Edith ist glücklich. Sie ist verheiratet
mit Brett, einem Ehemann, wie sie ihn sich besser nicht wünschen
könnte, einen Sohn, der noch alle Möglichkeiten vor sich hat und
nun geht auch noch ein langgehegter Traum in Erfüllung: Sie
ziehen aufs Land, in ein schönes Haus, das sie ihr eigen nennen.
Dort wollen Edith und Brett, beide Journalisten, ein eigenes
kleines Blättchen herausbringen. Ein Leben, wie es im Buche
steht. Und genau das tut Edith auch: Sie schreibt ihr Leben in
eine Buch, ein Tagebuch. Doch - wenn alles so perfekt läuft -
warum schreibt sie dann Ereignisse in das Tagebuch, die gar nicht
der Wirklichkeit entsprechen, sondern erfindet sich eine neue
Realität? Das Tagebuch straft ihr Lebensglück Lügen. Realität
und Wunschdenken vermischen sich bedenklich und tun Abgründe auf,
bis eine Kluft entstanden ist, die zunehmend unüberwindlich wird
...
Meine Meinung:
Dies ist keine Horrorgeschichte. Nein,
natürlich nicht. Dennoch liegt die Assoziation mit diesem Genre
nahe. Der Schauplatz des Schreckens ist hier jedoch nicht ein
Spukschloss oder etwas in der Art, sondern - und das verstärkt
das Grauen noch - eine Familie, eine hundsgewöhnliche Familie.
Vater, Mutter, Kind, später noch ein Onkel, alles ganz normal.
Oder eben halt auch nicht. Wer weiß das im eigenen Leben schon
genau? Verlieren wir nicht den Blick für unsere eigene Situation?
Ebenso wie man in einem Gruselfilm
versucht ist, der Hauptdarstellerin, die ganz offenbar von bösen
Wesen bedroht wird und offensichtlich auf ihr Verderben zusteuert,
indem sie einfach nur verharrt, zuzurufen: „renn!“, möchte
man in diesem Roman Edith zu genau der gleichen Aktion auffordern.
Doch sie ist erstarrt. Im Gruselfilm könnte man sich ein Haus
vorstellen, das verriegelt ist und aus dem es kein Entkommen gibt.
Ediths Gefängnis sind zum Teil die Moralvorstellungen ihrer, bzw.
unserer Zeit, die sie am Entkommen hindern, aber auch
Verpflichtungen, die ihr Gesellschaftszwänge und persönliche
Beziehungen auferlegen und gegen die sie sich nicht wehrt oder zu
wehren vermag. So sehr man sie auch schütteln möchte, damit sie
aus der Erstarrung erwacht und das Ruder herumreißt, solange es
noch geht, so sehr kann man sie auch verstehen. Auch dies ist
furchterregend, denn es spiegelt einiges aus dem Leben wider -
nicht nur Ediths Leben, sondern dem Leben unserer Zeit generell.
Anstatt zu fliehen, flüchtet sie sich in
ihre Wunschwelt. Es fängt ganz harmlos an, indem sie ihrem
Tagebuch nicht mehr nur die Realität schildert, sondern
Ereignisse erfindet, die sie glücklich machen, sie milde stimmen.
Erst spät, zu spät, erkennt Edith, und der Leser, dass diese
Traumwelt immer mehr Raum einnimmt und sich bedenklich mit der
Realität vermischt, bis die Grenzen für Edith ab einem gewissen
Zeitpunkt nicht mehr wahrnehmbar sind. Die Schilderung des
allmählichen Realitätverlusts ist Patricia Highsmith exzellent
gelungen.
So bedrückend und beklemmend Ediths Leben
auch ist, habe ich sie dennoch allzu gern durch diesen Teil ihres
Lebens begleitet. Sie ist mir ans Herz gewachsen und ich werde ihr
sicher gern einst nochmal einen Besuch abstatten. Diese
Intensität, mit der die Figur der Edith herüberkommt, liegt
sicher zum einen an der genauen Schilderung ihrer Gefühle. Da
gebührt der Autorin ein großes Lob: Steigt Edith vor Zorn Hitze
ins Gesicht, verspürt man selbst solch ein brennen. Ist sie
depressiv, überträgt sich die Stimmung auf den Leser. Aber auch
an dem herzlichen Verhältnis zwischen Edith und ihrer Großtante
Melanie wird der Leser beteiligt, ebenso an der Gemütlichkeit und
Ruhe, die Ediths Haus ausstrahlen und ihre eigene Art. Wird man
als Leser so integriert, kann man davon ausgehen, dass der Autor
tolle Arbeit geleistet hat. Aber daran braucht man bei Patricia
Highsmith sowieso nicht zweifeln.
Patricia Highsmiths Liebe zu Katzen bleibt
dem Leser ebenfalls nicht verborgen. Die Figuren Mildew und Nelsen
- es handelt sich hierbei um eine Katze und einen Kater - sind so
plastisch, dass man das Gefühl hat, ihnen selbst durchs Fell zu
streicheln. Und sie strahlen - wie Katzen es so wunderbar können
- eine Ruhe aus, die die Atmosphäre dieses Buchs unterstreicht.
Denn laut war Patricia Highsmith Stil nie. Ihr Grauen liegt im
stillen und im banalen verborgen. Es wird dadurch aber nur umso
schrecklicher, denn die Handlung ist glaubhaft. Allzu glaubhaft -
nicht trotz, sondern weil sie unspektakulär ist. Hierdurch
verstärken sich die Grausamkeiten und seelischen Verletzungen,
die Edith erfährt, weil sie mit einer erschütternden
Selbstverständlichkeit zugefügt werden.
Hochinteressant ist auch das Nachwort, das
sowohl auf Patricia Highsmiths Werk und dessen möglicher Deutung
eingeht, als auch Aufschluss zu möglichen Paralellen zwischen der
Autorin und ihrer Heldin gibt. Denn nicht nur, wenn es um
politische Fragen geht, mit denen sich Edith stark beschäftigt,
beschleicht einen das Gefühl, dass Edith ihrer Schöpferin recht
ähnlich sein könnte. Auch was die Einsamkeit angeht, was hier
die Ursache für Ediths spätere Verstörtheit ist, vermutet man
ein Stückchen Patricia Highsmith herauszulesen - zumindest der,
der sich bereits ein wenig mit ihrer Person beschäftigt hat.
Schön, dass der Diogenes Verlag den Leser
nach der Lektüre von „Ediths Tagebuch“ nicht allein lässt,
sondern noch einige interessante Informationen und Gedanken in
Form dieses Nachworts anbringt. Aber das größte Lob verdient
sich der Verlag, indem er Patricia Highsmiths Werk neu
herausbringt. Es ist nicht übertrieben, wenn die Süddeutsche
Zeitung dabei von einer verlegerischen Großtat spricht. (Petra)
Anmerkung:
Diese Neuübersetzung (übersetzt von
Irene Rumler) folgt erstmals der amerikanischen Originalausgabe
von 1977 - die vorherigen Ausgaben sind alle gekürzt. Außerdem
ist diese Ausgabe mit einem zwanzigseitigem Nachwort und einer
editorischen Notiz versehen, die vorherige Ausgabe jedoch nicht.
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Bewertung: ****