Hallo zusammen,
in einem anderen Thread hatte mich Petra nach meinen Lieblingshoerbuechern gefragt. Gerne schreibe ich ein paar Saetze dazu, und bitte um Nachsicht, wenn es zu lang geraten ist.
Hallo Petra,
Zunaechst einmal: wenn ich in dir die Lust wecken konnte, wieder mal einen Murakami zu lesen oder zu hoeren, freut mich das sehr.
Und ich freue mich ebenso, dass ich in dir jemanden gefunden habe, die sowohl meine Begeisterung fuer Murakami teilt als auch die fuer herausragende Sprecher. Bisher war ich mit meiner Begeisterung, zumindest was Musik/Buecher/Hoerbuecher betrifft, eher sehr alleine. Schoener ist es auf Dauer doch, wenn man auch mal jemanden trifft, der die Begeisterung fuer eine Sache teilt.
Das Hoerbuch zum "Aufziehvogel" mit Ulrich Matthes wird dir wohl bestimmt genauso gefallen wie mir. Ich spuerte vom ersten Satz an seine Begeisterung fuer dieses Werk, die sich dann sofort auf mich uebertragen hat. Wie er den Personen eine je eigene Stimme verleiht, finde ich geradezu phaenomenal. Was fuer eine Leistung, das ueber eine so lange Zeitstrecke durchzuhalten, die Romane solchen Umfangs beanspruchen. Ich kann dieses Talent nur staunend bewundern.
Danke auch fuer dein Zitat zum Streitgespraech im "Literarischen Quartett". In die Riege der heftigen Murakami-KritikerInnen hat sich ja auch Alice Schwarzer eingereiht. Leider habe ich mir auch hier die Quelle nicht abgespeichert. Sie hat sich jedenfalls aehnlich geaeussert wie Frau Loeffler und ist aus ihrer feministischen Sicht zu dem Schluss gekommen, dass die Frauen bei Murakami ganz und gar nicht in ihrem Sinne agieren und dargestellt werden [wie furchtbar], und ja, sie hat sich etwas drastischer und leidenschaftlicher ausgedrueckt. Man konnte ihr auf jeden Fall abnehmen, dass sie Murakamis Frauenbild, das sie meinte, aus seinen Buechern extrahiert zu haben, verabscheut. Nun, ich habe gerade in diesem Punkt eine vollkommen andere und gegenteilige Hoererfahrung gemacht. Zeigt das nicht lediglich, dass es auch am Leser/Hoerer selbst liegt, wie ihm die handelnden Personen begegnen? Dass ebenso die Sprache, mit der Murakami sexuelle Handlungen beschreibt, unterschiedlich aufgenommen wird, ist doch nicht verwunderlich und in Ordnung. Jeder hat das Recht, dazu seinen eigenen Standpunkt einzunehmen. Ich gebe gerne zu, dass ich anfaenglich schon ein wenig erstaunt war ueber die direkte Sprache. Je mehr ich mich aber eingehoert und mit seinem Erzaehlstil vertraut gemacht hatte, umso natuerlicher und selbstverstaendlicher wirkte die Sprache auch unter diesem Gesichtspunkt auf mich. Als vulgaer wuerde ich diese Sprache aber auf keinen Fall bezeichnen. Mag sogar sein, dass sich beim Lesen des Originaltextes diesbezueglich noch einmal ein differenzierteres Bild ergibt. Zugegeben, Murakami verlangt dem Leser nach meinen ersten Eindruecken insgesamt halt schon einiges mehr ab als beispielsweise die Lektuere von "Heidi" von Johanna Spyri:
http://www.wahre-worte.de/literarisches_quartett_reich_ranicki_loeffler.htmIch muss gestehen, unter diesem, mir bisher vollkommen verborgen gebliebenen Aspekt werde ich "Heidi" schleunigst ganz oben auf meine Leseliste setzen. Ganz offensichtlich hatte ich das Buch gruendlich missverstaden.
Hoerbuecher hoere ich sehr gerne. Allerdings steht und faellt der Hoergenuss bei mir mit der Sprecherin/dem Sprecher. Sicher bin ich da extrem anspruchsvoll. Schon nach wenigen Saetzen weiss ich, ob ich mir ein Hoerbuch tatsaechlich vorlesen lassen moechte oder lieber nicht. Meine Erfahrung, die sich bisher nur auf wenige Hoerbuecherhoerversuche stuetzen kann, war die, dass es anscheinend viele schlechte bis schrecklich schlechte Sprecher zu geben scheint und ein paar wenige ganz hervorragende. Bei den erwaehnten Sprechern der Spitzenklasse wuerde ich so weit gehen zu behaupten, dass, haette ich die entsprechenden Romane lediglich gelesen, mir eine ganz wesentliche Dimension verschlossen geblieben waere. In diesem Zusammenhang faellt mir gerade eine weitere Lesung ein [sie fand kuerzlich in HR2 statt], die mich ganz tief beruehrt hat: der "Radetzkymarsch" von Joseph Roth, gelesen von Werner Kreindl. Leider ist daraus kein Hoerbuch entstanden. Das ist ein Jammer, finde ich.
Soviel mal zu meinen noch recht wenigen, aber dafuer umso intensiveren und beeindruckenderen Hoerbucherfahrungen.
Sicher kann ich hier ganz viele Anregungen erhalten fuer Neuentdeckungen, und wenn ich auf [fuer mich] Schaetze treffe, berichte ich hier gerne davon.
Hier eine kleine Auflistung der Hoerbuecher, die ich zuletzt gehoert habe [ein * soll andeuten, dass es besonders nachhaltige Hoererlebnisse waren, und dass sie zu meinen Lieblingshoerbuechern zaehlen]:
* Peter Kurzeck, "Ein Sommer der bleibt" [Autorenlesung]
* Peter Kurzeck, "Kein Fruehling" [Autorenlesung]
* Peter Kurzeck, "Oktober und wer wir selbst sind" [Autorenlesung]
* Jonathan Franzen, "Freiheit" [Sprecher: Ulrich Matthes]
* Haruki Murakami, "Mister Aufziehvogel" [Sprecher: Ulrich Matthes]
* Haruki Murakami, "After Dark" [Sprecher: Ulrich Matthes]
* Haruki Murakami, "Gefaehrliche Geliebte" [Sprecher: Joachim Krol]
* Haruki Murakami, "Kafka am Strand" [Sprecher: Rufus Beck]
* Haruki Murakami, "1Q84" [Sprecher: David Nathan]
Thomas Bernhard, "Das Kalkwerk" [Sprecher: Ulrich Matthes]
Max Frisch, "Stiller" [Sprecher: Ulrich Matthes]
Adalbert Stifter, "Brigitta" [Sprecher: Christian Brückner]
* Charles Dickens, "Oliver Twist" [Sprecher: Hans Paetsch, Uebersetzung: Gustav Meyrink]
* Charles Dickens, "Grosse Erwartungen" [Sprecher: Hans Paetsch, Uebersetzung: Josef Thanner]
Aktuell hoere ich:
* Charles Dickens, "Nicholas Nickleby" [Sprecher: Hans Paetsch, Uebersetzung: Gustav Meyrink]
Danach moechte ich ganz schnell wieder etwas von Murakami lesen/hoeren.
Liebe Gruesse
Lilith