Inhalt:
Die Geschichte selbst ist schnell
erzählt, Lena - 79 Jahre alt - ist die einzige ihrer Schwestern,
die noch übrig ist. Nur sie kann Ihrer Nichte Phia noch das
letzte Familiengeheimnis mitteilen. Schon früh ist klar, worum es
sich dabei handelt. Aufgerollt werden die Lebensumstände, die
Beziehungen, die schönen und weniger schönen Begebenheiten aus
Lenas Leben - und wie sie sich damit arrangiert hat.
Meine Meinung:
Wie bei der Kurnovelle, muss ich
auch hier differenzieren zwischen Inhalt und Sprache. Der Inhalt
entspricht dem Bild, dass mir meine Mutter und Tante (72/79)
vermitteln. Lena ist eine eigenständige Person. Sie hat sich
'Ihr' Leben zurechtgezimmert, sie ist sich selbst genug, sie macht
nichts, weil man es so macht, sondern so, wie sie es für richtig
hält. Für mich eine starke Persönlichkeit, die sich im Leben
zurecht findet und damit arrangiert hat, dass das Leben zu der
Zeit halt so war.
Der Stil - wieder sind immer nur Bruchstücke zu erfahren - hier
ein Erzählstrang - darin wieder ein neuer - und danach der
Verweis auf das eigentliche Thema - und wieder zurück, springen
zwischen Vergangenheit und näherer Vergangenheit und Gegenwart.
Ob man so denkt, wenn man älter wird? Ich könnte es
nachvollziehen, das Bild rundet sich ab. Hier wird diese Art der
Sprache nicht so fremd, wie bei der Kurnovelle - sie paßt für
mich, weil Lena alt ist. Sie denkt zurück - sie bezieht sich auf
die Gegenwart - so wie ich es mir für dieses Alter vorstellen
kann, bei der jungen Frau aus der Kurnovelle ist mir das nicht so
klar.
Und doch - hatte ich mir natürlich wieder ein 'echtes' Ende
versprochen. Eine Antwort auf die Frage: Wie geht Phia mit den
Neuigkeiten um ? Aber das Buch mit offenem Ende - wird Phia die
Neuigkeiten wirklich einmal erfahren? - passt. Wahrscheinlich will
wieder 'mal nur ich, in meiner Naivität, eine Lösung, die es
nicht geben kann. Das Denken wird mir nicht abgenommen.
Hier ein amazon-Auszug aus dem Buch, damit die Art der Sprache
klar wird:
Um vier will sie hier sein.
Mit dem Zug, sagt sie. Nicht daß sie kein Auto hätte. Autos sind
zum Fahren da, sage ich. Ach, Lena, sagt sie. Sie weiß, daß ich
alles über die Klimaveränderung weiß, und ist so lieb, mich
nicht daran zu erinnern. Wie spät? Noch nicht mal eins, Zeit
genug, den Tisch zu decken. Hier vorne in der Veranda, wo sie so
gern sitzt und auf die Straße sieht. Zwetschgenkuchen hat sie
sich wieder gewünscht, wenn's geht, hat sie gesagt, und
Zwetschgenkuchen geht heutzutage sogar im November. Daß sie
ausgerechnet am zwölften kommen will, wundert mich. Ich glaube,
sie weiß gar nicht, daß das Ludwigs Geburtstag ist. Ich habe es
ihr jedenfalls nie gesagt. Nicht mal fünfundneunzig, als sie bei
mir gewohnt hat. Ein ganzes Jahr mit Phia, das habe ich mir oft
gewünscht. Und es ist so schön gewesen. In dem Jahr habe ich mir
überlegt, ob ich sie mitnehmen sollte auf den Friedhof, weil es
sein Sechzigster war. Mein kleiner Bruder, mit achtundvierzig. Er
ist immerhin ihr Onkel. Aber wir hätten damit rechnen müssen,
seiner Witwe in die Arme zu laufen, und das wollte ich ihr
ersparen. Schließlich weiß sie nichts über all die Vorwürfe,
die in der Luft liegen, und was soll ich sie damit belasten. Habe
ich gedacht. Vielleicht war das falsch. Wir müssen darüber
reden, wenn sie kommt. Kalt war es heute, so früh am Morgen. Aber
ich friere nicht nur morgens, und der Friedhof ist immer windig,
im November erst recht, wenn das ganze Laub schon unten ist. Früher
hat mir diese Jahreszeit gefallen, aber jetzt wird es glatt mit
all den nassen Blättern. Ich gehe trotzdem zu Fuß. Lächerlich käme
ich mir vor, in einem Taxi. So viele Krähen wie heute morgen sind
sonst nie da gewesen. Krähen wie früher, wenn ich den langen Weg
auf der Heerstraße in die Schule gegangen bin. Und genauso laut.
Oben in den Eichen hatten sie ihre Nester. Erst in der vierten
Klasse habe ich keine Angst mehr gehabt vor ihnen. Da ist Lotte
auch in die Schule gekommen. Die hat von Anfang an keine Angst
gehabt, weil ich dabei war. Immer muß ich mit Lena gehen, hat sie
gejammert, hier, in dieser Küche. Die hat neunundzwanzig natürlich
noch ganz anders ausgesehen... (Binchen)
Bewertung: ***
( * schlecht / ** ganz gut / *** gut
/ **** spitze)
Infos: Hanser Belletristik, HC,
14,95 Euro ca. 150 Seiten
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