Jerome Angust ist auf Geschäftsreise.
Sein Flugzeug hat Verspätung. Als wäre das nicht genug, gesellt
sich auch noch ein ungebetener Gast zu ihm, der sich mit dem
merkwürdigen Namen Textor Texel vorstellt. Er ist einer jener
aufdringlichen Menschen, die einen ansprechen, als wäre man schon
lange mit ihnen vertraut. Jerome Angust weigert sich zuzuhören,
doch da erweist sich Textor Texel als unerbittlich. Er erzählt
und überspringt dabei jeglichen einleitenden Smalltalk. Schon
bald vertraut er Jerome an, dass er nicht nur in der Schule
unbeliebt gewesen - wofür Jerome taktlos sein vollstes
Verständnis äußert -, sondern zudem noch ein Vergewaltiger und
gar Mörder sei.
Meine Meinung:
Dieses 106-Seiten Buch ist ein
wortgewaltiger Dialog, der jede zwischenmenschliche Grenze außer
Acht lässt und somit in die tiefsten und düstersten Winkel der
menschlichen Seele hinabblicken lässt. Sätze dieser Art finden
häufig in Beschreibungen über Bücher Verwendung. Doch selten
sind sie so verdient wie hier. An manchen Stellen dieses
nervenaufreibenden Gesprächs - das empfindet sicher nicht nur
Jerome so, sondern auch der Leser -, stockt einem der Atem ob der
Erkenntnis der Bedeutung des Gesagten. In psychologischer und
philosophischer Hinsicht, hat dieses Gespräch zwischen Jerome und
Textor viel zu bieten. Der Dialog behandelt Themen wie Schuld und
Buße, Freiheit und Eingeschränktheit, Gut und Böse, Liebe und
Zerstörung - Gegensätze scheinbar, die in diesem Dialog jedoch
beängstigend nah zusammenrücken.
Beängstigend ist auch zu erkennen, hinter
welchen Masken sich das Hässliche und das Böse verstecken kann.
Hier ist es so gut versteckt, das es für niemanden mehr kenntlich
ist. Amélie Nothomb ist hiermit ein im wahrsten Sinne des Wortes
kosmetischer Kunstgriff gelungen.
Das Erzähltempo dieser Autorin ist
atemberaubend. Dabei bleibt die Sprache jedoch jederzeit subtil
und geistreich, zugleich jedoch geschliffen scharf. Mit diesem
Buch ist mir etwas passiert, was mir selten widerfährt - auch
nicht bei einem so dünnen Buch: Ich musste es einfach ohne
Unterbrechung durchlesen. Angesprungen hat mir ihre Art zu
schreiben, und erst wieder losgelassen, als das Buch beendet war.
Sicher wird es nicht das letzte Buch
gewesen sein, das ich von dieser Autorin gelesen habe. Ihre Themen
scheinen immer interessant und eigensinnig umgesetzt. Etwas, was
mir jedoch nicht so recht behagt, ist, dass es meistens kurze
Büchlein sind, wie dieses. Nicht schlimm eigentlich, denn an der
Länge eines Buches mache ich nicht fest, ob es sich lohnt oder
nicht. Rein finanziell betrachtet aber schon. Denn 16,90 € für
106 Seiten, die auch nicht gerade eng gedruckt sind, ist schon ein
bisschen viel. Es wäre sicher erfreulicher, wenn ihre kürzeren
Geschichten zu einem etwas dickeren Buch zusammengefasst würden.
Fans von Amélie Nothomb wird das sicher
nicht vom Kauf abhalten. Die, die von dieser Autorin noch nichts
gelesen haben, werden aber sicher auf die Taschenbuch-Ausgabe
warten wollen. Mir würde diese jedenfalls dann reichen. (Petra)
Bewertung: ***