Hallo zusammen,
“Imperium“ habe ich beendet. Für mich ein Hör-Highlight! Christian Kracht bewegt sich in dem Roman auf den Spuren August Engelhardts, der Anfang des 20. Jahrhunderts Deutschland verließ, um seine Ideale in der Kolonie Deutsch-Neuguinea auszuleben. Dort lebte August Engelhardt fortan als Nudist als einzig Weißer auf der Insel Kabakon, auf der er eine Kokosnussplantage erwarb, um sich ausschließlich von Kokosnüssen zu ernähren. In der Annahme, dass diese der Sonne am nächsten wachsenden Frucht, die göttlichste alle Früchte ist, erlangte diese Anschauung (Kokovorismus genannt) immer stärkere religiöse Züge.
Diese interessante Lebensgeschichte erzählt Christian Kracht in einer Weise, die an eine Südseeballade erinnert. In der Tradition der großen klassischen Abenteuerromane, und im Tonfall eines Thomas Mann (deutliche Anklänge!).
Anspielungsreich ist dieser Roman auch an vielen kleinen Nebenschauplätzen, an die Christian Kracht immer wieder führt. So wirft er kleine Schlaglichter auf (fiktive) Begegnungen Engelhardts mit großen Literaten seiner Zeit. Der Leser (Hörer) muss genau hinschauen, um sie zu erkennen. Das bereitet eine diebische Freude, wenn man plötzlich Katia und Thomas Mann erkennt, Hermann Hesse oder Kafka. Aber auch in der griechischen Mythologie nimmt Christan Kracht Anleihen. So gibt es in einem der Schlusskapitel eine Nebenfigur namens Pandora, und der Kapitän Slütter veranlasst sie (unheilvoll) in einem Nebensatz auch eine Dose (Büchse) zu öffnen. In der Nebengeschichte um Pandora finden sich weitere literarische Anspielungen auf eine Erzählung („Rain“) von William Somerset Maugham und Melvilles „Moby Dick“. Es lohnt sicher, das Hörbuch dereinst noch mal zu hören, da sich sicher noch mehr Anspielungen in dem Text verstecken.
Anfangs hegte ich noch leise Zweifel, ob mir gefällt, dass der Sprachstil so deutlich an Thomas Mann angelehnt ist. Schließlich ist es somit nichts eigenes, sondern etwas kopiertes. Abschließend kann ich sagen, dass es mich nicht stört, sondern es durchaus passend ist, da Christian Kracht in diesem Roman so viele literarische Anspielungen einfließen lässt. Auch passt es sehr zur Zeit, zu der sich August Engelhardt auf in die Südsee machte. Und ganz zum Schluss gibt Christian Kracht auch ein deutliches Zeichen, dass er nicht versucht heimlich Thomas Manns Stil zu benutzen, sondern ganz und gar offen und in Absicht. Denn der (von der Geschichte nahezu absolut distanzierte) Erzähler nennt August Engelhardt am Ende „unser Freund, unser Sorgenkind“, ganz wie Hans Castorp in Thomas Manns „Zauberberg“ von Settembrini „Sorgenkind des Lebens“ genannt wird. Auch die sehr muntere und zugleich gestelzte umständliche Art, in der der „Zauberberg“ erzählt wird, ist in Christian Krachts Roman vorzufinden. Der von der Geschichte absolut distanzierte Erzähler ist ebenfalls dem in Thomas Manns „Zauberberg“ gleich. Mit nichts gibt sich der Erzähler zu erkennen, doch anders als bei Thomas Mann, flicht Kracht an einer einzigen Stelle absichtlich ein Detail ein, das dem Leser/Hörer erlaubt, einen Rückschluss auf die Herkunft und Geschichte des Erzählers zu ziehen. Auch dieses Element ist sehr spielerisch.
Spielerisch ist auch der Ausgang der Geschichte, hier weicht Kracht ein Stück von August Engelhardts wahrem Ende ab. Aber nur einen Schritt. Überhaupt ist das Ende spielerisch, und bekommt (im übertragenden Sinne) die bunten Farben des comichaften Buchcovers der gebundenen Ausgabe (hier), das ebenfalls sehr bewusst gewählt ist. Wer auf die Suche geht, stößt auch hier auf ein interessantes aber heikles Detail: Demnach ist es ein nur leicht verfremdetes Motiv aus einem Comic von Frank le Gall, aus dessen Comicserie sich Christian Kracht auch einer Figur (eine Figur namens November) bedient, um ihr einen kurzen Auftritt in „Imperirum“ zu verschaffen. Den entsprechenden Artikel von Andreas Platthaus in der FAZ verlinke ich hier. Der folgende Absatz erhält noch eine Info zur Coverwahl, verantwortlich ist demnach dafür Christian Kracht selbst:
So richtig neugierig auf Christian Krachts Roman (besonders auf das Hörbuch) wurde ich kürzlich erst durch dessen Verleger Helge Malchow von Kiepenheuer & Witsch, der zu Gast war im Podcast unüberhörbar. Im Gespräch mit Denis Scheck schwärmte Christian Krachts Verleger davon, dass Kracht zu den Autoren zähle, der sich über das Schreiben seiner Bücher hinaus ernsthafte und intensive Gedanken über die Wirkung seiner Arbeit mache, und beispielsweise was die Cover seiner Bücher betrifft gehe Christian Kracht mit einer unglaublichen Stilsicherheit und Sorgfalt vor. Und dasselbe gälte auch bei der Umsetzung seiner Bücher in Hörbücher.
Damit aber auch zu dem Auslöser, der mich so neugierig auf die (glücklicher Weise) ungekürzte Lesung gemacht hat: Die Einspielung aus dem Hörbuch nahm mich sehr für die Lesung ein. Krachts (an Thomas Mann erinnernder) Erzählton und Dominic Grafs Stimme passten aufs Beste zusammen. Ich versprach mir davon größtes Hörvergnügen, und genau das bekam ich schließlich auch! Interessant, dass Christian Kracht wohl selbst gezielt die Sprecher auswählt, die seine Romane einlesen. Interessant auch, auf wen die Wahl dabei in der Vergangenheit gefallen ist. Neben Dominic Graf (Fernseh- und Kinoregisseur), der laut Helge Malchow kein ausgebildeter Sprecher ist, hat sich Christian Kracht für die drei Romane, die er zu einem Triptychon zusammengefügt hat, z. B. folgende Künstler ausgesucht:
Dieter Meier (Sänger des Elektropop-Duos Yello) liest „Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten“.
Dirk von Lowtzow (Frontmann der Band Tocotronic, und laut Malchow ein Role Model für Popmusik) liest „Faserland“.
Schorsch Kamerun (Musiker und Theatermann) liest „1979“.
Eine passende Wahl für Romane eines Autors, der als Vertreter der Popliteratur gilt. Mich jedenfalls machte diese außergewöhnliche Wahl der Stimmen auf diese Hörbücher neugierig. Die Hörproben bestätigen diese Sprecherwahl als ausgezeichnet. Und verlockten mich zu weiteren Hörbuchkäufen (darüber berichte ich im Thread „Neuzugänge“). Doch tat ich mich mit diesen Käufen nicht leicht. Warum, wenn ich mir von den Romanen (und insbesondere von den Hörbüchern, die aus diesen Romanen entstanden sind) so viel Lese- bzw. Hörvergnügen verspreche? Grund dafür sind die Diskussionen und der Skandal, die der SPIEGEL-Artikel von Georg Diez (hier nachzulesen) im Jahr 2012 auslöste. Ich habe absichtlich unbeeinflusst das Hörbuch gehört, um für mich selbst zu entscheiden, ob ich darin rechtes Gedankengut aufspüren kann oder nicht. Das Buch kann ich für mich von dem Vorwurf freisprechen. Die Haltung von einzelnen Romanfiguren darf man zum einen nicht mit der Haltung des Autors gleichsetzen. Zumal die Figuren hier zum einen mit Ironie geschildert werden (und sich dadurch manche Aussage bricht), aber auch finden sich im Roman in mancher Passage eher kritische Aussagen zum Nationalsozialismus. So las ich im Anschluss den SPIEGEL-Artikel mit der Gewissheit, dass dieser für mich haltlose Vorwürfe äußert. Das Buch betreffend ist das auch so, aber was Georg Diez mir da über den Autor (und besonders „Five Years“, ein im Wehrhahn-Verlag veröffentlichter E-Mail-Wechsel zwischen Christian Kracht und dem Amerikaner David Woodard) offenbart, löst starke Beklemmungen in mir aus. Die Frage, ob man Autor und Werk getrennt voneinander betrachten kann/soll, stellte sich mir dadurch noch mal neu! Und ich kann sie mir nicht endgültig beantworten.
Ich habe im Anschluss im Internet viel recherchiert, und mir auch einige Literatursendungen im Internet nochmal angeschaut, die damals den Roman „Imperium“ besprochen haben. Denis Scheck z. B. sprach einmal positiv von dem Roman (und entschärfend im Hinblick auf die Vorwürfe) im „Lesenswert Quartett“, führte jedoch ein auch kritisches und anspielungsreiches Interview in „Druckfrisch“ mit Kracht, dem es offenbar unbehaglich war. Beides wurde zeitlich recht eng aneinander ausgestrahlt, so dass ich nicht zu sagen vermag, welche Meinung Schecks letztere besser spiegelt. In dem Interview, das er mit Kracht führte, legt er den Finger in so manche Wunde, im Hinblick auf die Vorwürfe des rechten Gedankenguts, aber auch in Punkto der Vorlagen und des Erzähltons, deren Kracht sich für seinen Roman bediente. So erzählte Christian Kracht z. B., dass er vormals Maler werden wollte, ihm jedoch recht früh gesagt wurde, dass es nicht reiche ein Maler-Darsteller zu sein, man müsse sich mit anderen Malern messen können. So kam er zum Schreiben. Scheck fragt darauf hin, ob einem das nicht auch beim Schreiben passieren könne, dass man zum Dichter-Darsteller werde. Für mich liegt darin auch eine kritische Anmerkung an Krachts Art zu schreiben, mit der er sich anderer Literaten bedient. Zum Buch jedoch äußert sich Scheck (wie die meisten anderen Kritiker) ausgesprochen positiv.
Was wieder die Frage aufwirft: Kann und muss man Autor und Werk trennen? Im Falle Kracht findet darauf keiner so recht eine klare Antwort. Volker Weidermann bringt das schön auf den Punkt in einem Artikel in der FAZ – siehe hier. Genau diese Fragen hörte ich aus vielen Stimmen heraus, die ich zu dem Roman und den Skandal im Internet nachgelesen und –gehört habe. Und genau diese Fragen stellen sich mir auch. Auch die danach, was Kracht mit manchen Anspielungen will. Z. B. den offenkundigen Parallelen, die er zwischen August Engelhardt und Hitler (beabsichtigt! Darüber gibt er im Roman Auskunft) herstellt. Das, und vieles andere, kann man in unterschiedliche Richtungen interpretieren. Doch in Kenntnis des veröffentlichten E-Mail-Austauschs zwischen Kracht und Woodard lösen solche Passagen ein Unwohlsein aus. Zumal Kracht die Veröffentlichung des E-Mail-Wechsels offenbar wünschte. Auch hier stellt sich die dringende Frage nach dem Warum.
Diese Dinge werfen einen langen Schatten über die munter erzählte, sonnige Südseeballade. Und über das gesamte Werk Christian Krachts. Und so tat ich mich nicht leicht damit, ob ich nun mehr von diesem Autor lesen, bzw. bevorzugt hören (die Lesungen scheinen wirklich mit besonderer Sorgfalt gemacht) möchte. Ich habe mich dafür entschieden, weil mir „Imperium“ ausgezeichnet gefallen hat, wie gesagt ein Hör-Highlight! Und weil ich ausgesprochen neugierig auf die übrigen Romane bin. So viel Neugierde (bezogen auf sein literarisches Schaffen!) hat lange schon kein Autor mehr in mir geweckt. Christian Kracht vermag sehr komplexe Stoffe dicht und schillernd zu erzählen, und imposante Konstruktionen aus Realität und Fiktion zu erschaffen.