Ich habe die Szenen nochmals durchgelesen und die „Zeiten“ verwischen sich, gehen ineinander über, so mein Gefühl. Ich denke, das war gekonnt gemacht von Goethe. Aber im Grunde steh ich hier auf unsicherem Boden, da ich den Wechsel nicht bemerkt habe, höchstens fühlte. Danke für deine konstruktive Erklärung!
Ich habe schon vor ein paar Tagen die Wahlverwandtschaften beendet und für mich funktionierte der Roman, mit all seiner Symbolik durchwebt, gut. Die Tiefe, die man wohl nie ganz ausloten kann, hat mir unglaublich gut gefallen, dadurch machte es mir nichts aus, dass die Personen mir fern blieben, mich interessierte eigentlich nur was sie darstellen bzw darstellen könnten. Goethe hat ja sein Arbeitsmaterial zu den Wahlverwandtschaften gänzlich vernichtet, weil er nicht wollte, dass man alles deuten könnte.
„Ich habe viel hineingelegt, manches hineinversteckt“ schrieb er an Zelter.
Es geht auch nicht um Schuld oder Sühne, obwohl es um Ehebruch geht, sondern um Erlösung. Sogar Ottilie, trotz Freitod durch verhungern, wirkt durch ihre Gebeine wundertätig. Hier geht das Denken und Empfinden weit über religiöse und gesellschaftliche Dogmen hinaus, wie ich finde.
Sie fastet bis zum Tod, ist das nicht eine Art Märtyrertod? Wie beim Priester ist auch hier Mittler wieder indirekt beteiligt.
Ich seh hier auch den Märtyrertod und den darin enthaltenen Aspekt der Erlösung.
Interessant ist ja die Figur des Mittlers schon. Ob Goethe hier ein Zugeständnis an die Gesellschaft machte um die Entrüstung um den Ehebruch zu dämpfen? Denn in seiner Figur widerspiegelt sich ja die Moral.
Aber wenn alles in den Wahlverwandschaften scheitert, dann muss es doch einen positiven Ausblick geben ?
Gute Frage ! Geht es um Moral und Natur? Auch so ein weites Feld auf dem Gebiet der Naturethik in der ich mich recht wenig auskenne.
Einer der schönsten Sätze über Ottilie und Eduard ist dieser:
„Das Leben war ihnen ein Rätsel, dessen Auflösung sie nur miteinander fanden.“