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Rezension

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Inhalt:

Im Januar 1995 hielt sich John Irving im Büro seiner Frau und Literaturagentin Janet auf und ging ihr auf die Nerven, so dass sich folgende Szene ereignete.

„Was hältst du davon, wenn du hier verschwindest?“ meinte sie. „Geh doch und schreib einen Roman.“ Ich gab mir alle Mühe, möglichst viel Selbstmitleid in meine Stimme zu legen, als ich sagte: „Mit einem Arm in der Schlinge und vier Stunden Krankengymnastik am Tag kann ich keinen Roman schreiben.“ „Dann schreib deine Memoiren oder sonst was“, schlug Janet vor. „Hauptsache, du verschwindest hier.“ (S. 150).

Wenn dieses Gespräch so nicht stattgefunden hat, ist es doch zumindest gut erfunden und John Irving begann tatsächlich im Januar 1995 mit seinen Memoiren. Doch warum ist einer der erfolgreichsten amerikanischen Schriftsteller so schwer an der linken Schulter verletzt, dass er keinen Roman schreiben kann? Ganz einfach, John Irving ist neben seinem Beruf als Schriftsteller auch noch Ringer und Ringertrainer und so lautet der Untertitel seines Buches auch „Vom Ringen und Schreiben“. John Irving wirft einige kurze Schlaglichter auf sein Leben, beginnend mit der Prep-School und seinen ersten Versuchen auf der Ringermatte. Obwohl er kein überragender Ringer wurde, nahm er doch regelmäßig an Wettkämpfen zwischen den Schulen teil. Ein Turnier gewann er jedoch nie und häufiger war er besonders zu College-Zeiten nur der Ersatzmann des Teams. Seine Begeisterung für den Sport ist jedoch nahezu grenzenlos, so dass er später als Kampfrichter und Trainer arbeitet. Auch seine Söhne führt er den Sport heran, deren Erfolge später die seinen weit übertreffen.

Aber auch John Irving hat ein Leben außerhalb der Ringerhalle, schon in der Prep-School besucht er den ersten Kurs „English 4 W“ (English for Writing) und schreibt seine ersten Kurzgeschichten. Obwohl er sich in diesen Kursen oft unwohl und nicht verstanden fühlt, weiß er heute wie wichtig sie für seine schriftstellerische Laufbahn waren. Überhaupt ist er kein guter Schüler, besonders Schreiben und Lesen lernt er als Legastheniker nur langsam und mühevoll.

Als er mit dem Ringen nicht so recht erfolgreich ist, verbringt er auf Anraten seines Trainers ein Studienjahr in Wien. Dort fühlt er sich jedoch nicht sehr wohl, die deutsche Sprache bereitet ihm Probleme und er empfindet Wien als eng und provinziell. Außerdem hat er sich erst kurz vor seiner Abreise in seine spätere Frau verliebt.

Nach seinem Abschluss arbeitet Irving an verschiedenen Universitäten als Dozent für Creative Writing, auch nachdem er schon die ersten Romane veröffentlicht hatte. Dadurch hat er zwar weniger Zeit zum Schreiben, aber auch die wirtschaftliche Unabhängigkeit seine Romane ohne Zeitdruck zu veröffentlichen. Erst nach dem Erfolg von „Garp und wie er die Welt sah“ gibt er die Tätigkeit als Dozent auf und lebt als freier Schriftsteller und Ringertrainer.

Meine Meinung:

Wer eine gewöhnliche Autobiographie erwartet, wird enttäuscht sein, denn das will dieses Buch nicht sein. Ringen und Schreiben sind die zwei Passionen des John Irving, von der das Ringen zumindest in diesem Buch den größeren Raum einnimmt. So ringen sich Dutzende von Sportskameraden an den verschiedenen Hochschulen und in den unterschiedlichen Gewichtsklassen durch dieses Buch. Mehr als einmal verlor ich den Überblick bei der großen Anzahl von Namen und Gewichtsangaben. Dafür kenne ich jetzt zumindest theoretisch eine Vielzahl von erlaubten und verbotenen Ringergriffen und Tricks, die ich eigentlich gar nicht kennen lernen wollte. Denn trotz John Irvings Begeisterung ist meine Definition von Ringen nach wie vor „Männer in Spielanzügen raufen“.

Vom Schreiben erfährt man weniger und leider gar nichts über die Entstehung seiner phantasievollen und skurrilen Romane. Aber man erfährt wie er seine Arbeit einschätzt, nämlich, dass er sich ähnlich wie beim Ringen nicht für ein großes Talent, aber für ausdauernd und beharrlich hält. Er arbeitet und verbessert so lange an seinem Text, bis er gut genug für die Veröffentlichung ist. Oder um es in seinen Worten zu sagen: „Schreiben ist wie Ringen. Man braucht Disziplin und Technik. Man muss auf die Geschichte zugehen wie auf einen Gegner.“

John Irvings Privatleben findet in dieser Autobiographie nicht statt, von seinen drei Söhnen erfährt man nur durch die sportlichen Erfolge, von seinen Eltern und seiner Familie fast gar nichts. In diesem Sinne hebt sich das Buch sehr positiv vom derzeit in Deutschland grassierenden Biographiewahn ab.

Insgesamt also ein für Irving-Fans nettes kleines Büchlein, wer sich dazu noch fürs Ringen interessiert, wird bestens bedient. Allen anderen empfehle ich die Romane von John Irving, denn die garantieren unterhaltsames Lesevergnügen. (Christine)

Bewertung: **

( * schlecht / ** ganz gut / *** gut / **** spitze)

Infos: Originalausgabe: The Imaginary Girlfriend, Erschienen als TB 2002 bei Diogenes, Aus dem Amerikanischen von Irene Rumler, 164 Seiten, 8,90 €

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© 1998 Buecher4um, erstellt am 28.10.2003, letzte Änderung am 28.10.2003, Layout by abrakan