Inhalt:
Raphael Vogels liebster Mensch
auf Erden ist nicht mehr; sein Großvater ist gestorben. Der Neunjährige
verläßt, unbemerkt, um 6 Uhr morgens die Wohnung.
Als die Mutter zwei Stunden später sein Verschwinden
bemerkt, wendet sie sich voller Angst an die Polizei.
Ein Fall für das Kommissariat
114 (Vermißte und unbekannte Tode) in Dezernat 11. Die Beamten
nehmen die Meldung sehr ernst.. Sie befragen als erstes die
Eltern. Das erweist aber als schwierig. Die Mutter hängt in einem
Tablettennebel. Der Vater, der längst bei einer Freundin wohnt,
ist ein Polizistenhasser. Die Kleinarbeit muss durchgezogen
werden: Befragen der Nachbarn, Lehrer, Mitschüler, die Beerdigung
des Großvaters beobachten. Da gibt es plötzlich eine Zeugin, die
Raphael in ein rotes Auto hat steigen sehen. War es wirklich
Rapahel? Auf die zwischenzeitlich gebildete Sonderkommmission wächst
der Druck durch die Presse, die Vorgesetzten und die Öffentlichkeit.
Und der beste Mann des K 114, Tabor Süden, versucht seit Monaten
mit Yoga, pschodelischen Pilzen und Schamanengetrommel seine
Schuldgefühle und Selbstvorwürfe in den Griff zu bekommen, dass
Trauma zu spät gekommen zu sein, zu verarbeiten.
Meine Meinung:
Kein Krimi wie
gewohnt. Die Ermittler sind keine „Superbullen“, keine
Polizisten aus Überzeugung, sondern Menschen, die einfach einen
Job machen und den, so gut sie können. Entsprechend spinnt sich
die Handlung nicht nur am roten Faden der Suche nach Raphael
entlang, sondern gleichwertig stehen hier die Nöte, Sorgen, Gefühle
der beteiligten Personen.
Sonja
Feyerabend, die eine Beinahe-Ehe mit dem Dezernats-Leiter Karl
Funkel zu Gunsten der Freundschaft mit Tabor Süden aufgegeben hat
und nun plötzlich alleine in einem 38 Quadratmeter-Appartment
lebt.
Paul Weber, der
seit dem Tod seiner Frau immer tiefer in Depression versinkt und
nur an Tabor Süden noch halt findet.
Martin Heuer,
dem Tabor einmal das Leben gerettet hat, der seine Fassade, hinter
der sich Lebensangst verbirgt, nur mühsam aufrecht hält.
Sie alle werden
vom Weglaufen des Kindes Raphael Vogel aus ihrer eingefahrenen
Lethargie und
festgefahrenen Einsamkeit gerissen und
in einen Wirbel von Ereignissen und Gefühlen katapultiert,
der trotz allem oder gerade deswegen spannender ist, als viele
Psychopathenjagden.
Mit bewegender
Klarheit werden Leben und Stimmungen der einzelnen Personen, sowie
die Schattenseiten unserer Gesellschaft, geschildert.
Friedrich Ani
vermag mit wenigen Worten ganze Bilder und Stimmungen
hervorzurufen, fast wie ein chinesischer Tuschemaler; einfühlsam,
aber auch in aller Härte und ohne Kompromisse, mit einem kleinem
Lichtblick auf Hoffnung vielleicht, jedoch ohne unglaubwürdiges
„Ende gut, alles gut“.
Wäre dieser Roman nicht (fälschlicherweise?)
der Kategorie Kriminalroman zugeordnet, man müßte darüber
nachdenken, ob er nicht zu den großen Deutschen der letzen Jahren
zählt. (Teamwork Mariposa/Dyke)
Bewertung: **** (Mariposa)
Bewertung: **** (Dyke)
( * schlecht / ** ganz gut / *** gut
/ **** spitze)
Infos:
Knaur Taschenbuch, ISBN 3-426-61902-4, 480 Seiten,
TB 2001
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