Hallo Maria,
ich bin mittlerweile inmitten des 5. Buches angelangt, Casaubon ist verstorben, sein Testament bekannt, Dorothea hat sich vom Schock befreit und beginnt sich in ihrem Witwenleben einzurichten. Wie? so weit bin ich noch nicht gekommen.
Doch eine Frage narrt mich trotz allem Wissen um die viktorianische Epoche: George Eliot erzählt mit viel Vertrautheit von ihren Protagonisten, über deren Hoffnungen, Enttäuschungen, Wahn oder Reue. Sie breitet das ganze Seelenleben des Romanpersonals, die Qualen ihres Ehelebens vor ihrem Leser aus… Bloß niemals wird die Sinnlichkeit zwischen den Ehepartnern berührt. Da herrscht Eiseskälte. Ich will ja gar keine kleine Porno-Szene lesen, wie sie heute zu Hauf in den Romanen der Gegenwartsliteratur zu finden ist… verflixt, Dorothea, will sie oder will sie nicht Kinder mit Casaubon?
Irgendwie fehlt mir da schon eine Tageszeit. Oder habe ich doch etwas überlesen? Eine Ehe ist nicht allein durchgeistigt. Mutterschaft oder Vaterschaft kommt nie zur Sprache, außer in einem Nebenabsatz, wenn vom Ehevertrag zwischen Dorothea und Casaubon die Rede ist. Da wird der Vermögensanteil Dorotheas im Falle der Geburt eines Kindes erhöht.
Da ich mich bereits bis nach dem Begräbnis Casaubons durchgelesen habe, frage ich mich, ob dessen Ehe überhaupt vollzogen wurde? Dieser alte Geistliche scheint die geringste Regung an Sinnlichkeit zu ignorieren.
Wenn ich so an die Biographie von George Eliot denke, hatte diese Frau ein recht freies Liebesleben. Ist an diesem großen Manko im Roman allein das viktorianische Zeitalter schuld? oder verstand George Eliot einfach keine Liebesszene zu schreiben?
Ich las diesen Sommer wieder einmal einige Seiten von und über George Sand. Eine Zeitgenossin. Trotz des gemeinsamen Vornamens verstand George Sand die Sinnlichkeit in ihren Romanen darzustellen. Sie war aber auch Französin oder Franco-Schweizerin.
Hier fehlt mir eindeutig etwas in Middlemarch.