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Rezension

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Inhalt:

Martina, die naive Hübsche "mit Augen wie ein angefahrenes Reh"  und Leon, der kleine, kurzsichtige Dichter sind auf den Weg in den Ort Priesnitz in der Ex-DDR, in die man "normalerweise nicht [zieht] (...), sondern aus der man wegläuft" . Hier möchte das frisch vermählte Ehepaar ein preiswertes Haus im Grünen kaufen. Unterwegs findet das Paar, passend zum Wetter, eine Wasserleiche.

Das Geld für diesen lang gehegten Traum erhält Leon für die Abfassung der Biographie seines neuen Arbeitgebers Benno Pfitzner. Der Zuhälter betreibt in Hamburg auf der Reeperbahn ein Geschäft, "an dem das deutsche Rechtssystem sich nicht richtig durchzusetzen vermochte" . Sein silbergraues Haar wirkt "furchteinflößend wie das Altersprachtkleid eines Pavians" .

"Nirgends würde [Leon] (...) so schreiben können wie hier. Er brauchte sich bloß an den Schreibtisch zu setzen, in die Weite des Moores hinauszuschauen, und schon entfaltete die Inspiration knallend ihre Flügel."  In Karen Duves REGENROMAN kommt es aber ganz anders.

Ihr Erstling wird von Wetterberichten durchzogen: "Starke Bewölkung und vereinzelte, zum Teil heftige Schauer, Höchsttemperaturen zwischen 11 und 14 Grad. Wind aus Nord-West, abnehmend 2 bis 3" , heißt es zu Beginn. Das Wetter - es regnet, schüttet, nebelt, dampft. Die Umgebung besteht ausschließlich aus Moor, Morast und Sumpf so weit das Auge blickt, mit "skelettierten Bäumen, als hätte ein Choleriker in seiner therapeutischen Malgruppe sie gezeichnet". Das Haus entpuppt sich zu einem "chinesischen Feuerwerk von Schimmelpilzen" mit "üppigem Champignongeruch" . Selbst die Zigaretten in der Jackentasche werden durchweicht. "Wenn man im Keller ein Handtuch an die Wand hing, konnte man es am nächsten Tag auswringen."  Dazu eine Frosch- und Schneckenplage, der Leon verzweifelt versucht Herr zu werden, lassen die Sehnsucht nach ländlicher Idylle und konzentriertem Arbeiten langsam zerplatzen.

Doch das sind erst die äußeren mißlichen Umstände, mit denen Leon kämpft. Ein schmerzhafter Bandscheibenvorfall plagt ihn zusätzlich, so daß er weder seinen ungeliebten Heimwerkerarbeiten nachgehen kann, noch an seinem Buch über Pfitzner weiterkommt.

Als sich dann auch noch die zwei Bewohnerinnen des Nachbarhauses, das Mannsweib Kay Schlei und ihre genußsüchtige, "hoffnungslos übergewichtige" Schwester Isadora Schlei, ins dahinmodernde Leben von Leon und Martina einmischen, gerät die Lawine restlos ins Rollen. Nun sind auch erotische Ausrutscher vorprogrammiert: Leon beginnt eine Affäre mit Isadorra, Kay verliebt sich in Martina. Als im zweiten Kapitel ein herrenloser Hund angestrolcht kommt, schließt Martina ihn sofort in ihr Herz. Sie gibt dem Hund den Namen Noah. Im Verlaufe des Romans nimmt dieser, durch Martinas ständige Bemutterung, Leons Platz ein.

Leon kämpft mit seinen Leiden. Später vegetiert er vor sich hin. Als der brutale Pfitzner schließlich noch auftaucht, gemeinsam mit Leons einzigem besten Freund Harry Klammt, der ihm damals den Biographieauftrag beschaffte und grinst "als wäre ihm ein entscheidender Teil des Gehirns herausoperiert worden", ist der tragische Verfall nicht mehr aufzuhalten. Der Zuhälter will sich für das Ausbleiben seines Buches rächen, welches ihm mit der "brutalsten und ekeligsten Vergewaltigungsszene der neueren Literatur"  auch gelingt. Während Leon in seinem eigenen Haus von Pfitzner brutal zusammengeschlagen wird, führt Harry seinen Auftrag, Martina zu vergewaltigen, kompromißlos und erbarmungslos im Nebenzimmer durch. "Er zerrte ihre Schamlippen auseinander und stopfte mit einer Hand seinen Schwanz in sie hinein, ruckte ein paarmal hin und her. Es passierte wirklich, und es passierte hier. Es tat weh. (...) Sie hörte, wie Leon im Wohnzimmer brüllte. Er brüllte wie ein Tier."

Während sich der REGENROMAN seinem Höhepunkt nähert, bemerkt Kay Schlei durch einen Zufall, was sich im Hause ihrer Nachbarn abspielt. Um Leon und Martina aus der grausamen Lage zu befreien, beschließt sie Isadorra als Verstärkung heranzuziehen. Beide bewaffnen sich mit einer Gartenschaufel und dem Gasbrenner, der eigentlich zum Einsatz der Hauswandentwässerung dient. Sie verbrennen Pfitzner und Harry zu Tode. Martina trennt sich von ihrem Mann und sucht bei ihren Eltern Geborgenheit.

Mit dem Wetterbericht zum letzten Kapitel, drei Monate später, leitet Karen Duve den Schlußteil ihres Buches ein. Sturmwarnung, Kälte, verstärkter Regen. Leons Traumhaus wird von dem Sturm so in Mitleidenschaft gezogen, daß ihm
bildlich "die Decke über dem Kopf" zusammen bricht. Nachdem er auch hier von Kay vor dem Schlimmsten bewahrt wird, beschließt Leon, der "Niemand. (...) [das] formloses Etwas ohne Kern. Ohne Wert." , sich im Moor ertrinken zu lassen.

Ansonsten enthält das Buch Handlungsstränge, die sehr absurd erscheinen: Vom Bullterrier, der ein Baby reißt und dafür mit einem Stein um den Hals in der Elbe ertränkt wird, bis zum Krämer, der sich an abgelegten Mädchenkleidern antörnt und dafür beinahe im Gefängnis endet.

Schließlich endet der REGENROMAN wie er beginnt: mit einer Wasserleiche.
(Inhaltsangabe von Mathias Kruse Kontakt: kruse@sleise.de) 

Meine Meinung: 

Zugegeben, der Titel von Karen Duves REGENROMAN klingt nicht sehr verlockend. Ist doch der Regen nicht gerade das, was die meisten Menschen in einem Buch suchen. Gespannt war ich, nachdem ich so viel über den ersten Roman der jungen Autorin gehört habe. Gehobene Literatur, Frauenroman, neue Literatur, Krimi, wunderschön und doppelbödig - na was denn? Also selber lesen und wirken lassen. Nur so viel: es war die Aufregung nur ca. 66,7 Prozent wert.
 
Der REGENROMAN ist aufgrund der einfachen und unkomplizierten Sprache sehr leicht zu lesen. Die kurzen aneinandergereihten Sätze, die Teilweise nur aus einem Wort bestehen, erzeugen Geschwindigkeit und Spannung. Dieses führt dazu, daß man das Buch regelrecht verschlingt. Jedoch bleibt dieser Turbo-Boost a la Nightrider in der Mitte des Romans für ca. 100 Seiten aus. Das ist sehr schade, weil man ehrlich gesagt nur weiterlesen möchte, wenn man wirklich nichts Besseres mehr zu tun hat. Diese Bremse setzt in Kapitel Sechs ein und hält bis zum Achten an. Hier verblaßt ihr rasanter Stil zur Einsilbigkeit. Der Leser wird von weniger wichtigen aber sehr langatmigen und ausführlichen Landschaftsbeschreibungen vom begeisterten Lesen abgehalten. Das sich Karen Duve in ihrer Vergangenheit, bevor sie den REGENROMAN schrieb, intensiver mit Tieren und Pflanzen beschäftigte ("Lexikon berühmter Tiere", "Lexikon berühmter Pflanzen") fällt deutlich auf. Sie setzt ihre biologischen Erkenntnisse mit ausführlichen Tier- und Pflanzenbeschreibungen ein. Da sie aber fast jedes Tier näher beschreibt, und es tritt nicht nur ein gottesgesegneter Hund in der Geschichte auf, ist diese Art jedoch eher störend.

Die angewandte moderne Sprache bekräftigt ihren schwarzen Humor, lockert auf und hebt den REGENROMAN deutlich von älteren "fast Kriminalromanen" ab. Trotzdem bin ich nicht von dieser Sprachwahl überzeugt wurden. Duve übertreibt. Sie ist vulgärer und ekliger als mancher sechzehnjähriger Junge. Mit Wörtern wie Mösensaft, Fotze, Muschi, Schwanz usw. verdirbt sie nicht nur den Geschmack, sondern läßt sich mit Jugendromanen in eine Schublade einordnen. Doch Geschmäcker sind bekanntlich verschieden. Mir ist diese Form moderner Sprache mit der bildlichen Assoziation die Duve dem Leser unterwirft einfach zu direkt.

Sehr interessant und lobenswert empfinde ich allerdings Duves Begabung zur Darstellung der Situationsveränderung der Hauptpersonen. Schön, gleichzeitig auch heftig, wie beispielsweise Leon von seiner eindeutigen superioren Rolle in die inferiore schlüpft, sowie Martina von den deutlichen Attributen ihrer schwachen, naiven, leisen Fraurolle zur "ich hau auf den Putz-Martina" wandelt. Der Verfall der Ehe, dieses unaufhaltsame grausame Schleichen der Zerstörung, macht Karen Duve wirklich brutal langsam, aber mit wirklich treffenden Worten, wie "formloses Etwas ohne Kern. Ohne Wert." , deutlich.

Beeindruckend ist auch die Leichtigkeit, mit der Duve oft das richtige Wort findet. Leon stürzt bei der versuchten Entwässerung seines Hauses in einen Drainagegraben und kann sich wegen seiner Kreuzschmerzen nicht mehr rühren. "Einer der kleinen Frösche", heißt es nun, "kam angepaddelt, hielt sich an Leons Brille fest, verschnaufte kurz und schwamm weiter."  Überzeugender kann man Leons Hilflosigkeit wohl nicht zeigen.

Außerdem gefällt mir der Rahmen, den die Autorin erzeugt. Die beiden Wasserleichen am Anfang und am Ende der Geschichte. Mit den Worten "Sie riß tatsächlich."   ihren Debütroman zu beenden, hat sie einen tollen Schluß gefunden. So abrupt und einfach.

Mein Lieblingsaspekt: Noah. Die Sintflut. Ach genau, das meistverkaufteste Buch der Welt - die Bibel. Ich wollte sie ja schon als kleiner Konfirmant lesen. Bin leider nie dazu gekommen. Doch Karen Duve hat mich dazu gezwungen, mich wenigstens mit dem 1.Buch Mose, der Sintflut und der Arche Noah zu beschäftigen. Ich muß schon sagen, die Duve ist sehr mutig gewesen, daß sie schon mit ihrem Vorwort den REGENROMAN in Vergleich zur Bibel stellt. Wahrscheinlich möchte sie hiermit eine gewisse Ernsthaftigkeit und Einordnung in gehobene Literatur erzwingen, aber dies schafft sie wahrlich nicht. Wie auch? Mit der vulgären Sprache hat sie ihr Buch doch schon in die komplett andere Schublade stecken lassen. Das der herrenlose zugelaufende Hund den Namen Noah trägt und natürlich gerade zu der armen schwachen Martina läuft, ist schon etwas kitschig. Das sie den Hund am Ende verschont läßt, ist kein Wunder, muß auch so sein. Denn wie selbst Noahs Vater Lamech mit seinen 182 Jahren schon sagte: "Der wird uns trösten in unserer Mühe und Arbeit auf dem Acker, den der HERR verflucht hat"  "Noah fand Gnade vor dem HERRN."  Es ist nur schade, weil man sich das Ende schon vorher ausmalen kann. Karen Duve benennt ihr Debüt selbst, als "nasseste Geschichte nach der Sintflut". Naß ist die Geschichte ja und feucht und modernd und so, aber diesen Ausspruch hätte ich an ihrer Stelle nicht gewagt.

Jedes Kapitel des Buches beginnt mit dem aktuellen Wetterbericht. Regen, Regen, Regen. Das Karen Duve hiermit die folgenden Kapitel teilweise vorausnimmt, ist sehr verlockend. Weiterhin ist es auch keine schlechte Idee hiermit zu beginnen, sonst würde man ja auch vergessen, das der REGENROMAN, REGENROMAN heißt. An so schlimme Regentage, wie sie Leon und Martina erleben müssen, erinnert man sich dann auch später noch - einen Nieselregen haben wir ja auch dauernd vor der Tür.

Im Ganzen hat der REGENROMAN nicht vollständig meine hohen Erwartungen erfüllen können. So toll wie z.B. die Stuttgarter Zeitung schrieb, ist die Autorin und ihr Roman nämlich nicht. Schlecht ist er auch nicht. Kein Leser wird
nach der letzten Seite des Romans mehr behaupten können, Regentage seien langweilig, das steht fest. Da geschehen gnadenlose Schneckenmassaker, werden Hunde mitleidlos ertränkt, vermoderte Wasserleichen entdeckt und im Hintergrund blubbert regelmäßig das schmatzende Glucksen einer Pfütze im Moor. Viele tolle Elemente sind vorhanden, aber diese überwiegen nur knapp den Wenigerschönen. 298 Seiten Nieselregen sozusagen. (Rezension von Mathias Kruse Kontakt: kruse@sleise.de)

Bewertung: **/*** 

( * schlecht / ** ganz gut / *** gut / **** spitze)

Infos: Duve, Karen (1999): Regenroman, Roman, Hardcover, 298 Seiten, ISBN 3821805471, DM 36,00 Verlag: Eichborn. Berlin 

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© 1998 Buecher4um, erstellt am 31.05.2001, letzte Änderung am 16.09.2003, Layout by abrakan