Leseerlebnisse 2022...ich lese gerade...

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Re: Leseerlebnisse 2022...ich lese gerade...

Beitragvon JMaria » Mi 13. Jul 2022, 13:26

Shaftoe hat geschrieben:
JMaria hat geschrieben:Ich lese gerade „Der Morgenstern“ von Knausgard.


viel Spaß damit, gibt keinen Spannungsabfall bis zum Ende. Meinen Geschmack hat er voll getroffen.

Grüße



steffi hat geschrieben:Das klingt ja toll, JMaria ! Viel spaß damit weiterhin.



Danke! Danke!

Shaftoe, das hatte ich erhofft!

Steffi, ich fühl mich ein bißchen wie in einem Murakami-Kosmos. Ob das Gefühl bleibt, ist noch offen, aber im Moment - toll.
Schöne Grüße, Maria
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Re: Leseerlebnisse 2022...ich lese gerade...

Beitragvon Sonja » Mi 13. Jul 2022, 15:35

Hallo Petra,

Petra hat geschrieben:
Und ich freue mich schon aufs Berichten! :kann_nicht_abwarten:
Umso mehr, da ich ahne wie groß dein Interesse ist. Schön ist das!


:umarmung: ich warte geduldig mit wachsender Vorfreude. Stecke ja auch noch mitten in den Ermittlungen :sonnenbrille:

Petra hat geschrieben:Ich danke dir fürs näher erklären, was dich genau gestört hat. Das kann ich nachvollziehen.

Da kommt mir ein Gedanke: Es geht einem mit Menschen ja auch manchmal so. Sie sind einem unangenehm. Man möchte am liebsten von ihnen abrücken, oder am besten mit ihnen und ihrer Gedankenwelt gar nichts zu tun haben. Und so scheint es dir in dem Roman auch gegangen zu sein. Was dann wiederum tatsächlich heißt, dass Simenon es auch hier wieder geschafft hat, die Figuren ganz nahe heranzubringen. In diesem Fall dann auf unangenehme Weise. Ist es so?

Falls ja, ist das tatsächlich auch schon wieder bermerkenswert!


Ja, das kann man so sagen. Es gilt allerdings nicht nur für den Protagonisten, wo am Ende auch alles wieder schlüssig ist, auch wenn es natürlich im Schlechten ist, da es sich um einen Mörder handelt. Es wäre fast schon wieder interessant, den Roman jetzt nach der Auflösung nochmal zu lesen. Zum Anderen gilt es aber auch für die anderen Figuren: den Kommissar, den Untersuchungsrichter, die Ehefrau und weitere. Das ist wieder sehr gelungen.

Petra hat geschrieben:Dass du dich jetzt erst mal auf den Kommissar konzentrierst, kann ich verstehen. Aber auch schön, dass auch weitere Non-Maigrets auf deiner Interessen-Liste stehen. Kürzlich habe ich noch mal in "Der ältere Bruder" reingelesen. Ich hätte gleich dabei bleiben wollen. Der gleiche Sog wie damals. Aber davon gibt es ja leider noch keine Neuauflage. Das Reinlesen hat mir Lust gemacht, auch mal wieder einen Non-Maigret zu lesen. Zum Hören habe ich ja noch ein paar auf meinem iPod. Aber einen Lesen wäre auch mal wieder schön. Ach, Simenon reizt einfach immer wieder! Aber wem sage ich das? :kichern:


:breit_grins: oh ja, das kann ich sehr gut nachvollziehen – dieses Reinziehen in die Geschichten. Bei mir ist es eher umgekehrt. Für mich sind die Simenons alle erstmal Bücher zum lesen. In der zweiten Begegnung mit ihnen kann ich mir das Hören auch vorstellen. Letztlich bin ich auch gespannt, wie lange die Non-Maigret-Abstinenz hält. Worauf ich mich allerdings auch schon sehr freue, sind die Bücher über Simenon, wo im Herbst und Winter das ein oder andere erscheint. Vorne weg im September “Auf der Couch”. Das kann ich kaum erwarten.

Auch interessant, dass Du nach vielen Jahren den gleichen Lesesog verspürt hast. Manchmal ändert sich ja der Zugang zwischen Buch und Leser. Simenons Bücher scheinen mir in vielerlei Hinsicht zeitlos zu sein.

Petra hat geschrieben:Und das klingt auch schon wieder so gut!

Toll auch, dass er wieder so anders ist. Das ist auch sowas bei Simenon. Er erzählt keine Geschichte zwei Mal. Immer andere Menschen, andere Milieus. Die herbstliche Stimmung klingt wunderbar. Falls ich mich bis zum Herbst beherrschen kann, merke ich mir den 6. Fall gleich schon mal für diese Zeit vor. Bei mir steht ja erst mal noch der 5. Fall an. Mal sehen.

Ich bin sehr gespannt auf deine weiteren Eindrücke. Viel Spaß, und grüß mir den Kommissar!


Der Kommissar hat sich über Deine Grüße gefreut und grüßt zurück! Und er stimmt mir zu, dass es Dir in der Bretagne auch gut gefallen wird.

Ich befinde mich nun auf der Zielgeraden und obwohl sich gestern schon eine leichte Krimiunlust aufzutun schien, packte mich das Buch gleich wieder.
Liebe Grüße, Sonja

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Re: Leseerlebnisse 2022...ich lese gerade...

Beitragvon Sonja » Mi 13. Jul 2022, 15:37

Hallo Steffi,

steffi hat geschrieben:Friedrich der große Detektiv hat mir sehr gefallen ! Es ist toll, wie die Auswirkungen von Hitlers Machtergreifung geschildert werden, mal aus der Sicht eines Kindes aber dann auch aus der Sicht der regimekritischen Künstler. Aus dem Detektivspiel wird so leider blutiger Ernst. Eine schöne und nachdenklich machende Hommage an Erich Kästner, ein empfehlenswertes Buch nicht nur für Kinder !


das klingt rundum gelungen! Es bleibt auf meiner Liste. Von dem Autor habe ich bisher auch noch gar nichts gelesen.
Liebe Grüße, Sonja

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Re: Leseerlebnisse 2022...ich lese gerade...

Beitragvon Petra » Do 14. Jul 2022, 15:45

Hallo Sonja,

Sonja hat geschrieben::umarmung: ich warte geduldig mit wachsender Vorfreude. Stecke ja auch noch mitten in den Ermittlungen :sonnenbrille:


Auf die Ergebnisse deiner Ermittlungen bin ich ebenfalls schon sehr neugierig! :nicken_freudig:

Sonja hat geschrieben:Ja, das kann man so sagen. Es gilt allerdings nicht nur für den Protagonisten, wo am Ende auch alles wieder schlüssig ist, auch wenn es natürlich im Schlechten ist, da es sich um einen Mörder handelt. Es wäre fast schon wieder interessant, den Roman jetzt nach der Auflösung nochmal zu lesen. Zum Anderen gilt es aber auch für die anderen Figuren: den Kommissar, den Untersuchungsrichter, die Ehefrau und weitere. Das ist wieder sehr gelungen.


Danke für deine näheren Beschreibungen, das rundet mein Bild von deinem Leseerlebnis ab.

Solche Krimis mag ich auch gerne, in denen man am Ende nochmal von vorne beginnen könnte, und im Wissen um den Täter alles noch mal neu und anders lesen würde.

Sonja hat geschrieben::breit_grins: oh ja, das kann ich sehr gut nachvollziehen – dieses Reinziehen in die Geschichten. Bei mir ist es eher umgekehrt. Für mich sind die Simenons alle erstmal Bücher zum lesen. In der zweiten Begegnung mit ihnen kann ich mir das Hören auch vorstellen. Letztlich bin ich auch gespannt, wie lange die Non-Maigret-Abstinenz hält. Worauf ich mich allerdings auch schon sehr freue, sind die Bücher über Simenon, wo im Herbst und Winter das ein oder andere erscheint. Vorne weg im September “Auf der Couch”. Das kann ich kaum erwarten.

Auch interessant, dass Du nach vielen Jahren den gleichen Lesesog verspürt hast. Manchmal ändert sich ja der Zugang zwischen Buch und Leser. Simenons Bücher scheinen mir in vielerlei Hinsicht zeitlos zu sein.


Grundsätzlich ginge es mir wie dir: vorzugsweise würde ich grundsätzilch die Simenons auch lieber lesen. Die begrenzte Lesezeit und das große Interesse an noch so vielen anderen Autoren lässt mich zu der Alternative greifen. Denn ich habe die letzten Jahre festgestellt, dass es immer beim Vorhaben blieb, endlich mal wieder etwas von Simenon zu lesen. Zum Glück sind viele seiner Romane wirklich gut gesprochen, sonst wäre das Hören keine Alternative. Aber demnächst auch mal wieder einen Lesen, das kann ich mir gut vorstellen. Der Wunsch wächst. Er hat ja so viel geschrieben, dass einem der Stoff so schnell nicht ausgeht. Und alles von ihm gibt es eh nicht als Hörbuch. Besonders unter den Non-Maigrets werden sich diese Lücken wohl auch nicht so bald schließen.

Wie lange deine Non-Maigret-Abstinzen anhält, darauf bin ich auch gespannt. :kichern:
Und auf deine Berichte, wenn die Bücher über Simenon erscheinen. Die sind bestimmt auch sehr interessant! Deine Vorfreude kann ich nur zu gut verstehen.

Ja, dass "Der ältere Bruder" gleich wieder denselben Sog wie damals auslöste, fand ich auch erstaunlich. Und du hast so recht mit einer Anmerkung, dass sich manchmal der Zugang zwischen Buch und Leser verändert. Manchmal hatte ich auch das Gefühl, aus manchen Büchern herausgewachsen zu sein. Die haben mich mal sehr begeistert, würden es heute aber nicht mehr. Diese hatte ich dann genau zur richtigen Zeit gelesen. Simenon hingegen erscheint mir ebenfalls als zeitlos. Schön beobachtet, Sonja!

Sonja hat geschrieben:Der Kommissar hat sich über Deine Grüße gefreut und grüßt zurück! Und er stimmt mir zu, dass es Dir in der Bretagne auch gut gefallen wird.


Über die Zurück-Grüße vom Kommissar freue ich mich sehr! Und natürlich auch, dass er mit dir übereinstimmt, dass es mir in der Bretagne auch gut gefallen wird. Ich freue mich schon auf meinen Aufenthalt dort.

Sonja hat geschrieben:Ich befinde mich nun auf der Zielgeraden und obwohl sich gestern schon eine leichte Krimiunlust aufzutun schien, packte mich das Buch gleich wieder.


Er schafft es einfach immer wieder, kurz aufkeimende Unlust wegzufegen! :breit_grins:
Liebe Grüße,
Petra


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Re: Leseerlebnisse 2022...ich lese gerade...

Beitragvon Petra » Fr 15. Jul 2022, 21:38

Ich habe “Die schiere Wahrheit“ von Ursula Hasler beendet, und bin voller Eindrücke! Mein Bericht wird entsprechend lang. Meine Eindrücke werde ich auch als Zitat im Simenon-Thread einpflegen.

Sehr beeindruckt hat mich, wie perfekt Ursula Hasler hier zweierlei schafft: erstens einen interessanten und sehr schön zu lesenden Krimi zu schreiben, mit sommerlicher (sehr authentischer) Seebad-Atmosphäre, die zudem sehr gut recherchiert ist (man spürt das, und erfährt es im Anhang). Und zweitens eine Begegnung zweier Literaturgrößen, die nie stattgefunden hat, aber hätte stattfinden können (auch hierzu näheres im Anhang). Zudem nicht irgendeine Begegnung, sondern eine zwischen Glauser und dem von ihm so bewunderten Simenon.

Beide Ebenen erzählt Ursula Hasler so authentisch und dicht, dass es mir (auf äußerst angenehme Weise) irgendwann schwerfiel, sie nicht hin und wieder miteinander zu vermischen. Ursula Hasler macht das mit voller Absicht (und großem Können), und mit Vergnügen stellte ich dann auch fest, dass es nicht nur mir so ging, sondern Glauser und Simenon ebenfalls. Ich bekam dadurch ein Gefühl dafür, wie nahe den beiden Schriftstellern ihre Figuren gewesen sein müssen. Man merkt das ja auch, wenn man die Krimis der beiden Autoren liest.

Ursula Hasler hat auch durch eine weitere Raffinesse die Authentizität gesteigert. Ich will erklären: Glauser sagt zu Simenon, dass er auch nicht alles aus der Vergangenheit seines Wachtmeister Studers wisse. Bei jedem Fall treten neue Details in Erscheinung, von denen ihm sein Studer zuvor nichts erzählt habe. So habe er bis vorhin auch nichts über dessen alte Bekanntschaft mit diesem Madelin gewusst, der offenbar Kommissar bei der Police judiciaire ist. Liest man den Studer-Roman "Die Fieberkurve", trifft dort Studer direkt zu Anfang auf seinen alten Bekannten Madelin. Da Glauser in "Die schiere Wahrheit" an der Überarbeitung seines Studer-Krimis "Die Fieberkurve" (1938 erschienen, also ein Jahr nach der Fiktion "Die schiere Wahrheit") arbeitet, erweckt Ursula Hasler den Eindruck, Glauser sei diese Figur während seiner fiktiven Begegnung mit Simenon entstanden, was diese fiktive Begegnung Glausers mit Simenon noch authentischer wirken lässt. Das gefällt mir! Auch, weil es solch ein nebensächliches und unwichtiges Detail ist, und es einem auf den ersten Blick gar nicht auffällt. Nur wenn man "Die Fieberkurve" kennt, oder aus Neugierde in die Studer-Romane reinblättert.

Dies ist eines von vielen Details, das mir zeigte, mit welcher Freude Ursula Hasler in ihrem Roman Fiktion und Wahrheit miteinander vermischt hat. Raffiniert!

Natürlich unterhalten sich Simenon und Glauser während ihres Strandspaziergangs übers Schreiben. Bei einer Gelegenheit sagt Glauser etwas darüber, was an Simenons Krimis so anders ist als an anderen. In Krimis geht es immer um die Lösung eines Falls, darum wer der Täter ist, und wie er überführt wird. Die Krimis mit Kommissar Maigret seien anders. Da sei nicht der Kriminalfall an sich, und die Entlarvung des Täters und die Lösung das Hauptthema, sondern die Menschen und die Atmosphäre, in der sie sich bewegen. Er sagt weiter, dass man merkwürdiger Weise in diesen Krimis im Grunde gleichgültig bleibt gegen die Lösung. Der Täter, so meint er weiter, sei ein Mensch unter anderen, wie im alltäglichen Leben auch. Zum Ausgang der Geschichte sagt er, dass es eigentlich kein Ende gäbe. Die Geschichte hört auf, ist ein Abschnitt des Lebens, aber das Leben laufe weiter.

Ich finde das wunderbar zutreffend, weshalb ich es hier erwähnen wollte. Diese Stelle, in der der fiktive Glauser das sagt, hat ihren Ursprung im Brockhoff-Brief Glausers (offener Brief über die "Zehn Gebote für den Kriminalroman"), in dem er sich diesbezüglich geäußert hat.
Auch über die Auflösung von Fällen sprechen die beiden. Die Wahrheit, die man findet, ist nicht die schiere Wahrheit, äußert der fiktive Simenon. Der Fall, den die beiden während ihres Strandspaziergangs ersinnen, belegt dies auch.

Simenon lässt seine Figur Amélie Morel die Erkenntnis gewinnen, dass es kein Vergnügen ist, einen Kriminalfall aufzulösen. Sondern eine himmeltraurige Sache. Hier erkenne ich Simenon! Seinem Maigret merkt man es zwar nicht unbedingt durch seine direkten Gedanken an, dass es auch ihm oft so geht. Aber durch seine Taten. Ja, hier erkenne ich Simenon. Auch wenn ich lange in der Figur der Amélie Morel nichts typisches von Simenon entdeckt habe, wie ich ihn (bislang) kenne. (Ich bin aber auch zu der Erkenntnis gekommen, dass ich den ganzen Simenon noch längst nicht kenne! Doch dazu gleich näheres.)

Doch bleiben wir erst mal bei der Wahrheit: Wer Simenons und Glausers Krimis liest, wird nicht umhin kommen festzustellen, dass Maigret und Studer manchmal mit der aufgedeckten Wahrheit hadern. Weil Recht und Gereichtigkeit nicht immer dasselbe sind. Wunderbar lässt Ursula Hasler Simeneon und Glauser diesen Punkt erörtern, und dadurch dem Leser von Maigret- und Studer-Romanen erklären, was Simenon und Glauser in ihren Erzählungen am Herzen liegt. In dieser Unterhaltung erkennt man das Wesen der Maigret- und der Studer-Krimis.

Mir war es ein Rätsel, warum Ursula Hasler dem fiktiven Simenon eine Figur wie die Amélie Morel zugeteilt hat. Zwar nachvollziehbar, da Simenons Figuren rechtlich geschützt sind, aber warum nicht eine Figur, die seinem Maigret ähnlich ist? Studer durfte in der Fiktion ja selbst ermitteln. Und er ist ganz klar erkennbar. Dem echten Studer zum Verwechseln ähnlich! Aber Amélie?

Erst im Anhang hat sich mir die Figur der Amélie Morel erschlossen. Im letzten Abschnitt sinnt Simenon darüber nach, doch auch mal wieder einen Krimi zwischendurch zu schreiben. Sie verkaufen sich besser als seine literarischen Werke. Doch Maigret will er nicht aus dem Ruhestand holen. Eine andere Figur schwebt ihm vor. Es solle jemand sein, der sich nicht von Berufs wegen mit der Aufklärung von Verbrechen beschäftigt. Ein Laie, und damit jemand mit einem ganz anderen Blick auf ein Verbrechen als ein beruflicher Ermittler. Jemand mit medizinischen Kenntnissen (wie Amélie Morel als ehemalige Krankenpflegerin). Ein Arzt, so denkt er, wäre das richtige. Und tatsächlich schrieb Simenon 1938 (also ein Jahr nach der fiktiven Begegnung mit Glauser) die erste Erzählung mit dem kleinen Doktor („Der Spürsinn des kleinen Doktors“) als Hauptfigur, die 1939 in einer Zeitschrift und dann 1943 zusammen mit weiteren Erzählungen um den kleinen Doktor im Band „La petit docteur“ erschien. Nun bin ich sehr neugierig, den kleinen Doktor kennenzulernen (den Band "Der Spürsinn des kleinen Doktors" mit vier Erzählungen habe ich mir bereits vermerkt). Simenon soll für die Krimi-Erzählungen mit dieser Figur einen anderen, leicht humoristischen Tonfall gefunden haben. Ich glaube hier komme ich dann der Figur der Amélie Morel auf die Schliche und recht nahe. Und damit erschließt sich mir nun auch, warum Ursula Hasler für „Die schiere Wahrheit“ Simenon eine Figur wie die der Amélie Morel hat ausdenken lassen. Es passt nun für mich! Ursula Hasler verblüfft mich damit ein weiteres mal. Denn auch hierdurch verstärkt sie die Authentizität. In der zeitlichen Einordnung hätte Simenon sich bei dieser fiktiven Begegnung vermutlich wirklich eine ähnliche Person erdacht!

Spannend finde ich auch Ursula Haslers Spiel mit dem Leser am Schluss. Die fiktive Begegnung Glausers und Simeons ist zu Ende, der erdachte Kriminalfall aufgelöst. Nur die Figuren geben keine Ruhe. Werden sie sich durchsetzen? Werden Amélie Morel und Studer noch mal ein Verbrechen zusammen aufklären? Ursula Hasler lässt diese Tür ganz leicht geöffnet. Ich hätte nichts dagegen, aber viel dafür!

Abschließend kann ich bestätigen, dass es Ursula Hasler wunderbar gelungen ist, sich in die beiden Schriftsteller einzufühlen. Über beide erfährt man in diesem Roman unglaublich viel. Man kommt ihnen sehr nahe. Und gleichzeitig ist es ihr tatsächlich gelungen, das Pastiche eines Studer-Romans zu erzählen. Sie lässt mich sehr begeistert und voller Eindrücke zurück. Ebenso der Limmat Verlag, der mit der Gestaltung des Buches der Authentizität von Haslers Roman noch eines Krone aufgesetzt hat. Ein authentischeres Cover hätte man nicht haben können. Auch hierzu Details im Anhang des Buches.
Liebe Grüße,
Petra


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Re: Leseerlebnisse 2022...ich lese gerade...

Beitragvon Sonja » Sa 16. Jul 2022, 18:09

Hallo Petra,

Petra hat geschrieben:
Grundsätzlich ginge es mir wie dir: vorzugsweise würde ich grundsätzilch die Simenons auch lieber lesen. Die begrenzte Lesezeit und das große Interesse an noch so vielen anderen Autoren lässt mich zu der Alternative greifen. Denn ich habe die letzten Jahre festgestellt, dass es immer beim Vorhaben blieb, endlich mal wieder etwas von Simenon zu lesen. Zum Glück sind viele seiner Romane wirklich gut gesprochen, sonst wäre das Hören keine Alternative. Aber demnächst auch mal wieder einen Lesen, das kann ich mir gut vorstellen. Der Wunsch wächst. Er hat ja so viel geschrieben, dass einem der Stoff so schnell nicht ausgeht. Und alles von ihm gibt es eh nicht als Hörbuch. Besonders unter den Non-Maigrets werden sich diese Lücken wohl auch nicht so bald schließen.


Das verstehe ich gut. Und bei der ganzen Auswahl an Literatur, steht und fällt es beim Hörbuch ja auch mit dem Sprecher.
Genau, Stoff ist bei Simenon genug vorhanden.
Ja, ich verknüpfe es – mal davon abgesehen, dass ich nicht sooo der Hörbuchhörer bin – bei mir auch damit, dass ich Bücher aus dieser Zeit dann auch gerne in der Buchform lese, wie es damals auch gewesen wäre. Zudem wollte ich ja auch bei meinem Vorsatz nicht viel mehr als 200 Seiten auch zurück zum Buch. Ich kann mir das Hörbuch aber als Ergänzung vorstellen und freue mich auch auf die Hörspielfeatures, die es Anfang des Jahres zum Download gab.

Petra hat geschrieben:Über die Zurück-Grüße vom Kommissar freue ich mich sehr! Und natürlich auch, dass er mit dir übereinstimmt, dass es mir in der Bretagne auch gut gefallen wird. Ich freue mich schon auf meinen Aufenthalt dort.


Nachdem ich den Fall nun mitgelöst habe – gleich mehr dazu – bin ich mir sicher, dass Dir der Aufenthalt dort sehr gefallen wird.

Petra hat geschrieben:Er schafft es einfach immer wieder, kurz aufkeimende Unlust wegzufegen! :breit_grins:


Und wie :breit_grins: und mit voller Wucht!

P.S. Deinen Bericht zu "Die schiere Wahrheit" habe ich sehr interessiert gelesen. Später mehr dazu.
Liebe Grüße, Sonja

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Re: Leseerlebnisse 2022...ich lese gerade...

Beitragvon Sonja » Sa 16. Jul 2022, 18:15

“Maigret und der gelbe Hund” habe ich beendet und bleibe begeistert zurück. Der vorherige Fall hatte meine Begeisterung für den Kommissar und seine Fälle noch einmal verstärkt und dieser Fall steht ihm in nichts nach. Das Setting ist nun die Hafenstadt Concarneau in der Bretagne, wohin Maigret gerufen wird. Die ganze Atmosphäre, die Luft des salzigen Wasser, die Schiffe und Boote im Hafen und an ihren Ankerplätzen. An Land der Ort mit neuen und alten Teilen der Stadt. Die Altstadt liegt hinter einer Mauer bzw. hat auch aus vergangenen Tagen eine Außenmauer. Diese ganze Atmosphäre im nasskalten November, mit auch kurzen sonnigen Ausflügen, kommen wieder genial herüber. Dazu ein Maigret, der mit Ruhe und Leichtigkeit ermittelt. An seiner Seite: Inspektor Leroy mit seinem ersten Fall und vielen Fragezeichen, wie denn da sein Chef vorgeht und auf der einen Seite versucht, diesen zu ergründen und auf der anderen Seite nach der klassischen Methode seine eigenen Ermittlungen macht. Maigret schickt ihn auch teils auf diese, braucht er doch zwischendurch seine Ruhe. Andererseits nimmt er Leroy auch mit, auch wenn dieser sich dann über die Methoden wundert.

Am Ende dann wie gehabt, die Auflösung des Falls. Diese war auch bei den vorherigen Fällen ausführlich. Hier finde ich sie noch detaillierter und zwar gleich zu Beginn, was Maigret bei seinem Eintreffen gleich auffiel und wohin ihn diese Fährte brachte. Gleichzeitig zeigt sich der Kommissar auch von seiner charmanten Seite.

Nach diesem Aufenthalt in der Bretagne, habe ich mich nun wieder nach Paris begeben, befinde mich aber nun mit “Maigrets Nacht an der Kreuzung” zwischen Paris und Étampes, wo in der Garage von Carl Andersen dessen altes Auto (ein klappriger Citroën 5CV wie bei Kommissar G7) gegen das Neue seines Nachbarn ausgetauscht wurde mit dem Zusatz einer über das Lenkrad hängenden Leiche. Auch nach einem 17 Stunden andauernden Verhör in Paris bleibt Andersen dabei, unschuldig zu sein.

Ich bin direkt wieder voll drin und habe das Gefühl, der Sog in die Geschichte war noch stärker, als bei den vorangegangenen Fällen.
Liebe Grüße, Sonja

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Re: Leseerlebnisse 2022...ich lese gerade...

Beitragvon Kioki » So 17. Jul 2022, 11:39

Guten Morgen an alle,

mit den Krimis kann ich gerade nicht so mitgehen, aber vielleicht kommt eine Zeit dafür. Dennoch kann ich eure Begeisterung nachvollziehen und verfolge mit Interesse den Austausch.

Ich lese gerade Die Optimisten von Rebecca Makkai. Ein im amerikanischen Original im Jahr 2018 erschienener Roman, der auf zwei Zeitebenen spielt:
Zum einen im Chicago der frühen/mittleren Achtziger Jahre, als die AIDS-Epidemie um sich griff. Mit den Erfahrungen von heute liest man Umgang mit Virus-Angst, Stigmatisierung der Betroffenen etc. mit verstärktem innerem Erschauern und macht sich Gedanken dazu. Jedenfalls geht es mir so.
Die zweite Erzählebene ist in den Jahren 2015/2016 angesiedelt.
Das Romanpersonal ist zahlreich. Da ich mit vielen Unterbrechungen lese, fällt mir die Zuordnung etwas schwer. Das liegt aber eher an meinen Lese-Umständen als am Buch, glaube ich. Allerdings gibt es "Hauptpersonen", und wenn man seine Aufmerksamkeit auf diese konzentriert, geht es auch.

Es gefällt mir sehr gut. So viel für heute, schnelle Grüße vor der Spätschicht,
Kioki
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Re: Leseerlebnisse 2022...ich lese gerade...

Beitragvon Petra » Mi 20. Jul 2022, 16:58

Sonja hat geschrieben:Das verstehe ich gut. Und bei der ganzen Auswahl an Literatur, steht und fällt es beim Hörbuch ja auch mit dem Sprecher.
Genau, Stoff ist bei Simenon genug vorhanden.
Ja, ich verknüpfe es – mal davon abgesehen, dass ich nicht sooo der Hörbuchhörer bin – bei mir auch damit, dass ich Bücher aus dieser Zeit dann auch gerne in der Buchform lese, wie es damals auch gewesen wäre. Zudem wollte ich ja auch bei meinem Vorsatz nicht viel mehr als 200 Seiten auch zurück zum Buch. Ich kann mir das Hörbuch aber als Ergänzung vorstellen und freue mich auch auf die Hörspielfeatures, die es Anfang des Jahres zum Download gab.


Ich verstehe deine Gründe auch sehr gut, bei Simenon lieber zum Buch zu greifen. Und er passt auch so schön zu deinem Ansatz, die nächste Zeit erst mal lieber schmalere Bücher zu lesen. :nicken_freudig:
Ja, Stoff ist bei Simenon reichlich da! Und so bleiben mir trotz der Hörbücher auch noch genug Bücher, zu denen es von ihm keine Lesung gibt, oder es in dem ein oder anderen Fall unbedingt für mich dann doch das Buch sein soll.

Bücher die in dieser Zeit entstanden sind, lese ich auch immer sehr gerne. Auch weil sie eine gewisse Ruhe ausstrahlen, wie ich finde. Man merkt ihnen an, dass alles noch nicht so schnelllebig war wie heute. Ich lese aktuell auch wieder einen Krimi, der Anfang der 30er Jahre erstmalig erschienen ist. Davon gleich mehr.

Sonja hat geschrieben:P.S. Deinen Bericht zu "Die schiere Wahrheit" habe ich sehr interessiert gelesen. Später mehr dazu.


Ich freu mich auf deine Gedanken dazu. :freudig_die_faeuste_schwing:

Sonja hat geschrieben:“Maigret und der gelbe Hund” habe ich beendet und bleibe begeistert zurück. (...)

Nach diesem Aufenthalt in der Bretagne, habe ich mich nun wieder nach Paris begeben, befinde mich aber nun mit “Maigrets Nacht an der Kreuzung” zwischen Paris und Étampes, wo in der Garage von Carl Andersen dessen altes Auto (ein klappriger Citroën 5CV wie bei Kommissar G7) gegen das Neue seines Nachbarn ausgetauscht wurde mit dem Zusatz einer über das Lenkrad hängenden Leiche. Auch nach einem 17 Stunden andauernden Verhör in Paris bleibt Andersen dabei, unschuldig zu sein.

Ich bin direkt wieder voll drin und habe das Gefühl, der Sog in die Geschichte war noch stärker, als bei den vorangegangenen Fällen.


Wie toll! Du bist gleich bei Maigret geblieben! Und so interessant, was du von beiden Fällen zu berichten hast.

Bei “Maigret und der gelbe Hund” darf ich mich also auch auf Inspektor Leroy freuen. Bestimmt interessant zu beobachten, die beiden gemeinsam ermitteln, und sich Leroy über manche Methode seines Chefs wundert, und Maigret Leroy manchmal zu Ermittlungen schickt, um ein wenig Ruhe zu haben. :kichern:
Da freue ich mich schon mal vor. Und auf die charmante Seite des Kommissars freue ich mich auch.

Mit "Maigrets Nacht an der Kreuzung" geht es ja dann gleich schon gut weiter, wie ich lese. Sehr schön! Schöne Beobachtung, dass besagtes Auto der gleiche Fahrzeugtyp ist wie bei Kommissar G7.

Toll auch zu hören, dass der Sog gleich schon wieder so stark war. Mir scheint, dass von Fall zu Fall eine Steigerung zu beobachten ist. Sehr schön.

Ich hoffe der Kommissar kommt gut voran mit seinen Ermittlungen. Ich freue mich schon auf deinen weiteren Bericht!
Liebe Grüße,
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Re: Leseerlebnisse 2022...ich lese gerade...

Beitragvon Petra » Mi 20. Jul 2022, 17:04

Hallo Kioki,

Kioki hat geschrieben:Guten Morgen an alle,

mit den Krimis kann ich gerade nicht so mitgehen, aber vielleicht kommt eine Zeit dafür. Dennoch kann ich eure Begeisterung nachvollziehen und verfolge mit Interesse den Austausch.


Ja, alles hat seine Zeit. Ich freue mich gerade sehr, dass ich endlich mal wieder richtig viele Krimis lese. Die sind in den letzten Jahren oft zu kurz gekommen. Ich genieße es! Freue mich aber auch wieder auf anderes. Schön, dass du unseren Austauch mit Interesse verfolgst, auch wenn du derzeit eher anderes liest.

Interessantes (und wieder aktuelles) Thema, dass Rebecca Makkais Roman "Die Optimisten" auf der ersten Ebene bedient. Danke für die Einblicke. Welche Themen behandelt die zweite Ebene?

Viel Lesevergnügen! Und ich freue mich auf weiteren Bericht.
Liebe Grüße,
Petra


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