Erzählungen

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Re: Erzählungen

Beitragvon Wolf » Mo 19. Jan 2009, 13:16

Hallo Steffi,

vorneweg ein kurzer Hinweis: das englische Original "The Thirteenth Woman" kann man auch im Netz nachlesen, z.B. an dieser Stelle.

steffi hat geschrieben:Da die dreizehnte Frau nichts isst, nicht nass wird und auch nicht Tag und Nacht empfindet, glaube ich nicht, dass es sich um eine existierende Person handelt.

Im Rahmen der Erzählung existiert sie durchaus, sie ist sogar die einzige Frau, von der ausdrücklich gesagt wird, daß es sie in der Stadt gibt (erster Satz) und daß sie in der Stadt lebt (letzter Satz). Die anderen zwölf Frauen werden nur ganz am Anfang sozusagen nebenbei erwähnt: In a town of twelve women there was a thirteenth. Es wird nicht gesagt, daß diese zwölf Frauen irgend etwas tun oder ob es überhaupt lebendige Frauen sind.

In Wirklichkeit gibt es ja ohnehin keine dieser Personen, es sind erfundene Figuren, sie werden erst durch das Erzählen geschaffen, und dadurch daß sich die Erzählerin auf die dreizehnte Frau konzentriert, erscheint diese Frau sogar schärfer und deutlicher als die zwölf anderen Frauen, von denen kaum die Rede ist. Das Widersprüchliche und Reizvolle an dieser Erzählung ist, daß von einer Person geredet wird, die sich dadurch auszeichnet, daß niemand über sie redet, weil sie nichts tut und ihr nichts geschieht, worüber man reden könnte.

Dem was Du über Märchen und die "böse Zahl" geschrieben hast, könnte ich aber durchaus zustimmen. Der Ton erinnert an ein Märchen; eine Stadt mit so wenigen Einwohnern ist ohnehin unrealistisch, und die Zahl "dreizehn" ist sicher kein Zufall. Diese Zahl ist mit Gedanken wie "Unglück" oder "Nichtdazugehören" verknüpft.

Schöne Grüße,
Wolf
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Re: Erzählungen

Beitragvon Petra » Mo 19. Jan 2009, 14:59

Hallo Wolf,

Deine Ausführungen zur dreizehnten Frau habe ich erst mal nur überflogen. Vertiefen möchte ich das erst wenn ich die Geschichte selbst gelesen habe und sie habe auf mich wirken lassen. Aber gut zu wissen, dass ich hier dann nachlesen kann.

Warum ich aber schreibe:

Wolf hat geschrieben:ich lese gerade "Fast keine Erinnerung" von Lydia Davis. Nach dem vielen Lob, das dieses Buch hier erhalten hat, war man ja praktisch gezwungen, es sich zu kaufen.


Über den Satz musste ich sehr schmunzeln und ich stimme Dir zu: Ich fühlte mich auch gezwungen es zu kaufen! :mrgreen:
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Petra


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Re: Erzählungen

Beitragvon steffi » Mo 19. Jan 2009, 17:57

Hallo Wolf,

Wolf hat geschrieben:In Wirklichkeit gibt es ja ohnehin keine dieser Personen, es sind erfundene Figuren, sie werden erst durch das Erzählen geschaffen, und dadurch daß sich die Erzählerin auf die dreizehnte Frau konzentriert, erscheint diese Frau sogar schärfer und deutlicher als die zwölf anderen Frauen, von denen kaum die Rede ist.


Da stimme ich dir voll zu. Ich überlegte nur, ob es sich bei der Stadt tatsächlich um eine Stadt handelt oder ob es eine Metapher ist.

"In a town of twelve women ... " klingt für mich sehr besitzanzeigend, es ist die Stadt der zwölf Frauen und die dreizehnte fällt aus dem Rahmen. Am Ende werden ja auch nicht die 12 Frauen thematisiert, wie du ja auch schon erwähnt hast, sondern die Stadt "...without resenting what it did to her." Diese Personifizierung der Stadt brachte mich auf den Metapher-Gedanken.
Gruss von Steffi

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Re: Erzählungen

Beitragvon JMaria » Mi 21. Jan 2009, 14:47

steffi hat geschrieben:"In a town of twelve women ... " klingt für mich sehr besitzanzeigend, es ist die Stadt der zwölf Frauen und die dreizehnte fällt aus dem Rahmen. Am Ende werden ja auch nicht die 12 Frauen thematisiert, wie du ja auch schon erwähnt hast, sondern die Stadt "...without resenting what it did to her." Diese Personifizierung der Stadt brachte mich auf den Metapher-Gedanken.


Hallo Steffi, hallo Wolf,

ich bewundere eure Interpretationsgabe. Ich habe die kurze Erzählung nochmals durchgelesen. Den Metapher-Gedanke, dass hier die Stadt personifiziert wird, ist faszinierend!

Danke für den Gedanken.

@Steffi,
ich habe auch nochmals die Kurzgeschichte "Foucault und Bleistift" gelesen. Mit deinem Hinweis im Sinn, dass das Personalpronomen fehlt (außergenommen das "ich" im Akkusativ - "mich"). Dennoch wird das Pronomen durch Foucault thematisiert.

Lydia Davis hat schon eine besondere Art mir der Sprache zu experimentieren.

Liebe Grüße
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Re: Erzählungen

Beitragvon JMaria » Do 12. Feb 2009, 10:44

Hallo zusammen,

bei zweitausendeins gibt es nun Sämtliche Werke von Katherine Mansfield in einem Band in einer neuen Übersetzung.

Katherine Mansfield "Sämtliche Erzählungen". Aus dem Englischen neu übersetzt von Ute Haffmans, Sabine Lohmann und Heiko Arntz. Herausgegeben, mit Anmerkungen und einem Nachwort versehen von Heiko Arntz. 1.056 Seiten. Fadenheftung. Lesebändchen. Leinen. Haffmans Verlag

ich habs sie mir bereits bestellt :)

Viele Grüße
Maria
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Re: Erzählungen

Beitragvon YvonneS » Do 12. Feb 2009, 11:12

Vielen Dank, Maria, für den tollen Tipp. Das wäre doch glatt an mir vorbeigegangen. Von Zweitausendeins hatte ich bis jetzt noch nichts gehört. Das Buch habe ich natürlich auch gleich bestellt, ansonsten werde ich mich in einer ruhigen Minute mal auf deren Seiten umsehen. Gefährlich! Gefährlich! :lol:
Liebe Grüße
Yvonne



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Re: Erzählungen

Beitragvon Petra » Do 12. Feb 2009, 11:24

Hallo Maria,

da hast Du mich ja eiskalt erwischt! *g*

Kaum hatte ich Deinen Beitrag hier gelesen, bin ich auch schon zu Zweitausendeins auf die Internetseite und habe mir diesen Pracht-Band bestellt! Das ist ja irre, das ist ja toll! Danke für diese unverhoffte Geldausgabe... oder harmloser gesagt: Danke für den tollen Tipp! :-)

Zumal es das Buch sicher nicht ewig geben wird und außerdem nur bei Zweitausendeins. Ich hätte es übersehen und würde es jammerschade finden! Anmerkungen und Nachwort sind auch enthalten - so etwas liebe ich ja bei solchen Büchern! :-)
Liebe Grüße,
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Re: Erzählungen

Beitragvon JMaria » Do 12. Feb 2009, 11:32

YvonneS hat geschrieben:Vielen Dank, Maria, für den tollen Tipp. Das wäre doch glatt an mir vorbeigegangen. Von Zweitausendeins hatte ich bis jetzt noch nichts gehört. Das Buch habe ich natürlich auch gleich bestellt, ansonsten werde ich mich in einer ruhigen Minute mal auf deren Seiten umsehen. Gefährlich! Gefährlich! :lol:


Hallo Yvonne,

dann möchte ich dich noch auf die "Haidnischen Alterthümer" aufmerksam machen, zu dem es einen eigenen Thread gibt:

viewtopic.php?f=2&t=504

ich finde das ist eine interessante Idee von Zweitausendeins.

@Petra,
du bist also auch schwach geworden :D
ich bin auf die neue Übersetzung schon sehr gespannt und sobald ich mein Exemplar in den Händen halte, werde ich die eine und andere Geschichte mit den Übersetzungen vergleichen, die ich bereits besitze (von Ursula Grawe und Heide Steiner).

Schöne Grüße
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Re: Erzählungen

Beitragvon Petra » Do 12. Feb 2009, 11:52

Hallo Maria,

schwach geworden kann man kaum sagen. Ich las es und bin SOFORT VOLLKOMMEN eingeknickt! Ich bin im Eilschritt zur Zweitausendeins-Seite! ;-)

Auf Deinen Vergleich mit den Übersetzungen bin ich auch sehr gespannt - bitte berichte, ja? Ich hoffe die Neuübersetzung ist gut gemacht! Aber selbst wenn die älteren besser sein sollten, so hat man - denke ich - immer noch was gewonnen: Viele Erzählungen, die wir in den Einzelbänden so nicht haben. Und auch die Anmerkungen und das Nachwort sind gewiss ein Gewinn! Somit bestimmt lohnenswert - so oder so!
Liebe Grüße,
Petra


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Re: Erzählungen

Beitragvon JMaria » Di 31. Mär 2009, 20:49

Hallo Wolf,
hallo zusammen,

Wolf hat geschrieben:Denn nachdem ich einmal den Band "Mehrere Männer" von Ror Wolf gelesen hatte, wo viele Geschichten nur wenige Sätze oder eine knappe Seite lang sind, habe ich mir überlegt, ob es noch andere Autoren gibt, die solche Kürzestgeschichten schreiben. Ich bin da auf Schriftsteller wie Daniil Charms und Helmut Heißenbüttel ("Eichendorffs Untergang") gestoßen, die ich aber nicht gelesen habe, weil ich dieses Projekt dann doch nicht weiter verfolgt habe - und nun werde ich jetzt hier wieder daran erinnert. ;-)


interessieren dich weiterhin Kürzestgeschichten?
ich bin auf einen österreichischen Jubliar gestossen, nämlich auf den Kaffeehaus-Literat Peter Altenberg, der in diesem Jahr seinen 150. Geburtstag hätte (*09.03.1859).

in den Radiotexten des BR2 kann man sich seine "ganz kleinen Sachen" anhören:

Peter Altenberg

Kennst du ihn bereits?

herzliche Grüße
Maria
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