Rebecca Gablé
Weiße Weihnacht (Folge 5)
Ein letztes Mal rammte er
die Schneeschaufel über die Auffahrt, betrachtete einen Moment
lang die ordentlich freigeschaufelte Auffahrt zwischen den
ordentlich freigeschaufelten Auffahrten der Nachbarn, brachte
die Schaufel zurück in die Garage und hängte sie ordentlich an
ihren Haken. Der Himmel hatte eine weißlichgraue Farbe, wie ein
altes, verwaschenes Bettlaken. Es würde noch mehr Schnee geben.
Von
der Garage führte eine Tür direkt in die Küche. Er trat ein,
und der Duft von Weihnachtsplätzchen hüllte ihn ein, zu süß
und viel zu aufdringlich. Seine Kehle zog sich zu, und einen
furchtbaren Moment lang war er überzeugt, sich auf den sauberen
Küchenboden übergeben zu müssen.
"Was hast du denn, mein Junge?" fragte seine
Mutter verwundert.
"Nichts."
"Du bist so
blass."
"Das macht die
Kälte."
"Fängst du
jetzt mit dem Baum an?"
"Gleich."
Er starrte auf die geschlossene, weiße Kühlschranktür.
"Christian,
träumst du?"
Er
drehte sich zu ihr um und sah sie endlich an. Eine hübsche Frau
Mitte vierzig. Gute Figur, gutes Make-up, alles in Ordnung. Es
war so faszinierend, wie perfekt die Politur war. Die dünne
Tünche. Er fand die Vorstellung erschütternd, dass sie
irgendwann einmal ein junges Mädchen gewesen war, nicht seine
Mutter, einfach ein Mädchen, vermutlich mit Petticoats oder
diesem ganzen Zeug, Tanzstunde. Wahrscheinlich hätte sie sich
damals nie träumen lassen, wozu sie einmal verkommen würden.
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... Fortsetzung folgt morgen!
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