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Rezension

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Inhalt:

Joachim Linde hat sein Leben im Griff. Als Deutschlehrer an einem Reichenheimer Gymnasium ist er eine bewährte Stütze des Kollegiums. Er ist verheiratet, seine Kinder sind fast erwachsen, die Tochter hat das Haus bereits verlassen und man wohnt in einem netten Eigenheim. Aber hat Linde wirklich alles im Griff?

In einer Deutschstunde in seinem Oberstufenkurs vor einem langen Wochenende, die Linde möglichst schnell hinter sich bringen und dann wegfahren will, kommt es zum Eklat. Ein Schüler wünscht den Großeltern einer Mitschülerin die Vergasung an den Hals, es entsteht eine hitzige Diskussion, in der sich mehrere Schüler in Wortwahl und Ton zum sensiblen Thema der deutschen Nazivergangenheit und der aktuellen Lage in Israel vergreifen, und Linde ist hilflos. Er kann die Diskussion nicht steuern und wird nur von der Klingel ins Wochenende erlöst. 

Zumindest diese Unterrichtsstunde hatte Linde gar nicht im Griff und auch hinter der vermeintlich heilen Fassade der Familie brodelt es. Seine Frau Ingrid hat schwere Depressionen und muss regelmäßig stationär behandelt werden, Tochter Martina hat vor wenigen Monaten einen Selbstmordversuch unternommen, danach die Schule abgebrochen und ist zu einem Freund nach Mailand geflüchtet. Und Sohn Pablo ist dem Vater zu brav, er trinkt keinen Alkohol, hat keine Mädchengeschichten sondern engagiert sich bei amnesty.

Meine Meinung:

Sympathisch ist Linde nicht, eher das Gegenteil ist der Fall. Kritikunfähig, selbstherrlich und selbstgerecht analysiert er sein Leben. Seine Frau, seine Kinder und andere Menschen machen Fehler, nur seinem Einsatz ist es zu verdanken, dass die Familie noch halbwegs existiert. Ohne ihn wäre schon längst alles zusammengebrochen. Seine eigenen Fehler und seine eigene Verantwortung am häuslichen Desaster sieht er nicht oder will er nicht sehen.

Der Held dieses Buches wurde mir mit seiner Art auf jeder Seite unsympathischer. Linde ist jemand, den ich am liebsten aufgefordert hätte, einmal über sich und sein Verhalten nachzudenken und nicht immer mit dem Finger auf die Schuld der Mitmenschen zu zeigen. Schuld ist ein zentrales Motiv in diesem Buch, nicht nur die individuelle, der Linde sich verweigert, sondern auch die allgemeine, historische. Dass die Schuldfrage auch noch an der deutschen Geschichte und der aktuellen Israel-Palästina-Problematik thematisiert wird, hat das Buch in meinen Augen etwas überfrachtet und zu viel „political correctness“ hineingebracht. Für mich wäre der Blick auf Familie Linde völlig ausreichend gewesen.

Gut gelungen ist der Kunstgriff Joachim Linde immer nur mit dem Nachnamen zu bezeichnen, während alle anderen Personen mit dem Vornamen angesprochen werden. Wie von selbst baut sich dadurch eine Distanz zu diesem unsympathischen Protagonisten auf. Und der Beruf ist perfekt gewählt, jemand, der so selbstherrlich und kritikunfähig ist, kann nur Lehrer sein. Denn die haben ja bekanntermaßen immer Recht.

Trotz des unsympathischen Helden hat mir das Buch gut gefallen, es ist flüssig geschrieben und die Handlung wird ständig vorangetrieben. Jakob Arjouni beweist mit diesem Buch für mich, dass er mehr zu bieten hat als Kayankaya-Krimis. (Christine)

Bewertung: ***

( * schlecht / ** ganz gut / *** gut / **** spitze)

Infos: Erschienen 2004 bei Diogenes, 188 Seiten, 17,90 €

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© 1998 Buecher4um, erstellt am 17.08.2005, letzte Änderung am 31.08.2005, Layout by abrakan