Inhalt:
Medienmogul Roland Voss hatte
mehr Feinde, als er überhaupt zählen konnte. Nun ist er
tatsächlich ermordet worden - bei einem Wochenendaufenthalt in
einem schottischen Schloss, zusammen mit seiner Frau und zwei
Leibwächtern. Überraschend nur, dass er offenbar das
Zufallsopfer einer Einbrecherbande wurde, die es auf den
Schloss-Safe abgesehen hatte und fast in flagranti verhaftet
worden ist. Natürlich schlägt der Volks- bzw. Medienzorn
turmhohe Wellen. Der Journalist Jack Parlabane freilich hat wenig
Grund, um seinen früheren Arbeitgeber zu trauern - das
Arbeitsverhältnis war keineswegs ersprießlich -, und noch
weniger Lust, sich in den Fall einzumischen: hat er nicht eben
erst seiner Verlobten Sarah versprochen, hinfort riskante
Recherchen zu meiden? Aber dann taucht eine junge Rechtsanwältin
in den Fernsehnachrichten auf mit der Behauptung, sie halte
Beweise für die Existenz von Hintermännern in Händen. Kurz
darauf begeht Jacks Freund Donald Lafferty, zuständig für das
Sicherheitssystem besagten Schlosses, auf einer Polizeiwache
Selbstmord - nicht ohne Jack eine Botschaft zu hinterlassen, die
diesen gleichfalls via Bildschirm erreicht. Was bleibt Jack da
anderes übrig, als aus dem Fernsehsessel aufzustehen, sich und
seine Verlobte in Gefahr zu bringen, die Unschuldigen zu retten,
die wirklich Schuldigen (heim) zu suchen und den Wunschtraum eines
frustrierten Zeitungsredakteurs wahr zu machen - vor allem,
nachdem der Blick auf eine Tatortskizze ihm gezeigt hat, dass die
offizielle Darstellung des Tathergangs blanker Unsinn ist?
Meine Meinung:
Ganz so blutrünstig wie im
ersten Roman geht es hier nicht zu; dafür ist die Polemik noch
weitaus schärfer, und insgesamt kann man das Buch nur Lesern
empfehlen, die keinen Anstoß an four-letter-words nehmen.
Schottisch-dialektale Einfärbungen sind gewöhnungsbedürftig und
manche Anspielungen nur für Fußballfans bzw. regelmäßige
BBC-Zuschauer verständlich.
Selbst wenn man all das in
Rechnung stellt, bleibt der Roman ein Meisterwerk, spannend von
Anfang bis Ende -- eine umwerfende Mischung von Action, Sarkasmus,
Leidenschaft, Witz und sprachlicher Eleganz, mit einem
fantastischen Plot und einer Menge fesselnd beschriebener
Charaktere. Und mit Spammy, natürlich. Spammy der Sonderling --
Spammy der Tagträumer - Spammy die Wunderwaffe. Spammy, der
heiße Favorit auf den Titel der meistgeliebten Brookmyre-Figur.
Mit bürgerlichem Namen Cameron Scott, als „Nebenerzeugnis"
einer hochproblematischen Familie in einem Wandschrank
aufgewachsen, zeigt er in der Not, was wirklich in ihm steckt...
Welcher Erfolg der erste
Brookmyre-Krimi gewesen ist, sieht man schon daran, dass der Autor
in seinem zweiten kaum noch auf verlagskonforme Normen achten
muss: ein Drittel mehr Umfang, zahlreiche Nebenschauplätze,
Perspektivenwechsel und voll entwickelte Nebenfiguren - der Trend
geht erkennbar zum Mehr-Helden-Roman - und viel, viel Platz, um
deren Weltsicht und die Handlungshintergründe zu beleuchten;
durchaus zur Freude des Lesers, der auch einen zweitausendseitigen
Brookmyre-Roman noch nicht lang genug finden würde. Notabene: die
Schilderung der Medienhetze zu Beginn des Romans dürfte in ihrer
Wirklichkeitsnähe und bissigen Brillanz bislang unübertroffen
sein -- und wird es wohl noch lange bleiben. (Irene)
Bewertung: ****
( * schlecht / ** ganz gut / *** gut
/ **** spitze)
Infos:
Titel: Country of the Blind
("Im Reich der Blinden"). Englische (HC-)Erstausgabe
1997 bei Little, Brown & Co. TB-Ausgabe bei Abacus 1998.
Zahlreiche Folgeauflagen; HC inzwischen vergriffen. Übersetzt ins
Französische und Italienische, aber nicht ins Deutsche. Schande
über die deutschen Verleger!
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