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Rezension

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Inhalt:

„Mozart ist mit seinem Gedanken immer beim Großen Vorsitzenden Mao...“ Eine kühne Lüge, doch der Laoban, der Dorfvorsteher, der noch nie in seinem Leben eine Geige gesehen hat, ist zufrieden. Musik, die den Geist der Revolution einfängt, darf selbstverständlich gespielt werden. Und so lauschen die Bewohner des am „Phönix-des-Himmels“ gelegenen Bergdorfes verzückt der Sonate, die wie jegliches ausländische Kulturgut in China strengstens verboten ist. Eigentlich sollen sie helfen, die neu eingetroffenen jungen Männer – den 18-jährigen Luo und seinen ein Jahr jüngeren Violine spielenden Freund – durch Arbeit in der Landwirtschaft ‚umzuerziehen’. Die beiden gelten als Intelektuelle, obwohl sie lediglich einen lückenhaften Schulbesuch nachweisen können. Ihr eigentliches Verbrechen ist ihre Herkunft, die Eltern sind Akademiker und gelten als Reaktionäre und Volksfeinde.

Der einfältige Laoban ist auch sonst leicht zu täuschen und die zwei erschleichen sich weiterhin mit kleinen Listen manche Vergünstigung. Wenn sie ganze Spielfilmhandlungen nachstellen, kommt die ganze Dorfgemeinschaft zusammen, und bald dürfen die beiden Erzähltalente zu Kinobesuchen in die nächste Kleinstadt reisen. Ein weiterer Lichtblick im harten und öden Arbeitsalltag ist die Bekanntschaft mit einer entzückenden jungen Schneiderin, in die sich die Freunde sofort verlieben. Sie entscheidet sich für Luo, mit dem sie schöne Stunden verbringt und die erste Liebe erlebt.

Zufällig erfahren Luo und sein Freund eines Tages, dass es dem „Brillenchang“, einem Leidensgenossen aus dem Nachbardorf, gelungen ist, einen Koffer mit Büchern europäischer Romanciers zu schmuggeln. Ihr Verlangen nach Lesestoff wächst ins Unermessliche. Lesen haben sie gelernt, erlaubte Lektüre waren bisher aber nur kommunistisch korrekte Schulbücher oder die „Mao-Bibel“. Noch nie haben sie einen Roman in Händen gehalten. Ärgerlich, dass der Besitzer mit seinen Schätzen geizt und diese nicht ausleihen will. Nur durch einen dreisten Diebstahl können sie den Koffer in ihren Besitz bringen. Nachts in der kargen Hütte tauchen sie in wunderbare, unbekannte Welten ein. Verhängnisvollerweise beginnt Luo, der kleinen Schneiderin Balzacs Geschichten vorzulesen. 

Meine Meinung:  

Ein kleiner, feiner Roman, den man nach der letzten Seite mit einem bedauernden Seufzer beiseite legt. Zu gern hätte man vom weiteren Lebensweg Luos, der kleinen Schneiderin und des namenlos bleibenden Ich-Erzählers erfahren. „Kulturrevolution“, sonst ein nüchterner Begriff aus dem Geschichtsbuch, bekommt hier eine persönliche Qualität, da der Autor, der heute im französischen Exil lebt, in seinem Heimatland selbst Anfang der 1970er Jahre von den Umerziehungsmaßnahmen betroffen war. Der Hunger der Romanfiguren nach Leseabenteuern, ihre erwachende Liebe zur Literatur, die ihren trostlosen Alltag und den ihrer Zuhörer etwas erträglicher gestaltet, hat etwas Rührendes an sich, ohne jedoch sentimental zu wirken. Dai Sijie erzählt anekdotenreich und ohne Bitterkeit von zwei jungen Chinesen ohne Zunkunfstperspektiven am Ende der Welt, die trotz allem versuchen, das Beste aus ihrer Situation herauszuholen, und verknüpft dies mit einer zauberhaften Liebesgeschichte. Leider wirkt das Ende des Romans etwas gehetzt, sodass er keinen völlig ‚runden’ Eindruck hinterlässt. Zudem wirkt ein unvermuteter Wechsel der Erzählperspektive fehl am Platz. Im Großen und Ganzen tut dies der Geschichte aber keinen Abbruch. (© Fevvers 2003)

Bewertung: ***

( * schlecht / ** ganz gut / *** gut / **** spitze)

Infos: Piper 2001. (Die TB-Ausgabe erscheint Juli 2003!)  

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© 1998 Buecher4um, erstellt am 01.03.2003, letzte Änderung am 30.05.2003, Layout by abrakan