Inhalt:
Martin
Nanther, englischer Lord mit ererbtem Titel, ist Schriftsteller
und derzeit mit der Stoffsammlung für sein neuestes Buch beschäftigt.
Er möchte die Biographie seines Urgroßvaters Henry Nanther
schreiben, einem der Leibärzte Königin Victorias. Sie verlieh
ihm den Titel, sie vertraute ihm die Gesundheit eines Großteils
ihrer Familie an.
Henry
war in seiner Zeit ein Experte auf dem Gebiet der Bluterkrankheit
(Hämophilie).
Martins
Frau Judith, ist zu der Zeit verzweifelt bemüht Mutter zu werden.
Diverse Fehlgeburten bringen sie zur Verzweiflung. Soll sie etwa
keine vollwertige Frau sein? An Martin kann es doch nicht liegen,
denn der hat ja schon einen erwachsenen Sohn.
Henry
nutzt für seine Arbeit gerne die Räumlichkeiten des Oberhauses.
Die Bibliothek zum Arbeiten, die diversen gesellschaftlichen Räume,
um sich mit entfernten Verwandten und Menschen zu treffen, die ihn
mit Material zu seinem Thema versorgen können. Zudem erhält er für
jeden Anwesenheitstag Spesen, die es ihm erleichtern seinen
Lebensstil fortzuführen.
Die
Forschung stellt Martin vor diverse Rätsel, denn Henry hat nicht
nur eine gute Partie sausen lassen, er hat sich auch nach dem Tode
seiner Verlobten mit deren Schwester vermählt. Was mag dahinter
stecken?
Martin
muss sich in dieser Zeit diversen Problemen stellen. Seine Ehe hängt
am seidenen Faden, sein Sohn versteht ihn nicht, suspekteren
Funden in Henrys Vergangenheit verfolgen ihn in der Nacht und der
drohenden Verlust seines Sitzes im Oberhaus scheint ihm die
Existenzgrundlage zu entziehen.
Meine Meinung:
Ein
aufregendes Buch, schaudererregend und faszinierend, mit einem überraschenden
Ende, so loben die Presseschnipsel auf dem Cover.
Jedoch
nicht für mich. Mir war die ganze Geschichte viel zu unübersichtlich.
Dabei konnten mir nicht einmal die beigelegten Stammbäume helfen.
Die verwirrenden Verwandtschaftsverhältnisse wurden durch die häufigen
Wiederholungen, wer nun zu wem gehörte, nicht spannender. Sie
rauschten an mir vorbei.
Judith,
die Frau von Martin, versucht schwanger zu werden, und kämpft
tapfer mit den Rückschlägen, während ihr Mann sich das Kind nur
wünscht, damit seine Frau glücklich ist. Er macht gute Miene zum,
für ihn, bösen Spiel – und langweilte mich mit seinen
dauernden Betrachtungen zu diesem Thema.
Die
Entfernung der Erblords aus dem Oberhaus, das weitere Nebenthema,
wurde so distanziert und analytisch behandelt, dass mich der
Lesesog auch deshalb nicht packen konnte. Während das in den
Kurzausschnitten und Presseberichten herausgestellte Hauptthema, Königin
Victoria, die Bluterkrankheit und die Vererbungslehre so blutleer
und technisch geschildert wurden, dass ich mich immer wieder
gefragt habe, warum lese ich eigentlich noch weiter.
Aber
genau das hat Barbara Vine geschafft. Ich wollte wissen, was für
ein Mensch Henry war. Ich habe zwar in der Mitte einige Passagen,
die mich mit Verwandtschaftsbeziehungen langweilten etwas oberflächlicher
gelesen, aber die
Auflösung, Henrys Beweggründe und die Entwicklung von Martin und
Judith Beziehung, die wollte ich erfahren. Ich denke es ist die kühle,
britische Distanz, die mich nicht hat warm werden lassen mit dem
Buch. Außerdem genügt es mir nicht, nur eine Person zu finden,
mit der ich mich teilweise identifizieren kann. Ich hatte mir
wesentlich mehr erhofft, nachdem mich die Presse mit der Historie
um Königin Victoria gelockt hatte. Die Spannung, wie Martin
seinem Urahnen auf die Schliche kommt, sein Besuch in der Schweiz,
der wunderbar geschildert wird, seine diversen
Verwandtschaftskontakte, dies alles genügte, dass ich zum Ende
von der Idee doch noch gefangen genommen wurde, jedoch noch immer
nicht begeistert war.
Für
mich keine Empfehlung, aber sicherlich für viele andere
LeserInnen. Diese müssten jedoch eine Schwäche für Patricia
Highsmiths Romane à la 'Ediths Tagebuch' oder 'Schrei der Eule'
haben ... Ich bin mir fast sicher, dass diesen Wesen das Buch sehr
gut gefällt. (Binchen, im Januar 2004)
Meine
Meinung:
Ich
bin eigentlich kein erklärter Ruth Rendell Fan, jedoch haben mir
bisher ihre Romane als Barbara Vine immer sehr gut gefallen. Bei
"Königliche Krankheit" bin ich mir selbst im
Nachhinein nicht sicher, ob es mir gefällt, schlägt es doch
etwas aus der Art.
Insgesamt ist das Thema sehr interessant, leider driftet die
Geschichte aber immer wieder in Nebenhandlungen ab, die auf mich
teilweise störend und eher wie "Füllmaterial" wirkten:
Judith Schwangerschaft, Martins Desinteresse am Kind, die Probleme
im englischen Oberhaus, etc. Ich könnte mir vorstellen, daß
Vine versucht, hier Parallelen aufzuzeigen zwischen Martin und dem
Leben seines Vorfahren. Für mich ist dieser Versuch aber nicht
geglückt.
Am interessantesten war für ich ohnehin nicht Martin, sondern die
Entwicklung von Henry, seine Geheimnisse, seine Beweggründe. Hier
kam richtig Spannung auf und mehrmals war ich enttäuscht und habe
das Hier und Jetzt etwas schneller überflogen um wieder mit Henry
auf die Suche zu gehen.
Als
geschichtsinteressierter Leser, hätte ich mir aber mehr
Verbindung mit dem englischen Königshaus und seiner Tradition der
Bluter gewünscht, wie es der Titel ja auch suggeriert. Die
beigelegten Stammtafeln sind eine nette Idee, helfen aber ehrlich
gesagt nicht wirklich weiter und sind nicht detailliert genug, um
alle Zusammenhänge ohne Hintergrundwissen wirklich begreifen zu können.
Schade, hier wird eine, aus meiner Sicht eine wichtige Komponente
vergeben.
Als es der Auflösung entgegen geht, wird immer wieder erwähnt,
wie schrecklich Henrys Handeln ist, wie skrupellos er ist, wie
gewissenlos. Ja gut, er ist kein Heiliger, und ein leichter
Schauer lief mir schon über den Rücken, aber insgesamt fand ich
die Dramatik etwas übertrieben. Oder besser gesagt, etwas
unpassend. Was Henry getan hat, ist auf eine andere Art
erschreckend, als es die Autorin meiner Meinung nach darstellt.
Sein Handeln ist verwerflich, aber der blanke Horror, wie Barbara
Vine es dem Leser durch Martin und Judith Reaktion einzuflössen
versucht, ist bei mir nicht angekommen.
Nun
frage ich mich, weshalb ich das Buch trotzdem an einem Tag
durchgelesen und stellenweise auch sehr genossen habe. Zum Einen
liegt es sicher am hervorragenden Stil der Autorin, die es
versteht in feinen Nuancen ihren Ausdruck auch der jeweiligen
Epoche anzupassen. Ihre Charaktere leben, sind auch in ihrer
manchmal unsympathischen Art unbedingt authentisch.
Die Story hat einfach eine fesselnde Idee und wird durch
ihren historischen Bezug noch realer. Man will als Leser immer
mehr wissen, lechzt nach weiteren Informationshappen und Vine
serviert sie gekonnt, aber zögerlich.
Sicher ist "Königliche
Krankheit" nicht eines ihrer besten Werke, aber
ich denke, daß es vielen wie mir gehen wird, die den Roman zwar
nicht toll fanden, sich aber seiner sehr unterschwelligen
Faszination nicht entziehen können.
Fazit: Vielleicht wäre etwas weniger, mehr gewesen. (Tara)
Bewertung: ** (Binchen)
Bewertung:
*** (Tara)
( * schlecht / ** ganz gut / *** gut
/ **** spitze)
Infos:
Diogenes-Verlag,
ISBN:
3-257-06345-8, 586 Seiten, Erscheinungsjahr 2003
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