Inhalt:
Eigentlich soll es eine Jubiläumsreise
werden. Zum zehnten Mal begeben sich drei Freundinnen Anfang
Vierzig auf ihren alljährlichen Kurztrip, diesmal ins belgische
Brügge: Dodo, impulsiv und vital, alleinerziehend, nicht selten
in finanziellen Nöten; die schöne, verschlossene Claire, die als
Galeristin in München Karriere gemacht hat; und die bodenständige
Nora, Rechtsanwaltsgattin und Mutter, die als einzige geblieben
ist, wo sie alle drei herkommen: im norddeutschen Pinneberg. Dort
sind sie gemeinsam aufgewachsen, haben Schulzeit, Pubertät und
erste Liebschaften zusammen erlebt, haben Glück und Schmerz
geteilt und - Katzenzungen, Symbol für eine unbeschwerte,
intensive Freundschaft. Doch was als heiterer Ausflug beginnt,
entwickelt sich zu einer Reise in eine Vergangenheit, die, wie
sich nun zeigt, gar nicht so unbeschwert war. Lange und sorgfältig
gehütete Geheimnisse kommen ans Licht, und die vielbeschworene
Freundschaft wird auf eine harte Probe gestellt.
Meine Meinung:
Die chaotische Dodo, die kühle,
mondäne Claire und die spießige, langweilige Nora haben sich
trotz der gemeinsamen Kindheit und engen Freundschaft sehr gegensätzlich
entwickelt und führen ihr Leben vollkommen unterschiedlich. Sie
scheinen nur noch durch ihre Erinnerungen verbunden, die sie durch
ihre jährlichen Kurztrips - drei, vier gemeinsame Tage, ansonsten
sehen sie sich kaum mal - aufrechterhalten. Doch wie sich auf
dieser Reise herausstellen soll, verbirgt sich unter dieser Oberfläche
ein Netz aus Lügen, Vorwürfen, Geheimnissen und Schuld, welches
sich bis zu einem ebenso logischen wie tragischen Ende nach und
nach entwirrt. Durch die geschickte Erzählweise - die drei
wechseln sich als Ich-Erzählerinnen ab und sparen nicht mit
Andeutungen - ist man als Leser nicht nur den jeweils anderen
Frauen häufig einen Schritt voraus, sondern kann auch die
gedanklichen Entwicklungsprozesse aller Frauen bis zu dem Punkt,
an dem alle Zurückhaltung fällt und alle Wahrheiten schonungslos
offenbart werden, sehr gut nachvollziehen.
"Katzenzungen" ist ein
sehr intensives und gleichzeitig tragikomisches Buch über
Frauenfreundschaften und ihren offenen wie auch verborgenen
Seiten. Zwar teilt man Freud und Leid, Glück und Probleme bis ins
kleinste Detail, aber Gefühle und Gedanken über den/die anderen
und die Freundschaftsbeziehung an sich bleiben oft ungesagt. Die
Eigenschaften, die irgendwann nicht mehr nur liebenswert, sondern
eher nervig sind, die kleinen unbeabsichtigten oder sogar
beabsichtigten Verletzungen durch eine nebensächliche Bemerkung
oder einen vielsagenden Blick, die dadurch ausgelöste Traurigkeit
oder unterschwellige Wut... All diese Gefühle, die im nächsten
Moment wieder verflogen und trotzdem noch Jahre später bei der
kleinsten Erinnerung wieder da sind, werden von den Autorinnen
eingefangen und verdeutlichen, dass man auch bei größter
Offenheit und totalem Vertrauen in einer engen Freundschaft nie
wirklich alles von sich preisgibt und dass man Dinge
unterschiedlich wahrnimmt, so dass letztlich was für die eine ein
Symbol der Freundschaft bzw. der Kindheit darstellt für die
andere(n) vollkommen bedeutungslos und bereits lang vergessen sein
kann. Es wird sehr gut beschrieben, wie die Dreierfreundschaft,
teils nur für wenige Augenblicke, durch ständig wechselnde
Allianzen immer wieder in verschiedene
Zwei-plus-Eins-Konstellationen zerfällt - jede teilt mit jeder
ein Geheimnis gegenüber der dritten, jede fühlt sich von den
anderen beiden mal ausgeschlossen. Doch trotz aller Vertrauensbrüche,
die sie selbst begangen haben oder die an ihnen begangen wurden, fühlen
sich die drei noch immer verantwortlich füreinander und halten an
ihrer Freundschaft fest.
Fazit: Ein Buch, dass zum
Nachdenken über das Thema Freundschaft anregt und nicht nur durch
die Geschichte an sich, sondern auch - vielleicht sogar eher? -
durch hervorgerufene eigene Erinnerungen und Gefühle sehr berührt.
(© Anja L. 2002)
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Bewertung: ***
( * schlecht / ** ganz gut / *** gut
/ **** spitze)
Infos: Erschienen
September 2001, 357 Seiten, gebunden, Diogenes, ISBN 3-257-06278-8
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