„Ein Jude in einem Porsche?“
Diese verwunderte Bemerkung hört Max Breslauer, vermögender Erbe
des Textilkonzerns „SuperTex“, nicht zum ersten Mal. Doch an
diesem frühen Samstagmorgen, an dem er mit zu hoher
Geschwindigkeit durch die Amsterdamer Innenstadt gerast ist und
beinahe eine Familie orthodoxer Juden auf dem Weg in die Synagoge
ausgelöscht hätte, löst sie eine Lebenskrise aus. Da hilft nur
noch der direkte Gang zur Psychoanalytikerin, die gegen ein
Extrahonorar gern bereit ist, sich ihm einen ganzen Tag lang zu
widmen. Max legt sich auf die Couch und erzählt aus seinem Leben.
Er schildert seine die Pubertät
überdauernden Auseinandersetzungen mit dem dominanten Vater,
gegen den er einst aufbegehrte, indem er sich von den jüdischen
Traditionen abwandte. Die jugendliche Revolte blieb erfolglos,
denn auf Einwände des KZ-Überlebenden Simon Breslauer wie „Ich
würde was drum geben, wenn ich meine Eltern noch hätte, ich
würde sie anders behandeln, da kannst du Gift drauf nehmen!“
lässt sich einfach nichts Überzeugendes erwidern. Folglich
verlässt Max sein Elternhaus. Nach dem tragischen Scheitern
seiner Beziehung zu Esther, seiner großen Liebe, kehrt er jedoch
in das Familienunternehmen zurück, was erneute
Vater-Sohn-Konflikte heraufbeschwört, die noch nicht einmal nach
dem Unfalltod des Familienpatriarchen ausgestanden sind. Simon und
seine Vergangenheit beherrschen die Gedanken des Sohnes. Zudem „erbt“
Max Simons Geliebte Maria. Und von den „marokkanischen“
Turbulenzen der letzten Wochen, die sein jüngerer Bruder
Benjamin, genannt „Boy“, ausgelöst hat, hat Max sich auch
noch nicht erholt.
Meine Meinung:
„SuperTex“ ist ein flüssig
zu lesender, humorvoller und trotz der Rückblenden übersichtlich
strukturierter Roman. Leider fehlt ihm die Vielschichtigkeit, die
bei „Leo Kaplan“, einem anderem Roman Leon de Winters, zu
finden ist. Zunächst stehen die Episoden, die Max über die
Menschen, die ihm nahe stehen, erzählt, nahezu unverbunden
nebeneinander. Dabei gelingt es dem Autor, auf wenigen Seiten
virtuos die Liebesgeschichte zwischen Max und Esther zu erzählen,
von ihrem überwältigenden Anfang bis zu ihrem bitteren Ende,
oder mit wenigen Dialogzeilen witzig und warmherzig die rührende
Sorge der Mutter um das Wohlergehen ihrer Söhne zu schildern.
All die kleinen Biographien
werden um Max’ Existenz herumgruppiert und ihr Leitmotiv ist die
individuelle Sinnsuche: Was soll man aus dem eigenen Leben machen,
was ist wirklich wichtig? Das sind keine bahnbrechenden
philosophischen Fragen, aber existenzielle, und sie treiben einige
der Romanfiguren, die man zur Generation der so genannten „Yuppies“
der späten 1980er Jahre zählen kann, im vorliegenden Buch heftig
um. Esther, die Anwältin, und Boy, der etwas einfältige und
konturenlose Buchhalter von „SuperTex“, ändern ihre bisherige
Lebensführung auf dramatische Weise. Sie erteilen ihren
bisherigen materiellen und oberflächlichen Werten eine deutliche
Absage und finden Antworten in der Hinwendung zur Religion. Denn
„ein Jude ohne Hut“ ist genauso unpassend wie ein Jude in
einem Luxusauto. Max selbst findet nicht zu seinem Glauben
zurück, doch er erkennt, dass er nun mal der Sohn seines Vaters
ist, in jeder Hinsicht. Erst als er bereit ist, diese Tatsache zu
akzeptieren und sein kulturelles Erbe anzutreten, kann er seine
innere Ruhe wieder finden. (© Fevvers 2004)
Bewertung: ***