Fallada, Hans: Der Trinker

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Fallada, Hans: Der Trinker

Beitragvon Petra » Mo 18. Apr 2011, 14:34

Fallada, Hans
Der Trinker

Bild

Kategorie: Ungekürzte Lesung
Genre: Erzählung
SprecherInnen: Christian Melchert
Regie: /
Medium: 8 CDs
Laufzeit: ca. 602 Minuten
Verlag: Edition Apollon
Preis: 24,99 €
ISBN: 9783941940024
Bewertung: 9 Punkte
(von 10 möglichen Punkten)

Inhalt:

Erwin Sommer ist ein erfolgreicher selbständiger Kaufmann. Seit seine Frau Magda jedoch nicht mehr bei den Geschäften mithilft, laufen diese immer schlechter. Dass es an seinen eigenen Charakterschwächen liegt, und seine Frau in geschäftlichen Dingen geschickter ist als er, will Erwin Sommer sich nicht eingestehen. Auch daheim gibt es immer mehr Streitigkeiten über Kleinigkeiten. Davor, dass er sie selbst meistens heraufbeschwört, verschließt er ebenfalls die Augen. So wird seine Stimmung immer depressiver. Eine Erleichterung bereitet ihm der Griff zur Flasche – gelegentlich, und dann immer häufiger. Bis er schließlich nicht mehr davon ablassen kann, die Sucht ihn gefangen hält und immer tiefer in den Abgrund zieht. Und der ist Tief!

Meine Meinung:

Gleich aus mehreren Gründen ist dieser Roman Falladas sehr interessant.

Zum einen erhält der Leser (Hörer) hier wertvolle Innenansichten eines Alkoholkranken. Besonders interessant ist das im Hinblick auf Hans Falladas selbst bereits weit fortgeschrittener Suchterkrankung zu der Zeit, als er den Roman schrieb. Veröffentlicht wurde das Buch 1950 posthum. Das Manuskript hat er 1944 getarnt und verschlüsselt in der Landesanstalt Strelitz während eines Haftaufenthalts geschrieben. Der Roman stützt sich auf eigene Erfahrungen Hans Falladas mit der Alkoholsucht und greift Geschehnisse aus Falladas eigenem Leben auf. So befand sich Fallada in der Landesanstalt Strelitz in Haft wegen versuchten Totschlags (Bedrohung mit einer Schusswaffe) an seiner ersten Frau – Anna Ditzen. Seine Figur Erwin Sommer bedroht seine Ehefrau Magda im Rausch, und gerät deshalb in Untersuchungshaft, und später in eine Trinkerheilanstalt.

Zum anderen ist Erwin Sommers Geschichte nur eine von vielen. Sie alle gestalten sich individuell, und doch gleichen sie sich in entscheidenden Punkten. So ist es kein Zufall, dass Erwin Sommers Leben – beruflich, wie auch privat – nach und nach als Folge der Alkoholsucht zerstört wird. Seine Verluste erstrecken sich auch auf die Würde und die Gesundheit. Auch das hat er mit jedem Alkoholkranken gemein.

Darüber hinaus übt Fallada in diesem Roman aber auch Kritik am Rechtssystem und an Einrichtungen, wie der hier beschriebenen Trinkerheilanstalt. Von Heilung kann hier keine Rede sein. Aufbewahrung trifft es viel eher. Eine Therapie hat nie stattgefunden. Eine Chance auf Besserung besteht somit nicht. Einmal durch Auf- und Straffälligkeiten aufgefallen, bleibt der Suchtkranke abgestempelt als minderwertiger Mensch, der keinen Respekt verdient. Die Zustände in der hier geschilderten Heilanstalt sind erschreckend. Das Essen katastrophal, die Hygiene fast nicht vorhanden. Berechtigte Kritik übt Fallada an solchen Einrichtungen. Wie gut, dass sich da aus heutiger Sicht so unglaublich viel getan hat. Dass Alkohohl- und überhaupt Suchtkranke als Patienten wahrgenommen werden, denen eine Therapie zusteht und somit eine Chance auf Heilung überhaupt erst gegeben ist. Dennoch bleibt auch aus diesem Aspekt der Roman aus heutiger Sicht noch interessant. Denn die Akzeptanz des Alkoholismus als Krankheit in unserer Gesellschaft ist zwar schon recht befriedigend, hat jedoch noch nicht den Idealzustand erreicht. Doch das ist ganz wichtig, für die Betroffenen und ihre Angehörigen, die besser mit dem „Versagen“ der Alkoholkranken umgehen können, wenn sie den Alkoholismus, die Sucht, erst mal als schwer zu heilende Erkrankung ansehen können. Was der Alkoholismus auch tatsächlich ist. Das spricht den Alkoholkranken nicht von der eigenen Verantwortung frei. Ist jedoch erst mal eine Erkrankung da, so ist es sehr wichtig, sie als solche zu erkennen.

Da Alkoholismus ein immer noch aktuelles Thema ist (und gewiss auch bleiben wird), ist dies ein sehr wichtiges Buch. Es beschreibt, was mit dem Alkholkranken geschieht und zeigt besonders den sozialen Abstieg auf. Erwin Sommers Gefühle spiegeln gut die veränderten Gefühlswelten alkoholkranker Menschen wider. Der Selbstbetrug, die Lügen den Angehörigen gegenüber, das Unvermögen dem Alkohol abzuschwören. Aber auch das Schuld suchen bei Anderen oder in den Umständen – nur nicht bei sich selbst. All das ist ganz typisch für diese Sucht. Ebenso die Verbitterung, abgewechselt von Höhenflügen, was man alles unternehmen wird, wenn man nur erst mal wieder draußen ist aus der Anstalt. Dabei wird nichts von alledem geschehen, solange der Alkohol den Süchtigen im Griff hat. Sondern der Abstieg geht weiter, immer weiter runter, bis alle Würde verloren ist oder der Tod eintritt.

Gern wird der Alkohol auch als Königin Alkohol bezeichnet. Für Erwin Sommer personifiziert sich der Alkohol und seine Glücksversprechungen ebenfalls in einer weiblichen Person: in Elinor, einem Schankmädchen. In gleichem Maße wie er sich der unheilbringende Königin Alkohol ergibt, hängt er sich auch an Elinor, die ihm seinen ersten Korn einschenkte. Und ruft sie sich ins Gedächtnis, wann immer er sich dem Alkohol hingibt.

Gerade weil Hans Fallada selbst dem Alkohol verfallen war und hier auch Erlebnisse aus seinem eigenen Leidensweg aufgreift, ist dies ein sehr mutiges Buch.

Ausgezeichnet und ungekürzt gelesen wird der Roman von Christian Melchert. Er legt immer das passende Maß an Verbitterung oder Euphorie in die Stimme, von Wut, Hass, Verzweiflung, verzweifelter Hoffnung. Ohne jedoch jemals zu übertreiben. Eine ruhige Lesung, angemessen für Hans Falladas Ton, in dem er Erwin Sommers Abstieg erzählt. Sehr erfreulich auch, dass keine Kürzungen vorgenommen wurden. (Petra)

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Liebe Grüße,
Petra


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