Inhalt:
Erst läuft ein Mann durch
Berlin, dann einer Frau nach. Ab und zu arbeitet Arthur als
Kameramann, aber nur wenn ihm der Auftrag gefällt. Sein
Freundeskreis ist klein, aber fest wie eine Burg. Wer würde da
nicht neidisch? Der Neid verwandelt sich in Mitleid, sobald man
weiß, dass Arthurs Rastlosigkeit durch den Unfalltod seiner
Familie entstanden ist. Er ist auf der Suche nach dem, was
verschwindet, was niemand vermisst, nach der Unschärfe. Auf
seinen Streifzügen durch Berlin begegnen ihm immer wieder die
Geister der Vergangenheit, einige reale Begegnuen haben etwas
Allegorisches. Eine dieser Begegnungen wird zur Obsession und heißt
Elik. Sie promoviert über die Geschichte einer vergessenen Königin.
Aus Emanzipation und Protest hält sie daran fest. Es ist eine
schmerzhafte Liebesgeschichte. Aber beide merken, dass sie noch
mehr fühlen können, als sie sich zugetraut haben.
Meine Meinung:
Sympathisch ist die Abwegigkeit
der Tätigkeiten. Wer wird Arthurs Film je sehen oder Eliks
Dissertation lesen, falls sie fertig werden? Wenn es ihnen egal
ist ...
Die Dämmerungen, die Arthur sammelt, entsprechen irgendwie den
Quellenverweisen, denen Elik hinterher reist, und die sie mit dem
gleichen Respekt behandelt, wie er gefrorene Fußabdrücke.
Arthurs Foto von Frau und Kind sind wie die Narbe auf Eliks Wange.
In ihm bricht bei den Stadtspaziergängen erlebte Geschichte
wieder auf. Sie setzt ihre Ansicht von Geschichte entgegen, nach
der in seinen Erinnerungen die Geschichte noch zu frisch ist, um
sich nicht an ihr zu überheben.
Dieses Buch strömt über vor Geistern. Eine Freundin von Arthur
sammelt Fotos von Wolken und Strandformationen aus den 1920er
Jahren. Man muss annehmen, der Titel des Buchs will der Beseelung
alles dessen gedenken, was Erinnerungen hervorruft. Die Frage, was
von Geschichte bleibt, beantwortet Elik sinngemäß mit: Alles was
aufgeschrieben ist. Man bekommt gewaltigen Respekt vor dem
Mittelalter eingeflöst, und ein schlechtes Gewissen, weil man die
geheimen Verweise in der Bibel auch nicht entziffern kann.
Tanzmusik ist nichts gegen Hildegard von Bingen. Die Protagonisten
sind von dem gegenwärtigen Getriebe abgestoßen, und nähren sich
doch von ihm. Vielleicht ist auch das ein Grund für Arthurs
Rastlosigkeit und die Erhabenheit seines Philosophenfreundes, dass
die Entwicklung über sie hinweggeht, ohne dass es einer Bedeutung
bedarf.
Das Buch ist nur spannend, wenn man sich etwas für Berlin, aber
umso mehr dafür interessiert, wie Geschichte Menschen zurücklässt
und in ihnen weiter- oder wieder auflebt. (Godehardt Struppe)
Bewertung: ****
( * schlecht / ** ganz gut / *** gut
/ **** spitze)
Infos: 436 Seiten,
Taschenbuch-Ausgabe, Suhrkamp Verlag, 10,- €
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