Erste Sätze
Verfasst: Di 6. Jan 2009, 12:36
Hallo zusammen,
gestern habe ich in meine eingetroffenen bestellten Bücher reingeblättert (mache ich zu Anfang immer gern) und habe wieder einmal festgestellt, wie wichtig für mich ein guter erster Satz (oder erste Sätze) ist. Er (der erste Satz) ist es oft, der meine Entscheidung für ein Buch begründet (also es zu kaufen oder aber später auch es "jetzt" zu lesen, bei der Auswahl eines neuen Buchs vom SUB). Der Inhalt des GANZEN Buchs ist zwar ungenommen viel wichtiger. Aber die Chance, dass ich zu einem Buch greife (beim kaufen und später auch bei der Auswahl meines aktuellen Lesestoffs), erhöht sich durch einen ersten Satz (oder Absatz) sehr!
So möchte ich einen Thread zu diesem Thema eröffnen. Wann immer Ihr über einen für Euch erwähnenswerten ersten Satz (oder mehrere Anfangssätze) stolpert, postet ihn doch hier unter Angabe des Buches (also Autor und Titel), aber möglichst auch mit einer kleinen Aussage dazu, was dieser Satz (oder Sätze) für Gedanken in Euch ausgelöst haben oder warum dadurch das Buch direkt viel reizvoller für Euch wurde oder Euch direkt reingezogen hat in die Geschichte. Das macht bestimmt auch andere neugierig. Ich lasse mich gewiss für das ein oder andere Buch durch solch einen ersten Satz begeistern!
Von den gestern eingetroffenen Büchern schon mal ein paar erste Sätze:
Alice Munro: Das Bettlermädchen (Erste Erzählung: Eine fürstliche Abreibung)
Eine fürstliche Abreibung. Das war Flos Versprechen. Du wirst eine fürstliche Abreibung kriegen.
Und schon bin ich voller Erwartungshaltung. Wer bekommt eine fürstliche Abreibung? Und warum? Was bewegt Flo dazu jemandem eine fürstliche Abreibung zu erteilen? Und schon bin ich mittendrin in einer Erzählung von Alice Munro. Das ist mir übrigens auch schon bei ihrem Band "Tricks" aufgefallen. Eigentlich habe ich bei Kurzgeschichten/Erzählungen eher Probleme hineinzukommen, bzw. mich mit den Figuren zu identifizieren. Da sie ja weniger genau beschrieben werden können. Umso schöner, wenn es denn dann gelingt, in ein paar Sätzen eine Kurzgeschichte zu einer "persönlichen Sache" zu machen.
Andrea Levy: Eine englische Art von Glück
Ich dachte, ich wäre in Afrika gewesen. Habe ich jedenfalls der ganzen Klasse erzählt.
Sofort wollte ich wissen, was zu diesem Irrtum geführt haben mag. Und dass es der ganzen Klasse erzählt wurde, deutet auf eine peinliche Situation hin. Eine Blamage, auf die ich direkt gespannt bin. Dann geht es wie folgt weiter:
Early Bird, unsere Lehrerin, rief mich an die britische Fahne - bei ihr durfte niemand bloß Union Jack sagen: 'Das ist schließlich ken Schlager, sondern die Fahne des Empires'. Und ich stand da, frech wie Rotz, und verkündete: ..."
Das verströmt so viel Lebendigkeit. Sofort bin ich mitten drin und will weiterlesen. So mag ich das!
Weniger mag ich wenn mir was über die Landschaft und/oder das Wetter erzählt wird. Das wirkt auf mich zu Anfang einfach zu farblos. Denn ich habe ja noch gar keinen Bezug zu dem Ort und solche Schilderungen erscheinen mir meist in Anfangssätzen dann austauschbar. Aber auch hier kann man es herumreißen, indem man dann auf der ersten Seite (in nächsten Absatz am besten... also nicht zu lange bei Landschaft oder Wetter verweilen) dann die Figuren einführt, die direkt interessant erscheinen (also einen weiteren Blick wert). So z. B. in:
Kiran Desai: Erbin des verlorenen Landes
Der ganze Tag hatte in den Farben der Abenddämmerung geleuchtet, nun zog der Nebel wie ein Meerestier über die weiten Hänge der Berge, von ozeanischen Schatten und Abgründen beherrscht.
Das könnte, wenn ein Autor es nicht versteht es dann aber im nächsten Absatz interessant und vor allem persönlicher zu machen, schon bedeuten, dass ich das Buch doch erst mal wieder zur Seite lege und zu einem anderen greife. Quatsch, ich weiß. Denn der Inhalt entscheidet sich ja nicht über den ersten Satz. Aber dennoch ist er (den meisten Lesern) ja doch so wichtig für den Moment der Entscheidung für oder gegen das Buch.
Krian Desai schafft es dann aber, mir die Figuren im nächsten Absatz durch unspektakuläre aber liebenswerte kleine Szenen vorzustellen, so dass ich mich doch direkt wohlfühlen und "niederlassen" kann:
Sai saß auf der Veranda und las einen Artikel über Riesenkraken in einem alten National-Geographic-Heft. Dann und wann sah sie auf, und das verzauberte Leuchten des Kangchenjunga ließ sie frösteln. Der Richter saß am anderen Ende vor seinem Schachbrett und spielte gegen sich selbst. Unter seinem Stuhl, wo sie sich sicher fühlte, hatte Mutt, die Hündin, sich breit gemacht und schnarchte leise.
Es muss also nicht immer so zündend im ersten Satz sein wie in meinen ersten beiden Beispielen, aber lieber ist es mir trotzdem. Hauptsache aber dass es nicht seitenlang oberflächlich und somit uninteressant bleibt.
Nun bin ich darauf gespannt, welche Sätze wir hier noch sammeln werden. Ich wünsche uns allen viel Spaß mit dem Thread!
gestern habe ich in meine eingetroffenen bestellten Bücher reingeblättert (mache ich zu Anfang immer gern) und habe wieder einmal festgestellt, wie wichtig für mich ein guter erster Satz (oder erste Sätze) ist. Er (der erste Satz) ist es oft, der meine Entscheidung für ein Buch begründet (also es zu kaufen oder aber später auch es "jetzt" zu lesen, bei der Auswahl eines neuen Buchs vom SUB). Der Inhalt des GANZEN Buchs ist zwar ungenommen viel wichtiger. Aber die Chance, dass ich zu einem Buch greife (beim kaufen und später auch bei der Auswahl meines aktuellen Lesestoffs), erhöht sich durch einen ersten Satz (oder Absatz) sehr!
So möchte ich einen Thread zu diesem Thema eröffnen. Wann immer Ihr über einen für Euch erwähnenswerten ersten Satz (oder mehrere Anfangssätze) stolpert, postet ihn doch hier unter Angabe des Buches (also Autor und Titel), aber möglichst auch mit einer kleinen Aussage dazu, was dieser Satz (oder Sätze) für Gedanken in Euch ausgelöst haben oder warum dadurch das Buch direkt viel reizvoller für Euch wurde oder Euch direkt reingezogen hat in die Geschichte. Das macht bestimmt auch andere neugierig. Ich lasse mich gewiss für das ein oder andere Buch durch solch einen ersten Satz begeistern!
Von den gestern eingetroffenen Büchern schon mal ein paar erste Sätze:
Alice Munro: Das Bettlermädchen (Erste Erzählung: Eine fürstliche Abreibung)
Eine fürstliche Abreibung. Das war Flos Versprechen. Du wirst eine fürstliche Abreibung kriegen.
Und schon bin ich voller Erwartungshaltung. Wer bekommt eine fürstliche Abreibung? Und warum? Was bewegt Flo dazu jemandem eine fürstliche Abreibung zu erteilen? Und schon bin ich mittendrin in einer Erzählung von Alice Munro. Das ist mir übrigens auch schon bei ihrem Band "Tricks" aufgefallen. Eigentlich habe ich bei Kurzgeschichten/Erzählungen eher Probleme hineinzukommen, bzw. mich mit den Figuren zu identifizieren. Da sie ja weniger genau beschrieben werden können. Umso schöner, wenn es denn dann gelingt, in ein paar Sätzen eine Kurzgeschichte zu einer "persönlichen Sache" zu machen.
Andrea Levy: Eine englische Art von Glück
Ich dachte, ich wäre in Afrika gewesen. Habe ich jedenfalls der ganzen Klasse erzählt.
Sofort wollte ich wissen, was zu diesem Irrtum geführt haben mag. Und dass es der ganzen Klasse erzählt wurde, deutet auf eine peinliche Situation hin. Eine Blamage, auf die ich direkt gespannt bin. Dann geht es wie folgt weiter:
Early Bird, unsere Lehrerin, rief mich an die britische Fahne - bei ihr durfte niemand bloß Union Jack sagen: 'Das ist schließlich ken Schlager, sondern die Fahne des Empires'. Und ich stand da, frech wie Rotz, und verkündete: ..."
Das verströmt so viel Lebendigkeit. Sofort bin ich mitten drin und will weiterlesen. So mag ich das!
Weniger mag ich wenn mir was über die Landschaft und/oder das Wetter erzählt wird. Das wirkt auf mich zu Anfang einfach zu farblos. Denn ich habe ja noch gar keinen Bezug zu dem Ort und solche Schilderungen erscheinen mir meist in Anfangssätzen dann austauschbar. Aber auch hier kann man es herumreißen, indem man dann auf der ersten Seite (in nächsten Absatz am besten... also nicht zu lange bei Landschaft oder Wetter verweilen) dann die Figuren einführt, die direkt interessant erscheinen (also einen weiteren Blick wert). So z. B. in:
Kiran Desai: Erbin des verlorenen Landes
Der ganze Tag hatte in den Farben der Abenddämmerung geleuchtet, nun zog der Nebel wie ein Meerestier über die weiten Hänge der Berge, von ozeanischen Schatten und Abgründen beherrscht.
Das könnte, wenn ein Autor es nicht versteht es dann aber im nächsten Absatz interessant und vor allem persönlicher zu machen, schon bedeuten, dass ich das Buch doch erst mal wieder zur Seite lege und zu einem anderen greife. Quatsch, ich weiß. Denn der Inhalt entscheidet sich ja nicht über den ersten Satz. Aber dennoch ist er (den meisten Lesern) ja doch so wichtig für den Moment der Entscheidung für oder gegen das Buch.
Krian Desai schafft es dann aber, mir die Figuren im nächsten Absatz durch unspektakuläre aber liebenswerte kleine Szenen vorzustellen, so dass ich mich doch direkt wohlfühlen und "niederlassen" kann:
Sai saß auf der Veranda und las einen Artikel über Riesenkraken in einem alten National-Geographic-Heft. Dann und wann sah sie auf, und das verzauberte Leuchten des Kangchenjunga ließ sie frösteln. Der Richter saß am anderen Ende vor seinem Schachbrett und spielte gegen sich selbst. Unter seinem Stuhl, wo sie sich sicher fühlte, hatte Mutt, die Hündin, sich breit gemacht und schnarchte leise.
Es muss also nicht immer so zündend im ersten Satz sein wie in meinen ersten beiden Beispielen, aber lieber ist es mir trotzdem. Hauptsache aber dass es nicht seitenlang oberflächlich und somit uninteressant bleibt.
Nun bin ich darauf gespannt, welche Sätze wir hier noch sammeln werden. Ich wünsche uns allen viel Spaß mit dem Thread!