Hundert Gedichte von Christian Morgenstern
(1871-1914) hat der Herausgeber dieses Bandes, Frank Möbus,
zusammengestellt, um dem neugierigen Leser sowohl Morgensterns
bekannte Seite, die humoristische Lyrik, als auch seine unbekannte
Seite, die ernste Lyrik, nahezubringen. Auch seine dichterischen
Anfänge aus seiner Gymnasialzeit sind hier zu finden, so dass der
Leser ein rundes Bild von einem großen Dichter erhält, dass es
lohnt - auch noch in der heutigen Zeit - zu betrachten...
Meine Meinung:
Und möchte man den Herausgeber als Maler
betrachten, so ist ihm dieses Bild meisterlich gelungen. Der Leser
- Morgenstern nennt diesen in einem der hier versammelten Gedichte
auch die andere Hälfte des Dichters - wird in diesem Bändchen
alles geboten, was er braucht um sich mit Morgensterns Werk
anzufreunden und es zu begreifen. Denn Frank Möbus begeht nicht
den Fehler, eine für ihn selbst völlig klare Auswahl an
Gedichten zu treffen, und den Leser dann damit allein zu lassen.
Nein, er geht sortiert vor, möchte wirklich anderen Menschen
seine Faszination an Christian Morgenstern nahe bringen. Zunächst
findet sich, wie es sich gehört, ein Inhaltsverzeichnis zu
Beginn, so dass man sich darauf vorbereiten kann, was einen
erwartet. Schnell wird einem dabei klar, dass die Gedichte
geordnet sind. Seine frühen Gedichte, seine humoristische Lyrik,
seine ernste Lyrik - rasch hat man überblickt, in welchem Teil
des Bändchens was zu finden ist.
Nun kann die Reise losgehen. Eine Reise in
eine tolle Welt. Die Welt des Christian Morgenstern, in der es
Wesen gibt, von denen man nie gewusst hatte, dass sie existieren
könnten und sei es auch nur im Kopfe eines einzigen Menschen. Da
wären ein Wemwolf und ein Werfuchs, ein Elef-ant und ein
Zwölef-ant und viele weitere Geschöpfe, die nicht nur
merkwürdige Namen haben, die zum Lachen ermuntern, sondern auch
ansonsten urkomisch, aber dennoch nicht gehaltlos sind. Frank
Möbus hat für den Leser im Anhang auch ein Kreaturen bzw.
Tierverzeichnis angelegt. Auch hier wieder eine Stelle an der der
Leser nicht verwaist am Textrand steht und seinen Fragen
überlassen ist. Aber nicht nur diese im wahrsten Sinne des Wortes
fabelhafte Tierwelt erfreut an Morgensterns Gedichten, auch
menschliche Figuren wie seine Schöpfungen Palmström und Korf
sind köstlich. Auch diese darf man in diesem Band näher
kennenlernen.
Würde es hierbei belassen, hätten wir
wieder unser Bild von Morgenstern, wie wir es kennen: Das Bild
eines humoristischen Lyrikers. Aber das allein war er nicht. Man
denke nur an seine schaurigen Galgenlieder. Diese, aber
auch andere seiner durchaus ernsten Dichtungen, finden sich hier
in gleichem Maße. So wird das Bild von Frank Möbus wieder gerade
gerückt, der uns im Nachwort wissen lässt, dass die ernste Lyrik
einen ebenso maßgeblichen Teil in Morgensterns Werk einnimmt, wie
die heitere, unterhaltsame. Er bringt mit Morgenstern auch ein
Beispiel an, was auch ihm selbst ein Rätsel ist: Warum wird ein
Dichter, ein Schriftsteller, in eine Schublade gesteckt, in der es
nur die Aufschrift „E-Literatur“ oder „U-Literatur“ gibt?
Beides geht nicht? Frank Möbus räumt auch hiermit auf, denn
schon Kurt Tucholsky zollte Morgenstern Anerkennung und tat ihn
nicht wegen seiner heiteren Lyrik ab; auch dies erfahren wir von
Frank Möbus im Nachwort.
Das Nachwort ist ein Geschenk an den
Leser. Es sorgt für ein besseres Verständnis, sowohl für den
Dichter und was ihn antrieb als auch für sein Werk. Die kurze
Biografie, die ebenfalls im Anhang zu finden ist, tut ein
Übriges. Wertvoll sind auch das Kreaturen bzw. Tierverzeichnis
und das alphabetische Verzeichnis der Gedichtüberschriften und
-anfänge. Auch ein Textnachweis fehlt nicht.
Anfänglich vermisste ich die
Entstehungsdaten der einzelnen Gedichte. Dies ist, so versichert
der Herausgeber, nicht so einfach. Denn Morgenstern hat seine
Gedichte zum einen selten mit Daten versehen, zudem hat er viele
von ihnen auch mehrfach umgeschrieben und das Festlegen eines
genauen Entstehungsdatum somit nahezu unmöglich gemacht. Kleine
Hinweise liefern aber die Bände, aus denen diese Gedichte
entnommen sind. Hier wurde die Chronologie beibehalten, aber das
zu vertiefen würde jetzt zu weit führen.
Einziger Wehrmutstropfen bei diesem
wunderschönen und hochinteressanten Band ist, dass mir später
nicht klar war, welches Gedicht genau aus welchem Gedichtband
stammt. So hätte ich persönlich mir beispielsweise gewünscht zu
erfahren, hinter welchen der hundert ausgewählten Gedichte, sich
etwas aus den Galgenliedern verbirgt. Da mich dieser Band jedoch
unglaublich neugierig auf Christian Morgenstern gemacht hat, werde
ich das noch auf anderem Weg herausfinden. Und das ist es doch,
was Frank Möbus wollte: Neugierig machen - es ist ihm
ausgezeichnet gelungen.
Zum Abschluss möchte ich noch meine
Freude darüber kundtun, dass ich in diesem Bändchen auch ein
Gedicht aus dem Hörbuch „Morgenstern am Abend“ (Gert Fröbe
rezitiert Christian Morgenstern) - das ich an dieser Stelle
unbedingt empfehlen möchte - wiedergefunden habe. Es heißt Die
Flamme. Auch freute mich, anhand einiger Gedichte hier
Morgensterns gern aufgegriffenes Element, den Wind,
wiederzutreffen, u. a. in Windhosen (sehr lustig und zudem
sind seine Worte nahezu visuell greifbar), Die Windsbraut
und in Ein Haufe Blätter - was mir eines der liebsten
dieser Auswahl ist. Ebenfalls sehr gefallen hat mir Das Bild.
Von seinen humoristischen hat mich besonders Das Wörtlein
entzückt. Urkomisch fand ich Werfuchsjagd. Der Dichter hat
eine helle Freude an seinem Werfuchs gehabt. Das merkt man, selbst
heute noch. Der Werwolf versetzte mich in Erstaunen: Er
dient nicht nur zur Belustigung sondern ist die perfekte Hilfe
für Menschen, die Schwierigkeiten haben sich den Dativ und den
Genitiv einzuprägen. Einfach köstlich. Doch mehr wird nun nicht
verraten.
Fazit: Dieser Band ist eine wunderbare
Chance Christian Morgenstern und sein Werk kennenzulernen. Auch,
oder gerade für Menschen, die sich nicht zutrauen, damit etwas
anfangen zu können. Denn wie vormals erwähnt, steht man nicht
allein, sondern wird von Frank Möbus, so hat man das Gefühl, im
Anhang untergehakt und durch die verschiedenen Teile des Bandes
geführt und erhält von ihm Erklärungen, die nicht für den
Kenner, sondern gerade für den neugierigen Leser gedacht sind,
der sich an Christian Morgenstern herantasten möchte. Erstaunlich
wie gut es ihm gelingt, wenn man bedenkt, in welcher Gesellschaft
man sich bei ihm befindet: Er ist promovierter und habilitierter
Literarturwissenschaftler mit zahlreichen Publikationen zur
Literatur und Kulturgeschichte, wie man zum Schluss in einem
winzigen, bescheidenen Satz erfährt. (Petra)
Bewertung: ****