Lebende Autoren kämpfen für ihre Rechte, was machen tote?

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Lebende Autoren kämpfen für ihre Rechte, was machen tote?

Beitragvon abrakan » Mo 20. Jan 2025, 12:08

Ich habe folgenden Beitrag im Internet entdeckt, in dem das Ändern von Büchern wie Pipi Langstrumpf begründet wurde:

https://vm.tiktok.com/ZNeERv2F1/

Das habe ich kommentiert, siehe Anhang. Was meint ihr dazu? Ich bin gespannt.
Dateianhänge
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Re: Lebende Autoren kämpfen für ihre Rechte, was machen tote

Beitragvon JMaria » Mo 20. Jan 2025, 12:26

Hallo zusammen,

Da ich nicht bei Tiktok bin, kann ich jetzt nur auf deinen Screenshot eingegrenzt eingehen.

ein Thema über das man durchaus diskutieren sollte und wie bei allen schwierigen Themen ist die Antwort nicht schwarz oder weiß. Aber generell bin ich dafür, dass man von alter Kolonialsprache abkommt und bin auch für Änderungen. Wir sehen das von unserem westlichen Blickwinkel doch einseitig.

Dass auch die Eltern eine Verantwortung zur Aufklärung haben, da stimme ich zu. Man wird nicht alles in früheren Werken korrigieren können.
Schöne Grüße, Maria
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Re: Lebende Autoren kämpfen für ihre Rechte, was machen tote

Beitragvon Didonia » Mo 20. Jan 2025, 12:34

Als ich diesem Thema das erste Mal begegnete, war mein erster Gedanke, ja, richtig so. Aber dann kam ich ins Grübeln. Nein, absolut falsch ist das. Ich bin Jahrgang 64, kenne aus meiner Kinderzeit nur DDR-Bücher. Da wurde das N-Wort permanent benutzt, wenn die Geschichte in einer Region spielte, wo es selbstverständlich war. Auch in Agatha Christies Autobiografie ist es zu finden.

Wie sollen Kinder und Jugendliche aus der Geschichte lernen, wenn diese Begriffe jetzt überall getilgt werden. In der Gesellschaft existieren sie weiterhin und viele nutzen sie auch. Ich fände es hilfreicher, wenn der Verlag in jedem Buch, wo sie auftauchen, ein erklärendes Vorwort hinzufügen.
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Re: Lebende Autoren kämpfen für ihre Rechte, was machen tote

Beitragvon Trixie » Mo 20. Jan 2025, 14:55

Leider ein nicht totzukriegendes "Thema", seitdem es vor ein paar Jahrzehnten bei uns in Deutschland zum "Thema" wurde. Ich könnte da ebenfalls seitenlang schreiben (und habe es auch schon oft getan).
Um es auf den Punkt zu bringen: Für mich ist ein literarisches Werk ein Produkt seiner Zeit und seines Kulturkreises und als solches zu behandeln. Das bedeutet für mich: Wie es zuerst veröffentlicht wurde, war es von Autor und Verlag idealerweise auch gedacht und daran hat man (ausgenommen evtl. Rechtschreib-, Setz- und Druckfehler oder Ähnliches) nichts zu korrigieren. Astrid Lindgren schrieb "Pippi Langstrumpf" ab 1945, unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg. Das war selbstverständlich nicht die gleiche Welt, in der Kinder (in Europa) heute heranwachsen, nicht die Sprechgewohnheiten oder die Begriffe, die ihr Umfeld heute verwendet, nicht die Art der Kleidung, die sie tragen, nicht das Verständnis von Rechten und Freiheiten, die einem jedem Menschen zustehen, nicht die Umwelt, die Städte, die Siedlungen, die Gemeinschaften, die Familienbilder, die technischen Möglichkeiten, die Kommunikationswege, nicht die Denkweise oder das Weltbild. Wer ein solches Buch für seine Kinder möchte, soll zu Werken zeitgenössischer Autoren seines Kulturkreises greifen.

Denn wenn wir Bücher, Lieder, Filme, Fotos, Gemälde oder Architektur verändern, verändern wir den Kontext. Sie werden zu Dingen, die die Welt jetzt für richtig und nötig hält, aber sie sind nicht mehr die Werke, die der Schaffende damals aus gutem Grund so und nicht anders gestaltet hat. Nicht grundlos werden jene, die diese Änderungen durchführen, als eigenständige Künstler an diesem Werk genannt. Ihre Arbeit daran muss separat gesehen werden.

Klar können wir uns die Vergangenheit schönmalen. Nur wird dann irgendwann vielleicht keiner nachvollziehen können, warum "People of Color", Menschen mit Behinderung, Menschen mit anderer sexueller Orientierung, Menschen anderer Ethnien oder Religionen protestieren, Wiedergutmachung oder Anerkennung einfordern, wenn doch scheinbar schon Jahrzehnte und Jahrhunderte zuvor so korrekt und feinfühlig auf sie eingegangen und mit ihnen umgegangen wurde.

Über das politisch Korrekte wird bereits jetzt viel zu häufig das -für mich persönlich wichtigere- historisch Korrekte in den Hintegrund gedrängt. Hoffentlich fliegt uns das nicht mal um die Ohren!

Gruß
Trixie
Ich lese gerade:
E. C. R. Lorac: These Names Make Clues

Viel lesen und nicht durchschauen ist viel essen und nicht verdauen.

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Re: Lebende Autoren kämpfen für ihre Rechte, was machen tote

Beitragvon abrakan » Fr 24. Jan 2025, 14:12

Trixie, Du sprichst mir aus dem Herzen. Ich bin in den 50ern groß geworden und bin trotz ..köpfen nicht zum Rassisten geworden. Und das war damals schon keine Frage des Geldes sondern des Elternhauses und das ist heute noch so!

Und noch eine kleine Ergänzung: Wenn wir da anfangen, wo hören wir auf? Werden unsere Kinder Verfechter der Todesstrafe wegen Hänsel und Gretel? Beruhigen wir nicht nur unser Gewissen, während wir unsere Herzen verschließen?
Das Leben ist zu kurz für ein schlechtes Buch.
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