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Rezension

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Inhalt:

Baschkirien 1944/45: Der kleine Rudik sieht am Bahnhof von Ufa die schwer verletzten und seelisch gepeinigten Soldaten ankommen und hofft, eines Tages auch seinen Vater unter den Kriegsheimkehrern zu entdecken. Manchmal führt er zum Vergnügen der Soldaten im Krankenhaus, in dem seine Mutter am Rande der Erschöpfung die Patienten versorgt, Volkstänze auf. In den Nachkriegsjahren lebt die vereinte Familie am Rande des Existenzminimums. Der feinfühlige Rudik, der von den unbarmherzigen Mitschülern als „Mädchen“ verspottet wird, leidet unter der autoritären Erziehung des Vaters. Die Bekanntschaft mit Anna verändert alles. Die mit ihrem Mann in der Verbannung lebende ehemalige Balletttänzerin entdeckt Rudiks Talent und fördert seine Liebe zur Musik. Sie unterrichtet ihn gegen den ausdrücklichen Wunsch des Vaters, der auf ihn ängstigende Andersartigkeit des Sohnes mit Schlägen reagiert. Vergeblich.

Rudiks erster Karrieresprung führt ihn in den späten 1950er Jahren an die Ballettschule des Opernhauses Leningrad, wo er ein für die damaligen politischen Verhältnisse ungebundenes Leben führt. Anlässlich eines Gastspiels in London setzt er sich 1961 von seinem Ensemble ab. Zusammen mit seiner Partnerin, der berühmten Tänzerin Margot Fonteyn, avanciert er im Westen zum Publikumsliebling, während sich seine Angehörigen in der Sowjetunion staatlichen Repressionen ausgesetzt sehen.

Trotz seines Ruhms und der Anerkennung, die Nurejew erfährt, bleibt er ein innerlich Getriebener, ist auf der ganzen Welt und doch nirgends wirklich zu Hause. Sein Leben im New York der wilden 1970er Jahre ist geprägt von Szene-Parties, Drogen und sexuellen Exzessen. Die Sehnsucht nach seiner Heimat lässt sich damit nicht stillen. Erst sehr spät ist ihm noch ein einziger Tag im Kreis seiner Familie vergönnt.

Meine Meinung:

Colum McCann erzählt eine weitgehend fiktive Biografie des Balletttänzers Rudolf Nurejew (1939-1993), und er erzählt sie ganz anders, als man es von Romanbiografien normalerweise erwartet. Die Erzählperspektive wechselt oft. Er fokussiert nicht ausschließlich den weltbekannten Tänzer, sondern desgleichen die Menschen, die diesem mehr oder weniger nahe standen, die sein Leben kreuzten oder begleiteten und maßgeblich prägten. Auf diese Weise gewinnt die Person Nurejews Konturen - annähernd. Seine Existenz scheint beinahe unergründlich, wird gefiltert durch die Wahrnehmungen der anderen, bleibt wie hinter einem Schleier verborgen, der niemals ganz gelüftet werden kann.

Der auktorialen Erzählweise stehen mehrere Ich-Erzähler gegenüber. Die Schwester, verschiedene Freunde, die Haushälterin und viele andere Personen berichten von ihren kurzen oder lang anhaltenden Begegnungen mit Rudolf Nurejew, über ihre eigenen Lebensumstände und -wege und den Raum, den der Tänzer auf geradezu egoistische Weise darin für sich beanspruchte. Gemeinsam zeichnen sie das facetten- und kontrastreiche Bild eines leidenschaftlichen Menschen, der sich nicht recht einordnen lässt, sich gar nicht einordnen lassen will. Nur ein einziges Mal lässt McCann ihn selbst zu Wort kommen, in Form von tagebuchartigen Reflexionen, die mittelbare Distanz wahren. Diese experimentelle Konstruktion macht das Lesen des auch sprachlich herausragenden Romans zu einem einzigartigen Vergnügen. Auch für diejenigen, die sich nicht für das Ballett interessieren, denn darum geht es eigentlich nur am Rande, vielmehr geht es um einen modernen Mythos vor zeitgeschichtlichem Hintergrund. (© Fevvers 2005)

Bewertung: **** 

( * schlecht / ** ganz gut / *** gut / **** spitze)

Infos: rororo 2004, TB, 119 Seiten, 9,90 €.

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© 1998 Buecher4um, erstellt am 14.01.2005, letzte Änderung am 02.02.2005, Layout by abrakan