Dies ist eines der Werke Hermann
Hesses, das man ein wenig zögernd zur Hand nimmt. Die Sprache ist
einfach und rhythmisch gegliedert. Das Thema entführt den Leser
in die indische Welt des fünften vorchristlichen Jahrhunderts.
Man sollte zu diesem Buch nur dann greifen, wenn man sich nicht
bloß mal wonniglich unterhalten lassen möchte. Der Text zwingt
dazu, sich mit dem Sinn und Ursprung des Seins und den Tiefen des
eigenen Ichs auseinanderzusetzen.
Hesse, * 2. 7. 1877, + 9. 8. 1962
würde in diesem Jahr 2002 seinen 125. Geburtstag begehen können.
Und wir gedenken seines 40. Todestages. Nicht nur in Siddharta
geht er den oben erwähnten Fragen nach. Herausgehoben sei vor
allem sein voluminöses Meisterwerk "Das
Glasperlenspiel".
Aber nun zum buch selber.
Siddharta entstammt einer Bramanenfamilie. Streng werden die
vorgeschribenen Riten wie Waschungen, Gebete und meditative
Versenkung geübt. Auf die Dauer genügt dies dem herangewachsenen
Siddharta nicht. Er will mehr. Er möchte an den Quell des Seins,
an den Ursprung des Ichs vordringen. Zu diesem Zweck verläßt er
das Elternhaus. Sein Freund Gowinda schließt sich ihm an. Und sie
stoßen zu den in äußerster Härte und Kasteiung lebenden
asketischen Bettelmönchen. Einige Jahre leben sie unter ihnen,
bis auch das den stets stärker werdenden Wissensdurst Siddhartas
nicht mehr befriedigen kann.
In dieser Zeit hören sie von
Gaudama Buddha, dem Erleuchteten. Das Gehörte lockt die Freunde
weg von den Asketen auf die Fährte des neuen Lehrers. Sie kommen
zu ihm, der eine Menge Schüler um sich versammelt hat. Gowinda
ist von Buddha fasziniert und beschließt, bei jenem Erleuchteten
zu bleiben. Nicht so Siddharta. Er bejaht zwar alle Punkte der
Lehre Buddhas. Aber die Antwort auf die wesentlichen und
geheimsten Fragen kann ihm auch diese Lehre nicht geben. Dies wird
in einem Zwiegespräch zwischen Buddha und Siddharta deutlich,
worauf Letzterer sich von dieser Gemeinschaft und von seinem
Freund Gowinda verabschiedet.
Interessant ist, dass einer der
Namen Buddhas Siddharta ist. Hierin könnte man eine
bedeutungsschwangere Absicht Hesses vermuten. Siddharta fragt
weiter, schürft tiefer, geht näher an jegliche Grenzen als der
namensgleiche Buddha. Wohin ihn das führt, erzählt das Buch.
So macht sich also Siddharta auf
in die Welt, von der er nichts weiß. Er, der sich selbst nicht
kennt, will in der Welt sich selbst, sein Ureigenstes ergründen.
Wie er das beginnt, erinnert lebhaft an Parzival, mehr noch an
Simplizissimus. Erst quert er per Kahn einen Fluss und trifft auf
jenen Fährmann, der in seinem Leben noch eine wichtige Rolle
spielen wird. Dieser prophezeit ihm beim Abschied, dass sie sich
wiedersehen werden, was Siddharta nicht recht glauben will. Es drängt
ihn in die Welt. Und dieser begegnet er gleich vor der nächsten
Stadt, der Kurtisane. Siddhartas Erscheinung ist nicht unbedingt
das, was ihm auf Anhieb Achtung und Ansehen verschafft. Immer noch
trägt er die allerdürftigste Kleidung eines Bettel-Asketen. Das
bekommt er auf Schritt und Tritt zu spüren. Die Gunst der
Kurtisane wird ihm auch dann erst zuteil, als er sein Äußeres
den gängigen Normen angepaßt hat. Dazu braucht er Geld. Wird
Schreiber, später Teilhaber eines Kaufmannes, obschon er sich aus
dieser Sache absolut nichts macht und auch mit wenig Ernst an das
Geschäft herangeht. Allzusehr betrachtet er die Dinge aus dem
Abstand zur Welt mit den Augen des Asketen. Und die Dinge dieser
Welt wie die Menschen darin erscheinen ihm als Spielzeug und
Kindmenschen. Von der Kurtisane erlernt er die Kunst des
Liebesspiels. Doch lieben kann er nichts und niemanden.
Jahre gehen ins Land, in welchen
Siddharta mit und mit ein wohlhabender Kaufmann wird. Was der
einstige Asket - und auch der Leser - nicht für möglich hält,
Siddharta beginnt selbst zu dem zu werden, wovon er ehedem einen
großen Abstand hatte, zu einem Kindmenschen mit ermüdendem Geist
und satter Behäbigkeit. Es treiben ihn Spielsucht und Geldgier
immer weiter weg von seinem ursprünglichen Suchen. Zwanzig Jahre
sind vergangen. Immer noch besucht er die Kurtisane, die sich
ebenfalls allmählich zu wandeln beginnt, wenn auch in umgekehrter
Richtung. Immer wieder verlangt es sie, von Buddha reden zu hören.
Und sie denkt daran, eines Tages all dies zu verlassen, um zu ihm
zu pilgern. In jener Zeit hat Siddharta einen Traum, der ihn aufrüttelt.
Er führt ihm die Widerwärtigkeit seines derzeitigen Lebens vor
Augen. Und in gleicher Nacht noch macht er sich auf den Weg,
seinen Besitz und die Stadt verlassend, wieder zu einem Suchenden
zu werden.
Auf seiner Wanderschaft gelangt
er abermals an jenen Fluss, den er zuvor schon einmal überquert
hat und an welchem ihm der freundliche Fährmann begegnete. Im
Wasser erblickt er sein eigen Bild. Es ekelt ihn. Er verspürt den
starken Drang, in diese Flut hinein sein sinnloses, entleertes
Dasein zu werfen. Im letzten Moment besinnt er sich und fällt in
einen tiefen Schlaf. Als er daraus auftaucht, sitzt ein Mönch bei
ihm, der seinen Schlaf bewacht hat. Es ist Gowinda, sein Freund,
der nun Anhänger Buddhas ist. Ihr Wiedersehen löst heftige
Empfindungen aus. Aber sie trennen sich erneut, jeder auf seinem
eigenen Weg. Gowinda folgt Buddha. Siddharta dem Lauf jenes
Flusses, von dem er sich magisch angezogen fühlt. Trifft endlich
auch wieder jenen Fährmann, der ihn freundlich aufnimmt. Bleibt
schließlich bei ihm und wird sein Gefährte. Siddharta würde
gern von ihm lernen. Aber der Fährmann macht ihm klar, dass nur
der Fluss in der Lage sei, ihn etwas zu lehren. Und Siddharta habe
schon begonnen, seiner Stimme zu lauschen.
Weitere Jahre vergehen. Siddharta
und der Fährmann leben, arbeiten und meditieren einträchtig
miteinander. Viele Menschen queren den Fluss. Einige verweilen und
schütten ihr Herz aus. Siddharta lernt, zuzuhören. Auf ihrem Weg
zu Buddha gelangt auch die Kurtisane und einstige Geliebte
Siddhartas in die Nähe des Flusses. Es begleitet sie ihr und
Siddhartas Sohn, dem sie den Namen des Vaters gegeben hat Nicht
weit von der Fähre rasten sie. Die Kurtisane wird von einer
Schlange gebissen. Im Hause des Fährmannes stirbt sie in den
Armen Siddhartas, nachdem sie von ihrem Geliebten Abschied
genommen hat.
Nun leben in jener Hütte am
Fluss der Fährmann, Siddharta und sein Sohn. Nicht lange geht das
gut. Das Stadtkind ist den Überfluss, Wohlleben und Müßiggang
gewohnt. Hier wird er zu kleinen Arbeiten angehalten. Auflehnung
und Tränen. Später Rebellion. Eines nachts macht sich der Sohn
Siddhartas mit dem Fährgeld aus dem Staub. Schmerz empfindet der
Vater. Sogleich folgt Siddharta und sucht nach ihm, obschon ihm
der Fährmann davon abrät, da jeder seinen eigenen Weg finden und
gehen muß. Nicht lange, und der Fährmann holt Siddharta aus der
Stadt zurück und jener sieht ein, dass er Recht hat.
Es folgt eine Zeit der Stille und
Reifung. Siddharta gewinnt immer mehr Einblick in die Zusammenhänge
von Zeit und Schicksal. Der Fluss ist ihm Beispiel und sprechender
Lehrmeister. Eines Tages weiß der Fährmann, dass Siddharta sein
Ziel erreicht hat und seinen Beistand nicht mehr braucht. Er
verabschiedet sich und geht in die Wälder.
Siddharta übt nun allein das Amt
des Fährmannes aus. Es spricht sich herum, dass dort ein
wunderlicher weiser Alter am Fluss wohnt. Viele kommen zu ihm,
weil dieser Einsiedler die seltene Gabe des Zuhörens versteht. So
besucht ihn auch einmal Gowinda, ohne zu wissen, wer der Alte ist.
Der gibt sich nach kurzer Zeit zu erkennen. In diesem letzten
Gespräch der beiden Freunde packt Hesse noch einmal alles hinein,
was ihm wertvoll und wichtig an der indischen Weisheit erscheint.
Quintessenz: Hesses Siddharta ist
ein Buch über den Weg, weise zu werden. Die Handlung - hier mit dürren
Worten wiedergegeben - kann wenig vom Eigentlichen vermitteln, was
dieses überaus interessante Buch ausmacht. Man muß es lesen. Man
muß sich Zeit nehmen, Bilder, Gedanken und Gedanken hinter den
Gedanken auf sich wirken zu lassen. Selbst wenn man am Anfang den
Einstieg nicht sofort findet. Am Ende hat man den Wunsch, das Buch
gleich nochmals zu lesen.
Vier Sterne ist mir das Werk
wert. Hätte ich mehr, würde ich sie bedenkenlos vergeben. (Johannes
Weidner - Juni 2002