Gerade beim Stöbern entdeckt - Kennt jemand?

[steffi]

Gibt es eigentlich konkrete Gründe dafür, dass Du mit modernen AutorInnen selten etwas anfangen kannst?

Schwer zu beantworten - ich glaube, zum einen, weil ich gerne etwas aus der Vergangenheit erfahren möchte, die Gegenwart interessiert mich nicht so. An TC Boyle oder Stewart O'Nan mag ich allerdings z.B. dass sie sehr realistisch schreiben und sich selber nicht so wichtig nehmen, dafür aber entweder psychologische Themen oder Gesellschaftsbeobachtung und -kritik deutlich unterbringen. Ohne Experimente mit Stil und Thema zu unternehmen. Ich finde es sehr schwer, aus der Flut der Neuerscheinungen dann das Richtige herauszusuchen und begebe mich dann lieber auf sichereres Terrain.

Mich interessiert sehr, auf welche Art und Weise SchriftstellerInnen die Welt, in der wir leben, wahrnehmen, darstellen und ihre persönlichen Erfahrungen verarbeiten.

Vielleicht mag ich auch ungern meine persönlichen Erfahrungen und Wahrnehmungen so auf den Prüfstand stellen - ich glaube, ich suche da auch immer eine Übereinstimmung mit mir und naja, das ist nicht einfach zu finden Ich lese aber ja auch nicht nur Klassiker sondern dann eben historische Romane oder Fantasy und ab und zu sind ja auch ein paar Zeitgenössische dabei, diese aber eigentlich wirklich nur auf Empfehlung.

[Petra]

Hallo Steffi und Fevvers,

ich lese Euren Austausch über die zeitgenossische Literatur interessiert mit. Mir geht es wie Fevvers, mich interessiert die zeitgenössische Literatur sehr. Klassiker lese ich auch gern, aber immer nur gelegentlich. Die Themen, die in der zeitgenössischen Literatur behandelt werden, sind für mich oft gewichtiger, da sie mich selbst betreffen. Klassikern entnehme ich viel über die damalige Zeit, die Gesellschaft, die Probleme der Menschen damals. Aber für mein Hier und Jetzt kann ich da weniger entnehmen. Deshalb greife ich wirklich gern zur zeitgenössischen Literatur.

Sehr interessant finde ich die Gründe, die Du nennst, warum Du nicht so oft Zeitgenössisches liest, Steffi. Deshalb gut, dass Fevvers gefragt hat. So kann man es besser verstehen. Besonders, dass Du Deine persönlichen Erfahrungen vielleicht nicht so gern auf den Prüfstand stellen willst, finde ich interessant. Auf solch einen Grund wäre ich ohne Deine Erklärung gar nicht gekommen. Ich selbst stelle meine Erfahrungen und vor allem Ansichten und mein Weltbild gern durch Literatur auf den Prüfstand. Ich kann andersartige Menschen und deren Probleme oder Sichtweisen oft besser verstehen, dadurch dass ich mich in sie hineinversetze, bzw. mir ihre Sichtweise anschaue. Eine Übereinstimmung mit mir würde ich da gar nicht so suchen oder wünschen. Ich möchte gern die Menschen verstehen, gerade die, die anders sind als ich. Oder mir aufzeigen lassen, wie man auch mit Problemen oder Situationen umgehen kann.

Was die Flut auf dem Büchermarkt angeht, so kann ich Dich gut verstehen. Die Klassiker machen es einem da einfacher. Da ist die Spreu vom Weizen längst getrennt. Ich war früher auf dem Büchermarkt auch sehr orientierungslos. Aber durch den Austausch hier im Forum habe ich so viel neues ausprobiert, und erkannt, was für mich auch was ist, oder was mir persönlich nicht so liegt. Missgriffe habe ich in den letzten Jahren nur noch selten. Es ist eine Entdeckungsreise, die ich immer wieder spannend finde. Aber ich kann auch Dich verstehen, dass Du Dir lieber eine sichere Bank (die Klassiker) suchst. Da sieht man auch mal wieder, dass zu viel Angebot auch nicht gut ist. Es kann einen überfordern.

Schön aber, dass Du mit Stewart O'Nan oder T.C. Boyle für Dich tolle zeitgenössische Autoren entdeckt hast.

Danke für die Ausführungen. Ich fand das sehr interessant.

[steffi]

Da sieht man auch mal wieder, dass zu viel Angebot auch nicht gut ist. Es kann einen überfordern.

Ja, das ist wahr. Ich bin im Grunde ein Optimierer, d.h. ich versuche automatisch das Beste herauszuholen (muss nicht das Billigste sein sondern einfach das, was meinen Ansprüchen und Bedürfnissen genau passt), dafür kann ich lange suchen und viel vergleichen und das ist vielleicht auch ein Grund, warum mir spontane Bücherkäufe manchmal schwer fallen. Lieber sondiere ich schon vorher Im Supermarkt ist es ähnlich, je größer das Angebot, desto weniger Lust habe ich, etwas zu kaufen. Ist manchmal schon hinderlich so ein tick ... vorallem, wenn man dann nochmal einkaufen gehen muss

[Petra]

Hallo Steffi,

ja, die Ticks! In Punkto Büchern sicher nicht das schlechtest, dass Dir Spontan-Einkäufe schwer fallen! Aber bei Lebensmitteln wieder hinderlich, wenn Du dann noch mal los musst, weil die Auswahl zu groß war!

Mir geht das oft bei Speisekarten so. Wenn zu viel drauf steht, weiß ich gar nicht mehr was ich essen soll.

[Binchen]

Huhu in die Runde:

Wer kennt: Der Besucher von Sarah Waters, oder überhaupt etwas von ihr(Frauen in England)

Das Buch von Lübbe wird stark beworben - konnte schon jemand einen längeren Blick werfen und weiß, ob es ein wenig mehr bietet als Tischerücken? Wenn es nicht zuviel Übersinnliches enthält, würde ich es gerne gleich lesen und nicht auf's TB warten. Denn Dienstboten sind immer wieder ein Reizwort für mich ...

[Fevvers]

Hallo Steffi,

ich habe leider erst jetzt Zeit gefunden, Dir zu antworten.

Vielleicht mag ich auch ungern meine persönlichen Erfahrungen und Wahrnehmungen so auf den Prüfstand stellen - ich glaube, ich suche da auch immer eine Übereinstimmung mit mir und naja, das ist nicht einfach zu finden

Ein interessanter Gedanke! Bei mir ist es genau umgekehrt: Ich lasse mir gern andere Perspektiven aufzeigen, die meine eigene herausfordern oder vielleicht ein wenig gerade rücken.
Für Klassiker benötige ich recht viel Zeit und Ruhe, um darin richtig abzutauchen zu können, auch sprachlich. Deshalb kommen die zu kurz, jedenfalls in Buchform. Meine Liebe zu Klassikern lebe ich zurzeit eher mit Theaterbesuchen aus. Allerdings finde ich dabei die Inszenierungen am faszinierendsten, die behutsam modernisiert sind und bei denen deutlich herausgearbeitet wird, welche Bezüge zur Gegenwart sich finden lassen. (Ich kann es jetzt nicht besser ausdrücken, aber Du weißt sicherlich, was ich meine.)

Ich finde es sehr schwer, aus der Flut der Neuerscheinungen dann das Richtige herauszusuchen...

Ja, ich auch. Da muss man seinen eigenen Weg durch den Literatur-Dschungel finden. Da ich nur wenige LeserInnen kenne, die meinen Geschmack teilen, lese ich viel Rezensionen. Und breche Bücher bei Nichtgefallen gnadenlos ab. Zu Spontankäufen kommt es selten bei mir bzw. ich greife schon mal spontan zu einem Buch, über das ich eine viel versprechende Kritik gelesen habe. Nach Cover oder gar nach der Lektüre der (oft) grusigen Klappentexte kaufe ich sehr selten. Ging meistens schief. Vor allem im Krimibereich.

[Fevvers]

Hallo Petra,

Ich kann andersartige Menschen und deren Probleme oder Sichtweisen oft besser verstehen, dadurch dass ich mich in sie hineinversetze, bzw. mir ihre Sichtweise anschaue. [...] Oder mir aufzeigen lassen, wie man auch mit Problemen oder Situationen umgehen kann.

Das ist auch für mich ein wichtiger Gedanke! Und unter diesem Aspekt finde ich z.B. die autobiographisch gefärbten Romane von AutorInnen wie Melinda Nadj Abonji u.ä. so überaus interessant: Die "Secundos", die zweite Generation von Einwanderern berichtet über ihre Erfahrungen. Ich habe dadurch viele neue Einsichten gewonnen über Menschen, die mit mir Seite an Seite leben, aber einen völlig anderen kulturellen Hintergrund und eine andere familiäre/zeithistorische Prägung mitbringen, also zwischen zwei Kulturen ihren eigenen Weg finden müssen.

[Petra]

Hallo Fevvers,

ja, in der Tat sehr interessant. Gerade in solchen Themen, wie Du sie hier ansprichst. Denn wie schade: Wir leben Tür an Tür mit Menschen, die zugewandert sind (bzw. die Folgegenerationen), und wissen so wenig über deren Leben, Hintergründe, Kulturen. Wenn man da Einblicke - z. B. durch die Literatur - nehmen kann, so ist das sehr wertvoll für das Miteinander (anstatt Nebeneinander).

Überhaupt interessiert mich persönlich wie sich Menschen in einer neuen Heimat zurecht finden. Wo Schwierigkeiten stecken, durch die eigene Prägung bedingt. Was sie vermissen, was sie fühlen. Da habe ich natürlich auch persönliche Gründe für. Manchmal bekommt Ayhan so einen sehnsüchtigen Blick wenn er einen Impuls bekommt (z. B. ein Foto sieht, einen Bericht aus seiner Heimat schaut, Neuigkeiten aus seinem Dorf erfährt, etc.), dann möchte ich gern verstehen, was er denkt oder fühlt.

[Binchen]

Huhu in die Runde:

Wer kennt: Der Besucher von Sarah Waters, oder überhaupt etwas von ihr(Frauen in England) ...
...

@ Doris -

... ich hab's nun auf Deiner Leseliste gefunden, die hält ja immer wieder Überraschungen parat, wie ja schon einige hier festgestellt haben *strahl* - und dann hab ich auch Eure Leserunde drüben bei der Büchereule gesehen. Damit war das Buch dann heute auf meiner telefonischen Wunschliste und wird vom Osterhasen nachgehoppelt.

Der Austausch zu den ersten Seiten klingt schon vielversprechend, den Rest spar ich mir noch auf, wenn ich es selbst gelesen hab.

[steffi]

Kennt jemand Dagmar Fohl ? Sie schreibt historische Romane, die sich interessant anhören, zumindest die Rezis lassen aufhorchen:

http://www.amazon.de/Duft-von-Bitterman ... 00_03_t_lh