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Rezension

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Inhalt:

Paul de Witt ist auf der Flucht. Auf der Flucht vor der Vergangenheit und vor seinem eigenen Leben, die ihm gelingt, indem er seine Tage und Nächte vor dem Videogerät verbringt. Er ist Fernsehsüchtig und vernachlässigt darüber seine Frau und seine Kinder. Dabei hat er seit der Zeit als Student eine Vision: Er will ein Kapitel der französischen Geschichte umschreiben. Denn wäre die Flucht Ludwigs XVI. nicht missglückt, wäre der Fortlauf der Geschichtsschreibung ein anderer gewesen. Und somit hätten nachfolgende Ereignisse nicht zwingend stattfinden müssen. Alles wäre anders gelaufen, wenn nur, ja wenn... der Zufall den Fluchtversuch nicht vereitelt hätte. Doch wessen Geschichte Paul eigentlich meint, ist seine eigene. Darüber, dass seine Eltern in Auschwitz umgekommen sind, kommt er nicht hinweg und findet sich in seinem eigenen Lebenslauf nicht zurecht. Seine Frau, die merkt, wie sehr er sich mehr und mehr selbst zu Grunde richtet, drängt darauf, dass er seine Recherchen über König Ludwig XVI. wieder aufnimmt. So reist Paul nach Paris, lernt dort Pauline kennen, die wie er jüdischer Abstammung ist. Er fühlt sich in ihrer Nähe auf unerklärliche Weise verstanden. Als er ein Foto von ihr macht, ist im Hintergrund ein Mann zu sehen, der ihm selbst zum verwechseln ähnlich sieht. So begibt er sich auf die Suche nach diesem Mann, der sein Zwillingsbruder sein könnte, den es tatsächlich gegeben hat. Sie wurden im Krieg getrennt, als die Eltern ins KZ gebracht wurden...

Meine Meinung:

Vorweg: Eines ist schade! Es handelt sich zwar um das aktuellste Buch von Leon de Winter auf dem deutschen Buchmarkt, ist jedoch eines seiner Frühwerke (1981). Es behandelt de Winters Themen, die sich durch sein gesamtes bisheriges Werk ziehen. So ist das Motiv eines Juden, dessen Eltern die Judenverfolgung im dritten Reich miterlebt haben, nicht neu für de Winter-Kenner. Und so interessant er es auch schon hier, in diesem frühen Roman, angeht, so wenig vollendet erscheint es im Vergleich mit seinen jüngeren Büchern. Somit würde ich denen, die von de Winter noch nichts gelesen haben, seine neueren Romane empfehlen und nicht unbedingt diesen hier. Eingefleischten de Winter-Lesern ist dieser Roman dennoch sicher wichtig – das kann ich jedenfalls für mich behaupten. Hat er sich auch bis heute sehr zum Vorteil entwickelt, so ist diese frühe Erzählung dennoch besser als so manches andere, was auf den Buchmarkt gekommen ist. Sein Stil ist noch nicht so gefestigt, man merkt viel mehr Unsicherheiten als in den letzten Büchern, aber er hatte damals schon viel zu sagen. Seine Gedanken und Gefühle, die er in seinen Romanen verarbeitet, sind lesenswert – auch in dieser unvollkommenen frühen Form.

Somit ist es schön, dass der Diogenes Verlag, der de Winters Bücher in deutscher Sprache herausbringt, anstrebt, seinen Lesern Einblick in de Winters gesamtes Werk zu gewähren. Ich würde es schade finden, zu hören, dass de Winter weitere Bücher geschrieben hat, die mir als Leser in einem deutschsprachigen Land nicht zur Verfügung stehen. Aber ich fände es besser, den Leser darauf einzustimmen, dass es sich um ein frühes Werk handelt und eben NICHT um ein neues. Diese Enttäuschungen erlebt man nicht nur beim Diogenes Verlag, sondern generell immer mal wieder auf dem Buchmarkt. Aber das ändert nichts daran, dass es wünschenswert wäre, dass das von außen direkt kenntlich gemacht wird. Auch zum Besten des Autors und des Verlags, um nicht treue Anhänger zu vergraulen.

Noch einmal zum Buch selbst: Paul de Witt ist als Figur nachvollziehbar. Ebenso sein Wunsch, etwas am Unabänderlichen zu ändern. Wunderschön wird hier von de Winter die Hilflosigkeit und die tiefe Verletzung eines Holocaustüberlebenden nahe gebracht, der den Krieg selbst kaum miterlebt hat, da er zu klein war. Seine Wunden bezieht er aus seiner ausgelöschten Familie, ihrer komplett aus der Realität getilgten Existenz. Leon de Winter zeigt, was es heißt, seine Ursprünge nicht zu kennen. Kein Bild vor Augen zu haben von den Menschen, die einem das Leben schenkten. Der Wunsch, eine Familie zu haben, Erinnerungen, eine Vergangenheit. Sehr schön fand ich auch die Suche Paul de Witts nach seinem Zwillingsbruder geschildert. Die ihn weit führt. Vielleicht so weit, dass sie zur Obsession wird? Zur Lebensaufgabe, um das eigentliche Leben nicht angehen zu müssen? Schöne Gedanken hat de Winter hier zusammenfließen lassen. Und das allein ist die Lektüre schon wert, wenn es auch ein frühes, nicht ausgereiftes Werk von diesem genialen Autor ist. (Petra)

Button geht es zur Rezension des Hörbuchs (ungekürzte Lesung) von "Place de la Bastille" im Hoerbuecher4um.

Bewertung: **/*** 

( * schlecht / ** ganz gut / *** gut / **** spitze)

Infos: 158 Seiten, gebundene Ausgabe, Diogenes Verlag, 17,90 €

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© 1998 Buecher4um, erstellt am 19.10.2005, letzte Änderung am 02.04.2006, Layout by abrakan