Noch in der Hochzeitsnacht wird
die streng erzogene Angela Vicario von ihrem Ehemann, dem
mysteriösen Bayardo San Román, in ihr Elternhaus
zurückgebracht. Er behauptet, sie sei nicht mehr unberührt
gewesen. Die Mutter gerät außer sich und fordert ihre beiden
Söhne Pedro und Pablo auf, die verlorene Ehre der Schwester zu
rächen. Von ihrer Familie massiv unter Druck gesetzt, gibt Angela
den Namen des angeblichen Verführers Preis: Santiago Nasar.
Die Nachricht von Santiagos
bevorstehender Ermordung beginnt im Dorf durchzusickern und
verbreitet sich schließlich unter den Einwohnern. Nur der
Beschuldigte ahnt nicht das Geringste, als er am Morgen nach dem
mehrtägigen rauschenden Hochzeitsfest verkatert das Haus
verlässt. Vollkommen arglos rennt er in sein Verderben.
Meine Meinung:
Von der ersten Seite an ist klar,
was passieren wird: Der wohlhabende und als Frauenheld bekannte
Santiago Nasar, von manchen geliebt, von manchen verabscheut, wird
diesen Tag nicht überleben. Die Mörder wetzen öffentlich die
Messer, erzählen jedem, der nachfragt, was sie vorhaben. Niemand
greift energisch ein, sie aufzuhalten, die meisten bleiben
untätig und kümmern sich lieber um ihre eigenen Angelegenheiten.
In „Ehrensachen“ mischt man sich nicht ein. Die wenigen, die
versuchen, das Unheil aufzuhalten, kommen zu spät.
Viele Jahre später rekonstruiert
der Ich-Erzähler, ein Freund Santiagos, das unfassbare Geschehen,
das die Lebensläufe der unmittelbar Beteiligten nachhaltig
beeinflusste oder gar zerstörte. Er analysiert, wie und warum es
möglich war, dass ein so offen angekündigtes Verbrechen
geschehen konnte. Zudem schien es niemanden zu interessieren, ob
die Anschuldigungen überhaupt der Wahrheit entsprachen. Stück
für Stück wird ein Geflecht aus Ignoranz, Passivität, falschen
Interpretationen und Verkettung unglücklicher Zufälle
aufgedeckt. Ebenso die Details des brutalen Fememordes, bei dessen
Durchführung das gesamte Dorf Zeuge war.
Márquez erzählt eine
mitreißende und ‚bunte’ Geschichte, mit vielen Personen und
Nebenschauplätzen, die das Lesen anfangs etwas erschweren, aber
schließlich im grausigen Finale ineinander greifen. Ein kleiner
Roman, aber mit nachhaltiger Wirkung. (© Fevvers 2005)