René Maugras liegt im
Krankenhaus. Ein Schlaganfall hat den 54-jährigen jäh aus seinem
Alltag gerissen, der stets turbulent war. Maugras ist Verleger
dreier namhafter Pariser Zeitungen. Zunächst gefangen in seinem
Inneren, später freiwillig in sich gehend, blickt er auf sein
bisheriges Leben zurück. Auf seine Erfolge als Verleger und seine
Misserfolge als Mensch und auf den Sinn von allem...
Meine Meinung:
Simenon ist für mich ein
Phänomen. Er schreibt eine Geschichte, die in einem Krankenhaus
spielt und schon befindet sich der Leser im Krankenhaus. Atmet die
typische, nach Medikamenten riechende Krankenhausluft, hört das
Treiben auf den Korridoren, wird selbst zum Patienten. Und das
obwohl uns die Hauptfigur René Maugras ebenso abweisend
behandelt, wie das Krankenhauspersonal. Er will seine Ruhe haben.
Und er lädt niemanden dazu ein, ihm Gesellschaft zu leisten. Er
möchte allein sein, die Zeit nutzen um innezuhalten und in Ruhe
nachzudenken.
Bei einem Autor wie Simenon darf
man sich das in der Ausführung sehr präzise vorstellen. Es ist
nicht gar ein Roman, der im Krankenhaus beginnt und endet und
somit einen Rahmen für eine ellenlange Rückblende bildet. Nein,
dieser Roman spielt im Krankenhaus. Maugras liegt dort, ist
unkooperativ, aber nur, weil er in Ruhe nachdenken will. Weil er
sein Leben überdenkt und Werte neu setzt. Vielleicht nur für den
Moment und nicht für die Ewigkeit, aber das ist nicht so wichtig.
Hierbei wird er, wie es im Krankenhaus nun mal so zugeht, oft
unterbrochen. Das ärgert ihn. Und den Leser auch, denn langsam
und allmählich fangen Maugras Gedanken an, wichtig zu werden.
Wichtig auch, oder vielleicht sogar insbesondere, für den Leser.
Es sind keine Gedanken, die melancholisch oder voller
Selbstmitleid sind. Auch wichtig: Maugras betont immer wieder, zu
recht, dass er nicht Bilanz ziehen will über sein Leben. Es sind
Gedanken, die etwas aufklären wollen, etwas richtig stellen.
Tatsachen biegt sich Maugras, seit er hilflos dort liegt, nicht
mehr zurecht, sondern er sieht sie mit anderen, ehrlicheren Augen.
Und das tut weh. Ihm selbst nicht. Ihn erleichtern sie, denn sie
geben ihm Klarheit. Aber dem Leser schmerzt es, denn manche
Wahrheiten kommen ans Licht, die wir uns vielleicht heute noch
wieder zurecht gebogen haben über uns und unsere eigene Existenz,
unsere vermeintliche Wichtigkeit.
Es kommt es zu Verschiebungen der
Prioritäten, Rollen werden ausgetauscht, Menschen enttarnt. Der
Arzt wird zur tragisch-komischen Figur, für einen anderen werden
von Krankheit gezeichnete Jahre der Einsamkeit zu den besten
seines Lebens, um die man ihn beneidet. Und all diese Figuren
dieses Romans sind anwendbar auf unser aller Leben, auf unsere
Gesellschaft. Maugras lädt niemanden zu sich ein, aber alle dazu,
über sich selbst und ihr Leben nachzudenken.
Wie zu Anfang schon erwähnt,
bildet der Krankenhausalltag keinen Rahmen um eine schier endlose
Rückblende. Vielmehr gleitet Maugras von der Realität immer
wieder in seine Gedankenwelt ab. Dieses Abgleiten geschieht so
sanft, dass sich die Zeiten vermischen und der Roman aus einem
Stück ist - wirklich beeindruckend, nicht nur künstlerisch
sondern auch handwerklich gesehen!
Georges Simenon ist der Meister der
Geschichten. Jede für sich ist anders und zugleich etwas
besonderes, so auch diese. Das soll ihm mal einer nachmachen,
zumal bei der beeindruckenden Menge, die er in seinem Leben
zusammengeschrieben hat. Unglaublich - ein wahrer Meister! (Petra)
Bewertung: ****