David Kelsey ist verliebt. Seine
Angebetete heißt Annabelle. Doch leider hat sie inzwischen jemand
anderen geheiratet. Zuvor war sie eine Weile mit David liiert, bis
dieser für ein paar Monate aus beruflichen Gründen - er wollte
Annabelle etwas bieten können - weit weg zog, in ein Zimmer in
einer kleinen Pension. Zu der Zeit lernt Annabelle Gerald kennen
und heiratet ihn. David kann mit seiner Beziehung zu Annabelle
nicht abschließen. Er ist sicher, dass Annabelle einen Fehler
gemacht hat und das einst einsehen wird und zu ihm zurück kommt.
So bleibt er länger als geplant in der Pension und übt weiterhin
den Job aus, der ihn zwar nicht erfüllt, aber das Geld einbringt,
was er für Annabelles und seine Zukunft vorgesehen hatte. An den
Wochenenden fährt er zu einem Haus, das er zwischenzeitlich
gekauft und liebevoll eingerichtet hat. Für seine Annabelle. Da
sich sein Plan Annabelle zurückzugewinnen verzögert, weil sie
einfach nicht einsehen will, dass sie eine Dummheit begannen hat
und auch noch beteuert glücklich mit Gerald zu sein, verlebt er
nun vorerst die Wochenenden allein dort. Das heißt, nicht ganz
allein. Denn in seinen Gedanken lebt er dort mit seiner geliebten
Annabelle zusammen. Was wie ein kleines Spielchen anfängt um den
Schmerz ein wenig zu mildern, den der vorläufige Verlust
seiner Angebeteten hervorruft, entwickelt sich zu einem Netz aus
Lügen und Identitäten, in dem David sich immer mehr verfängt.
Und dann... ja, dann sucht Gerald ihn in seinem Haus auf, da David
einfach nicht aufhört Annabelle Briefe zu schreiben und sie unter
Druck zu setzen, Gerald zu verlassen...
Meine Meinung:
Highsmith lesen heißt einer
Einladung folgen. Diese Einladung führt an einen Ort, den man
sonst nicht betreten kann: hinein in den Kopf der Hauptfigur, hier
David Kelsey. Seine Gedanken sind fortan auch die Gedanken des
Gasts - des Lesers. Direkt fühlt man sich ganz wie zu Hause,
sprich: wie im eigenen Kopf. So ist es ein Leichtes, Davids
Gedanken zu folgen. Mit ihm zu hoffen, seine Enttäuschungen zu
verschmerzen... und derer gibt es viele. Denn wir befinden uns
nicht in der Realität. Wahr ist, dass Annabelle sich für einen
anderen Mann, für ein anderes Leben entschieden hat und gegen
David. Wir - David und somit auch der Leser - sehen das aber in
einem anderen, eigenen Licht. Situationen und Aussagen werden
zurechtgebogen, wie sie gebraucht und gewünscht werden um die
Augen vor der Wahrheit zu verschließen. Wie plausibel diese
verdrehten Tatsachen aussehen, ist verstörend. Und Davids
mangelnde Gabe zu sehen, was jeder Außenstehende auf einen Blick
erkennt, ist beunruhigend. Denn im Grunde kennt das sicher jeder
aus eigener Erfahrung: alle Welt sagt einem was offensichtlich ist
und man selbst ist der Letzte der es noch nicht verstanden hat. Es
ist auch zu verlockend sich im Kopf etwas unbequemes schön zu
reden. So können aus kleinen Verdrehtheiten Lebenslügen
entstehen. Davids Geschichte zeigt das ganz deutlich. Zudem
aufgrund der Erzählweise sehr gut nachvollziehbar, zumindest bis
an einen gewissen Punkt, an dem man sich mit David, auch als Gast
in seinem Kopf, nicht mehr solidarisch erklären kann.
Patricia Highsmith ist jedoch
nicht die einzige, die mit diesem Buch eine Einladung ausspricht.
Auch der Diogenes Verlag lädt ein: Mit der überarbeiteten
Werkausgabe - zu der das der Rezension zugrunde liegende Buch
gehört - lädt der Verlag ein, Patricia Highsmith neu zu
entdecken. Davon kann hier getrost die Rede sein. Denn selbst wer
ihre Romane in deutscher Sprache schon kennt, kennt sie noch
längst nicht ganz. Im Rahmen der überarbeiteten Werkausgabe
erscheinen Patricia Highsmiths Romane erstmalig ungekürzt. Für
den vorliegenden Band heißt das, dass Leser einer früheren
Ausgabe um rd. 150 Seiten betrogen wurden. Nach und nach bringt
der Diogenes Verlag Highsmiths Werk in neuer Übersetzung heraus,
angelehnt an den Originaltext, also ungekürzt.
Den Bänden der überarbeiteten
Werkausgabe ist jeweils eine editorische Notiz von Anna von Planta
angehangen, als auch ein Nachwort von Paul Ingendaay, der sich
eingehend mit der Autorin und ihrem Werk befasst hat. Highsmith
hat zu Lebzeiten viel in Tage- und Notizbüchern dokumentiert. So
bietet das in Der süße Wahn angefügte Nachwort Einblick
in die einzelnen Entstehungsstufen des Romans, als auch Aufschluss
darüber, wodurch die Autorin zu dieser Idee inspiriert wurde.
Highsmith-Fans wird das besonders freuen, da man auf diesem Weg
auch ein wenig über ihr Leben und ihre Person erfährt. Bisher
war hierüber allgemein wenig bekannt, da sie sehr zurückgezogen
gelebt und kaum Einblicke in ihr Leben gewährt hat.
Fazit: Nimmt man die Einladung
von Patricia Highsmith und dem Diogenes Verlag an, so ist gewiss,
dass man einen angenehmen Aufenthalt in einem 4-Sterne-Ambiente
gebucht hat. Deshalb auch von mir 4 Sterne für Gastgeber ihres
Kalibers, die keine Wünsche offen lassen. (Petra)
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