Gustave Flaubert: L'éducation sentimentale

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Gustave Flaubert: L'éducation sentimentale

Beitragvon JMaria » So 31. Jan 2021, 21:23

Hallo zusammen,

Steffi und ich haben spontan beschlossen Flauberts letzten vollendeten Roman gemeinsam zu lesen.
Jeder ist herzlich eingeladen sich uns anzuschließen.

Da es diverse ältere, dazu revidierte Übersetzungen und sogar eine brandneue gibt und nicht selten mit den unterschiedlichsten Titeln, habe ich im Betreff oben den Originaltitel belassen.

Meine Ausgabe ist vom Diogenes Verlag.
Die Erziehung des Herzens
Übersetzt von Emil Alphons Rheinhardt 1926, revidiert 1979 von Ute Haffmans

Die neue Übersetzung von Elisabeth Edl ist betitelt „Lehrjahre der Männlichkeit".
Mit wenigen Unterbrechungen hat sie acht Jahre an der Übersetzung gearbeitet.
Hier geht’s zu einem Artikel.
https://www.sueddeutsche.de/kultur/gust ... -1.5096782

Flaubert selbst über sein Schreiben....“Ein guter Prosasatz muss unveränderlich sein wie ein guter Vers, ebenso rhythmisch und klangvoll." Daran erkennt man welch hohe Ansprüche er an sich selbst gestellt hat.

Gustave Flaubert (1821-1880)
https://de.wikipedia.org/wiki/Gustave_Flaubert

Für L éducation sentimentale gibt es in Deutsch die verschiedensten Titel...
Die Erziehung der Gefühle,
Die Erziehung des Herzens,
Die Erziehung des Gefühls,
Lehrjahre des Gefühls,
Lehrjahre des Herzens,
Die Schule der Empfindsamkeit und Der Roman eines jungen Mannes.

Die Neuübersetzung 2020 trägt den Titel: Lehrjahre der Männlichkeit. Geschichte einer Jugend.



Außerdem haben wir ein Jubiläumsjahr, den 200. Geburtstag.

Von Dezember 2020 bis Dezember 2021 feiert die Normandie unter dem Titel „Flaubert 21“ den 200. Geburtstag von Gustave Flaubert.

https://de.normandie-tourisme.fr/event/ ... bert-2021/

Ich wünsche uns eine schöne Leserunde :lesen_und_nachdenken:
Schöne Grüße, Maria
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Re: Gustave Flaubert: L'éducation sentimentale

Beitragvon steffi » Mo 1. Feb 2021, 10:51

Danke JMaria, für die schöne Eröffnung !

Die Auswahl der Übersetzungen ist nicht einfach und weil es auch noch unterschiedliche Titel gibt, umso verwirrender.
Ich habe mich entschlossen, die Übersetzung von Luise Wolf mit dem Titel Die Erziehung des Herzens oder auch Die Schule der Empfindsamkeit zu lesen, da es diese als Kindleversion gibt.

Außer der großartigen Madame Bovary habe ich noch nichts weiteres von Flaubert gelesen, daher freue ich mich sehr auf unsere Leserunde.
Gruss von Steffi

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Re: Gustave Flaubert: L'éducation sentimentale

Beitragvon JMaria » Mo 1. Feb 2021, 14:07

Hallo Steffi,

Am eindrücklichsten, wie ein gigantisches Schlachtengemälde, opulent, drastisch, nichts für schwachen Magen, fand ich „Salammbo“ über den Niedergang Karthagos. Man könnte annehmen, dass man das Buch schockiert wegen den Gräueltaten weglegt, aber Flaubert schafft zugleich auch eine Distanz und man liest gebannt. Ein Meisterwerk!


Zurück zu Flauberts Erziehung des Herzens.
Erziehung, Lehrjahre... das erinnert mich an einen Bildungsroman wie Goethes „Wilhelm Meisters Lehrjahre“ (1795/96) der ca. 70 Jahre früher erschien als Flauberts Roman (1869). Aber ich denke, Flaubert wird uns etwas anderes bieten im Leben seinen Helden Frédéric Moreau. Bei Flaubert finden wir meist das Scheitern.
Schöne Grüße, Maria
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Re: Gustave Flaubert: L'éducation sentimentale

Beitragvon steffi » Mi 3. Feb 2021, 18:43

Ich habe die ersten drei Kapitel gelesen. Wie erwartet hat Flaubert wieder diese wundervolle Sprache, ich bekomme sofort Sehnsucht nach Paris. Universität, Jardin du Luxembourg, Tuileries :gibt_herz:

Ganz besonders schön fand ich die Flussfahrt am Anfang - nicht wie ein Aufbruch sondern zunächst zurück ins alte Leben, das Frédéric so gar nicht mehr will. Er will ja Romantik erleben, aber nicht die Romantik, mit der Flaubert die Flussfahrt schildert sondern Romantik des Herzens. Dann lernen wir auch gleich Charles kennen, mir erscheint er ehrgeizig und zielstrebig. Ich bin gespannt, wo das alles noch hinführt !
Gruss von Steffi

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Re: Gustave Flaubert: L'éducation sentimentale

Beitragvon JMaria » Do 4. Feb 2021, 18:24

Hallo Steffi,

mir gefällt Flauberts Stil sehr! Übrigens Flauberts Großmutter lebte in Nogent. Das habe ich aus seinen frühen Briefe erfahren. Es gibt ja noch keine Biographie. Die erscheint erst im Mai.


Die Geschichte beginnt 1840. In der Zeit regiert Louis-Philippe I (1830 bis 1848 ), der einige Attentate überlebte. Die Industrialisierung ist im vollen Gange, Studentenproteste, das Proletariat (der vierte Stand) unzufrieden. In einem Kapitel geraten Frederic und seine Kumpanen in eine solche Demonstration.

Im Grunde geht es in die Moderne, doch Frederic ( 18 Jahre ) zieht es zur Romantik des Herzens (das hast du schön beschrieben).
Auch sein Äußeres , seine Locken, ist doch eher romantisch gehaucht. Dort auf dem Schiff begegnet er Jacques Arnoux und seiner Frau. Arnoux verkauft industrielle Kunst. Auch hier die Moderne zu erkennen.

Frederic liebt Leidenschaft in der Literatur (Werther, Lelia...) und möchte Abenteuer eines Kavaliers der seine Herzensdame rettet erleben. Sein Blick geht jedenfalls nicht nach vorn. Eher narzisstisch in den Spiegel. So fand ich auch die Flussfahrt zurück nach Hause ein passendes Motiv als Beginn der Geschichte.

Auch ist er der Meinung, dass er bereits eine vortreffliche Seele hat. Da bleibt nicht viel übrig um in seinem Leben noch zu reflektieren. Wenn er dazu überhaupt in der Lage sein sollte. Außerdem meint er mit 18 Jahren (!) ..mit einer Frau die mich geliebt hätte, hätte ich etwas leisten können...

Dazu kam Charles nüchterner Rat, dass er für Kümmernisse keinen Grund habe :breit_grins:


Im 1. Teil (=Kapitel 1-6) steckt schon eine Menge drin.

Sehr schön fand ich den Satz...

Alle Straßen führten zu ihrem Haus.. Ganz Paris bezog sich auf ihre Person, und die große Stadt mit all ihren Stimmen umbrauste sie wie ein ungeheures Orchester.


Die erste echte Gefühlsregung Madame Arnoux ist auf ihrer Geburtstagsfeier als sie den Blumenstrauß ihres Mannes wegwirft.
Ich bin gespannt wie es weitergeht.


Ich komme zum 2. Teil.
Schöne Grüße, Maria
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Re: Gustave Flaubert: L'éducation sentimentale

Beitragvon steffi » Fr 5. Feb 2021, 15:55

Danke noch für deine historische Einordnung. Spannend ! Ich frage mich auch, ob es darum geht, wie die Industrialisierung auf das Großbürgertum wirkt. Das Proletariat wird ja in der Literatur eher behandelt. Ich kann mir auch vorstellen, dass Frédéric autobiografische Züge hat. Er beschließt nach dem Abendessen bei den Arnouxs Dichter oder Maler zu werden, um sich Madame Arnoux nähern zu können. :breit_grins: Er ist doch schon sehr naiv oder vielleicht war es allgemein so, dass sich die Bourgoisie alles zutraute. Wenn man seinen Lebensunterhalt nicht damit verdienen musste ...

Ich komme zu Kapitel 5 im ersten Teil.
Gruss von Steffi

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Re: Gustave Flaubert: L'éducation sentimentale

Beitragvon JMaria » Fr 5. Feb 2021, 18:17

Das Kapitel 5 im 1. Teil ist das längste. Frederic ist doch sehr sprunghaft. Er erbettelt mehr Geld von seiner Mutter für Nachhilfe, denn sein Examen schafft er erst beim 2. Anlauf. Vom Geld kauft er sich aber vornehme Kleidung, die er unter Wert wieder veräußert als er Geld braucht.

Ich frage mich auch, ob es darum geht, wie die Industrialisierung auf das Großbürgertum wirkt.


Gute Frage ! Zumindest der Leser bekommt das mit. Aber Frederic selbst?

Oder es geht ausschließlich um den Jungen inmitten der Veränderungen im Großbürgertum, doch für ihn spielt das keine Rolle, statt Lehrjahre ist es nur die Geschichte eines jungen Mannes.(Untertitel des Romans).

Er kommt mir ja schon wie das Pendant von Emma, Madame Bovary, vor.
Schöne Grüße, Maria
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Re: Gustave Flaubert: L'éducation sentimentale

Beitragvon JMaria » So 7. Feb 2021, 12:40

Im Wikipedia gibt es eine Beschreibung zur Industriemalerei.

https://de.wikipedia.org/wiki/Industriemalerei


Pellerin, der Auftragsarbeiten für Arnoux macht, ist ja auch immer im Selbstzweifel. Vielleicht hängt er ja auch zwischen Tradition und Moderne.

Pellerin las sämtliche ästhetischen Werke, um die richtige Theorie des Schönen zu finden;.... dann würde er Meisterwerke zustande bringen. Kapitel 4.

Auch dieser junge Mann meint erst durch gewisse Umstände (ähnlich wie bei Frederic) großartiges leisten zu können.
Schöne Grüße, Maria
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Re: Gustave Flaubert: L'éducation sentimentale

Beitragvon steffi » So 7. Feb 2021, 13:02

Für Frederic stellen sich ja viele Fragen gar nicht. Einzig, wie er Madame Arnoux zu seiner Geliebten machen könnte. Interessant, dass er auf dem Land, in romantischer Atmosphäre, diesem Wunsch näher zu kommen glaubt. Allerdings deute ich Madame Arnouxs Freundlichkeit eher auf das Papier, vielleicht der Brief von Arnouxs Geliebter, das den Rosenstrauß umhüllte.

Eigentlich entwirft Flaubert doch ein sehr trauriges Bild eines Künstlers. Denn Frederic beschäftigt sich mit der Malerei ja nicht, weil er sich damit ausdrücken will oder es eine Berufung ist, sondern um einer bestimmten Gruppe zuzugehören, die es ihm ermöglicht, seiner idealisierten Liebe nah zu kommen. Oder ist der Künstler frei, eben das zu wählen, wonach ihm sein Herz steht, ohne Ehrgeiz oder gesellschaftliche Zwänge ?

Nun eröffnet Frederics Mutter ihm, dass er nicht reich ist und nicht als Privatie leben kann. Ich bin gespannt, wie es weitergeht.
Gruss von Steffi

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Re: Gustave Flaubert: L'éducation sentimentale

Beitragvon JMaria » Di 9. Feb 2021, 15:23

Allerdings deute ich Madame Arnouxs Freundlichkeit eher auf das Papier, vielleicht der Brief von Arnouxs Geliebter, das den Rosenstrauß umhüllte.


Toller Gedanke! Wäre ich nie darauf gekommen . Madame Arnouxs Reaktion würde gut dazu passen.



Eigentlich entwirft Flaubert doch ein sehr trauriges Bild eines Künstlers. Denn Frederic beschäftigt sich mit der Malerei ja nicht, weil er sich damit ausdrücken will oder es eine Berufung ist, sondern um einer bestimmten Gruppe zuzugehören, die es ihm ermöglicht, seiner idealisierten Liebe nah zu kommen. Oder ist der Künstler frei, eben das zu wählen, wonach ihm sein Herz steht, ohne Ehrgeiz oder gesellschaftliche Zwänge ?



So ist es! Und nicht nur einer Gruppe! Er jongliert ja in mehreren Gruppen unterschiedlichster Interessen.
Am Ende Kapitel 6 wendet sich seine finanzielle Situation. Nun könnte er ja als Künstler frei leben, ohne von Hand in den Mund. Aber geht das ohne Ehrgeiz?


Pellerin, ein Künstler aus der Gruppe um Arnoux, sucht das „Schöne“ zu entschlüsseln, nur dann, so meint er, würde er Meisterwerke zustande bringen. Oder ist das auch veraltet? Auch das Hässliche kann zur Kunst stilisiert werden, oder? Oder verstehe ich einfach den Begriff des „Schönen“ nicht?

Ich komme zu Teil 2 Kapitel 1
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