dazu gezwungen, mich wenigstens mit dem 1.Buch Mose,
der Sintflut und der Arche Noah zu beschäftigen. Ich muß schon sagen, die Duve ist sehr
mutig gewesen, daß sie schon mit ihrem Vorwort den REGENROMAN in Vergleich zur Bibel
stellt. Wahrscheinlich möchte sie hiermit eine gewisse Ernsthaftigkeit und Einordnung in
gehobene Literatur erzwingen, aber dies schafft sie wahrlich nicht. Wie auch? Mit der
vulgären Sprache hat sie ihr Buch doch schon in die komplett andere Schublade stecken
lassen. Das der herrenlose zugelaufende Hund den Namen Noah trägt und natürlich gerade
zu der armen schwachen Martina läuft, ist schon etwas
kitschig. Das sie den Hund am Ende verschont läßt, ist kein Wunder, muß auch so sein.
Denn wie selbst Noahs Vater Lamech mit seinen 182 Jahren schon sagte: "Der wird uns
trösten in unserer Mühe und Arbeit auf dem Acker, den der HERR
verflucht hat" "Noah fand Gnade vor dem HERRN." Es ist nur
schade, weil man sich das Ende schon vorher ausmalen kann. Karen Duve benennt ihr Debüt
selbst, als "nasseste Geschichte nach der Sintflut". Naß ist die Geschichte ja
und feucht und modernd und so, aber diesen Ausspruch hätte ich an ihrer Stelle nicht
gewagt.
Jedes Kapitel des Buches beginnt mit dem aktuellen Wetterbericht. Regen, Regen, Regen. Das
Karen Duve hiermit die folgenden Kapitel teilweise vorausnimmt, ist sehr verlockend.
Weiterhin ist es auch keine schlechte Idee hiermit zu beginnen, sonst würde man ja auch
vergessen, das der REGENROMAN, REGENROMAN heißt. An so schlimme Regentage, wie sie Leon
und Martina erleben müssen, erinnert man sich dann auch später noch - einen Nieselregen
haben wir ja auch dauernd vor der Tür.
Im Ganzen hat der REGENROMAN nicht vollständig meine hohen Erwartungen erfüllen können.
So toll wie z.B. die Stuttgarter Zeitung schrieb, ist die Autorin und ihr Roman nämlich
nicht. Schlecht ist er auch nicht. Kein Leser wird
nach der letzten Seite des Romans mehr behaupten können, Regentage seien langweilig, das
steht fest. Da geschehen gnadenlose Schneckenmassaker, werden Hunde mitleidlos ertränkt,
vermoderte Wasserleichen entdeckt und im Hintergrund
blubbert regelmäßig das schmatzende Glucksen einer Pfütze im Moor. Viele tolle Elemente
sind vorhanden, aber diese überwiegen nur knapp den Wenigerschönen. 298 Seiten
Nieselregen sozusagen. (Rezension von Mathias Kruse Kontakt: kruse@sleise.de)
Bewertung: * * / * * *
( * schlecht / ** ganz gut / *** gut / **** spitze)
Info: Duve, Karen (1999): Regenroman, Roman, Hardcover, 298 Seiten,
ISBN 3821805471, DM 36,00 Verlag: Eichborn.Berlin