Die Weltensammlerinnen habe ich hier mal vorgestellt:
viewtopic.php?f=8&t=6059. Allerdings habe ich nur geschrieben, über welche Frauen Armin Strohmeyr da berichtet. Eine habe ich mal rausgefischt und stelle sie euch vor:
Annie Taylor - die Frau im FassAnnie Taylor gelang es als erste Person, die Horeshoe Falls (ein Teil der Niagarafälle) lebend zu überwinden - in einem Fass, der "Queen of the Mist", der "Königin der Gischt": "Ich legte die Zeitung weg, saß da und dachte nach, als mich wie ein Blitz der Gedanke anrührte: ,Überwinde die Niagarafälle in einem Fass. Keiner hat je dieses Kunststück vollbracht.'" (S. 10)
Annie Taylor wurde am 24. Oktober 1838 in Auburn, New York, geboren. Die Familie besaß eine Getreidemühle am Owaco River. Der Vater stirbt, als Annie zwölf Jahre jung ist. Glücklicherweise - eine Sozialrente gab es noch nicht - konnten die Witwe und ihre Kinder - da sind neben Annie noch drei Töchter und vier Söhne - durch das angesparte Vermögen und den Verkauf der Mühle recht komfortabel leben.
Annie erhielt - was nicht selbstverständlich war - eine gediegene schulische Ausbildung, besuchte die Volksschule, dann das "Conference Seminary and Collegiate Institute", wo sie sich zur Lehrerin ausbilden ließ und mit siebzehn Jahren das Examen ablegte.
Während dieser Zeit lernte sie David Taylor kennen und gründete mit ihm kurze Zeit später eine Familie. Ihr Sohn stirbt wenige Tage nach der Geburt, das Paar bleibt kinderlos.
Mit nur 25 Jahren verliert sie ihren Mann; er stirbt im Amerikanischen Bürgerkrieg. Sie bleibt alleine, steht finanziell immer noch auf sicheren Füßen und reist die kommenden Jahre quer durch Amerika auf der Suche nach beruflicher Beschäftigung und dem Abenteuer ihres Lebens. Zwischendurch arbeitete sie immer mal als Lehrerin oder Tanzlehrerin. Und so schmilzt ihr finanzielles Polster, denn ihren komfortablen Lebensstil hat sie, trotz des wenigen Geldes, das sie einnahm, beibehalten. Und so befindet sie sich sozial und seelisch auf einem abfallenden Ast. Das Bedürfnis, eine Heldentat zu vollbringen, zeugt nicht von Mut, sondern von bitterer Not.
Dabei wollte sie die Niagarafälle nicht auf einem Hochseil überqueren, wie der französische Artist Charles Blondin, oder die 33 Kilometer breite Meeresenge zwischen Dover und Calais schwimmen oder, wie Carlisle Graham, die "Whirlpool Rapids" in einem Fass schwimmend durchqueren. Nein, sie wollte sich in einem Fass die Niagarafälle hinunterstürzen.
Da Annie Taylor mit ihrem Wagnis Geld verdienen möchte, tat sie sich mit dem Promoter Frank M. Russell zusammen. Und der rührte fleißig die Werbetrommel. Ohne aber freilich ihren Namen preiszugeben. Entweder, um sie vor unliebsamen Interviewern zu schützen oder aber vor Moralaposteln, die diese Aktion für eine Frau unschicklich halten.
Als es dann so weit war, begleitete sie ein Reporter der örtlichen Bay City Times Press. Der konnte nicht verstehen, wie sich eine Frau auf so ein selbstmörderisches Wagnis einlassen konnte. Und obwohl sie selbst nicht hundertprozentig überzeugt von ihrem Vorhaben ist, erklärt sie enthusiastisch, wie das technisch vonstatten gehen soll.
Und weil sie sich nicht sicher war, musste ihre kleine Katze die Fahrt vorab bewerkstelligen. Die Kleine überlebte mit einem Schock. (Das macht mir die Dame mächtig unsympathisch)
Am 24. Oktober 1901, es war ihr 63. Geburtstag, war es dann so weit und sie bestieg ihr Fass. Es wurde mit einem Korken versiegelt, damit es vertikal ausgerichtet blieb. Ein Boot brachte sie auf eine Insel etwa eine Meile oberhalb der Wasserfläche. Nachdem es um 16.05 Uhr vom Boot gelöst wurde, riss die Strömung es sofort mit sich. Achtzehn Minuten dauerte die Fahrt, bis Annie Taylor in ihrem Fass dann 53 Meter in die Tiefe stürzte - wo sie nach einer Minute unterhalb des Wasserfalls in einem heilen Fass erschien. Der Sturz selbst dauerte nur drei Sekunden. Weiter ging die Fahrt stromabwärts, bis man sie um 16.40 Uhr geborgen hat. Und sie konnte das Fass aus eigener Kraft verlassen. Tausende Menschen hatten das Spektakel verfolgt.
Sie erlitt nur ganz leichte Verletzungen. Viel schwerer wog der Schock, den sie aber nach ein paar Tagen im Krankenhaus überwand.
Der Ruhm hielt nicht lange an. In Buffalo erhielt sie für einen Auftritt 200 Dollar, damit konnte sie nicht mal die Kosten des Stunts decken. 500 Dollar bot man ihr in einem Kuriositätenkabinett in New York City an, was sie aus Stolz ablehnte. Und sie beging den Fehler, da ihr das Medium noch zu fremd war, einen Auftritt beim Film abzulehnen. Als man dann noch ihr wahres Alter (sie machte sich bisher glaubhaft 20 Jahre jünger) rausfand, wurde sie für die Öffentlichkeit ganz schnell uninteressant.
Annie Taylor verdiente ein bisschen Geld mit dem Verkauf von Souvenirs und in ihren letzten zehn Lebensjahren versuchte sie sich trotz verschlechternder Gesundheit als Hellseherin und bot Behandlungen mit der neuartigen Elektrotherapie an. Zum Schluss landete sie in einem Armenhaus, wo sie am 29. April 1921 starb. Ihr Grab findet sich neben anderen Sensationsartisten auf dem Friedhof von Niagara Falls.
Erst gegen Ende des 20. Jahrhunderts wird man wieder auf Annie Taylor aufmerksam. Joan Murray widmete ihr 1999 das Erzählgedicht
Queen of the Mist , eine Short Story schrieb Emma Donoghue über sie, 2011 wurde in New York ein Musical über sie aufgeführt und Chris van Allsburg schrieb ein Kinderbuch über die erste Bezwingerin der Niagarafälle: Q
ueen of the Falls.