Zeit
der Handlung: ab 1410
Ort der Handlung: Konstanz, Schwarzwald, Straßburg und Umgebung
Handlung:
Marie
Schärer lebt als gut behütete Tochter in Konstanz. Gerade ist
ihr eine glänzende Partie beschieden; der Rechtsgelehrte
Ruppertus Splendidus, illegitimer Sohn eines Grafen, hat um ihre
Hand angehalten.
Der
Vater kann das Glück seiner Tochter kaum fassen, diese ist jedoch
skeptisch, denn sie kennt den Herrn ja gar nicht. Aber das ist zu
dieser Zeit üblich, die Liebe kommt mit der Ehe, ist der
Standardspruch, den Marie sich dazu einprägt.
Ruppertus
hat es jedoch nicht auf die Tochter, sondern auf Geld abgesehen.
Und durch eine hinterhältige, hässliche und brutale Intrige,
werden Vater und Tochter ins Verderben gestürzt. Die Schärers
werden in einen Prozess verwickelt, an dessen Ende das Urteil
steht, das Marie in Schande die Stadt verlassen muss, da sie nicht
lügen wollte, wird sie zudem auch gezüchtigt.
Ihre
Verletzungen, körperlicher und seelischer Art, verheilen langsam,
genauso langsam wächst mit der Umgebung in die Marie gerät, die
Erkenntnis, dass ihr weiteres Leben das einer Wanderhure sein
wird, denn Hiltrud, die Frau, die sich Maries annimmt, klärt sie
über die Verhältnisse auf, in denen sich die ehemals unbedarfte Jungfer, nun befindet.
Als
Hübschlerin wird die schöne Marie erfolgreich, aber eines hat
sie dabei nicht verdrängen können: Den Wunsch, sich an ihrem
Verlobten und seinen Helfershelfern zu rächen.
Wie
soll es einem Wesen der untersten Bevölkerungsschicht gelingen
eine angesehene Bürger- und Aristokratenschar ihrer gerechten
Strafe zuzuführen, diese Frage wird auch die LeserInnen auf gut
600 Seiten nicht mehr loslassen.
M
eine Meinung:
Iny
und Elmar Lorentz haben mit ihrem dritten historischen Roman ein
anschauliches Bild der Zeit um 1400 geschaffen. Nicht die Wesen königlichen
Geblütes sind es, die uns hier vordringlich beschäftigen,
sondern die Schicksale einfacherer Menschen, Bürger, Kaufleute,
Ritter, Räuber, Mägde und nicht zuletzt die Huren, die dem Buch
den Titel gaben.
Beeindruckend
vor allem die recherchierten Details, die die Geschichte
anschaulich werden lassen. Prozess-, Kleider- und
Gesellschaftsordnung, Strafen, Natur, Heilkunde, ... - viele
Einzelheiten, die einen Menschen von heute zum Staunen bringen,
sind in den Verlauf eingeflochten.
Wir
leben und leiden mit Marie, der behüteten Bürgerstochter, ihr häusliches
und soziales Umfeld, wird genauso erfahren, wie später ihre Zeit
als Hübschlerin. Besonders diese Teile dürfte für beinahe
Jeden, der nicht schon selbst in diesem Umfeld geforscht hat, viel
Interessantes zu bieten haben, überraschende Einsichten
bezüglich der Doppelmoral von Kirche und Gesellschaft tun sich
auf, und auch heute ist es immer noch eher anrüchig überhaupt
das Wort 'Hure', selbst im historischen Zusammenhang, zu
verwenden. Die Blicke der Kollegen, als mein Buchpaket ankam haben
mir das bestätigt. Allerdings 'durften' die dann auch meinen Erklärungen
lauschen, die mir diebischen Spaß gemacht haben.
Die
Wanderhure ist ein Roman für meine TOP-2004-Leseliste. Immer ist
der Leser atemloser Teilhaber des Geschehens. Die Autoren gönnen
uns keine Ruhe und Erholung, sondern erfreuen uns mit stetiger,
glaubwürdiger Spannung ohne jemals gefühlsduselig zu werden, oder
in seichte Darstellungen abzudriften. Auch das Ende der Geschichte
ist perfekt.
Für
empfindsame Geschöpfe sei der Hinweis gestattet, dass es
besonders am Anfang recht heftig, im Sinne von brutal, wird. Dabei
verstehen es die Autoren das Kino im Kopf anzustoßen, ohne alles
en detail zu schildern, die Szenen sind jedoch für das Verständnis
der Folgehandlungen notwendig. Wer schon häufiger historische
Romane gelesen hat, dürfte allerdings wegen der Brutalität nicht
allzu verwundert sein. (Binchen, April 2004)