von Kioki » Fr 11. Mär 2022, 19:47
Ich habe in den letzten Tagen wieder mal einen Reisebericht über eine Entdecker-Seefahrt gelesen: Diesmal über George Washington Delongs Fahrt ins Nordpolarmeer, Die Polarfahrt von Hampton Sides. Das Buch ist erst vor ungefähr fünf Jahren in Deutschland erschienen, und 2014 im Original und von daher sprachlich recht frisch. Ich fand es sehr spannend. Es geht nicht nur um die Expedition an sich, sondern auch um die Vorgeschichte. Das Leben, die Herkunft von Delong wird beschrieben, ebenso die Entstehung für die Idee zu dieser Fahrt. Die mühselige Suche nach Geldgebern (Sponsoren würde man heute sagen), die Beschaffung von Material, die Implementierung modernster Technik. Damals, Ende der siebziger Jahre des 19. Jahrhunderts.
Delongs Charakter wie Privatleben wie auch die persönlichen Stärken und Schwächen der für das Schiff rekrutierten Männer und ihre Beziehung untereinander wird sehr lebendig beschrieben. Da hat sich wieder mal jemand gut hineinversetzt in eine vergangene Zeit.
Die Theorie vor der Fahrt mit der Jeannette (so hieß das Schiff) war folgende: Man nahm an, dass es am Nordpol ein warmes, fruchtbares Meer gäbe, das umringt von einem Eisgürtel der Entdeckung harrte. Aus heutiger Sicht absurd. Aber die Annahmen, die zu dieser Vermutung geführt hatten, werden im Buch erklärt.
Für mich immer wieder unglaublich, was Menschen damals auf sich genommen haben, um unbekannte Gebiete dieses Planeten zu erkunden. Aber wahrscheinlich ist es heute in der Weltraumfahrt auch nicht grundsätzlich anders. Wenn man sich so einer Idee verschreibt, dann mit Haut und Haaren.
Im Buch erfährt man viel Zeitgeschichtliches, auch viel über andere Expeditionen, die um diese Zeit stattfanden. Oft war es vom Zufall abhängig, ob Menschen zum Beispiel nach einem Schiffbruch gefunden wurden. Von diesen Zufällen, leider auch tragischen, wimmelt es nur so im Zusammenhang mit dieser Entdeckerfahrt.
Leider gelangte das Schiff nicht zum Nordpol, sondern wurde recht bald nach dem Start im Packeis eingeschlossen und driftete mit dem Eis nach Nordwesten. Nach unglaublichen anderthalb Jahren musste die Besatzung das Schiff verlassen, da es vom Eis zerdrückt wurde und sank. Anschließend vesuchten die Männer mit drei kleinen Booten die Nordostküste Sibiriens zu erreichen. Das gelang nicht allen.
Ihr merkt, ich bin noch ganz gefesselt. Das Buch gehört zum Genre "Reisebericht". Hat romanhafte Anteile und offenbart wie gesagt viel über das damalige Weltbild und auch die gesellschaftlichen Bezüge in der Medien- und Entdeckerwelt. Das ist sehr schön geschrieben, man taucht wirklich in diese Zeit ein. Eingestreut sind Briefe von Delong an seine Ehefrau und auch Zitate aus Briefen, die sie an ihn schrieb. Irgendwohin nach Grönland zum Beispiel schrieb sie, in der Hoffnung, ein Teil der Post möge ihn erreichen. Aufgrund kaum noch nachvollziehbarer Zufälle ist auch ein Teil dieser Korrespondenz (d.h. ihrer Briefe an ihn) erhalten geblieben. Seine Aufzeichnungen sind später, gut in Seesäcke verpackt, gefunden worden und werden auch in Auszügen zitiert.