Emily
lebt in einem düsteren Waisenhaus in London. Der dubiose Mr.
Dombey verlangt viele üble Dinge von seinen Schutzbefohlenen. Die
Zeit in diesem Heim ist nicht spurlos an Emily vorbei
gegangen. Sie hat ein Auge verloren, eine Freundin gefunden und
eines nicht vergessen: Bücher und die darin enthaltenen
Geschichten spenden Trost.
Eines
Tages wird sie bei der Küchenarbeit von einer Ratte angesprochen,
allein diese Tatsache macht ihr klar, von nun an wird ihre Welt
niemals mehr sein, wie vorher. Schnell beginnt ein neues Leben für Emily, doch
dieses ist nicht nur schön.
Zwar
erhält sie ein neues Zuhause, neue Bekanntschaften und Chancen
etwas über die Welt zu lernen. Spektakuläre
Ereignisse mit Wölfen, Ratten, Engeln, antiken
Gottheiten, Kindesentführern, Elfen und herrschaftlichen Häusern
tragen jedoch zu ihrer Verwirrung bei. Die schöneren Seiten ihres
Lebens, wie tiefe Freundschaften, Liebe, Bücher
und Forschung werden jedoch von bösen Einflüssen belastet. Es wird gefährlich, als sie ihren Freunden in die
Unterwelt von London folgt um die alte Metropole, die sich unter
dem uns bekannten London versteckt, vor dem Untergang zu bewahren.
Meine
Meinung:
Charles
Dickens lebt, so ähnlich empfand ich die ersten Seiten des
Buches. Gerade von Nicholas
Nickleby und den vielen Figuren darin beeindruckt,
tauchte ich in diese Geschichte voller Anspielungen auf die Werke
des großen Romanciers ein. Dombeys Waisenhaus enthält viele
Analogien zu Dotheboys Hall aus NN, Figuren tragen Namen, die von
anderen dickensschen Werken abgeleitet sind, die Anzahl der
Charaktere ist ähnlich hoch und ich wünschte mir sofort ein
Verzeichnis für Querverweise nicht nur zu den Werken von Dickens,
sondern auch zur Mythologie der Ägypter, zu Lucifer und anderen
Bibelgestalten und Fantasy-Wesen. Ein Wettbewerb, wer alle Zitate
aus berühmten Werken erkennt, wäre zusätzlich denkbar. Aber
nicht nur klassische Werke wurden hier verarbeitet, Impressionen
von Kai Meyer, den ich vor kurzem ebenfalls für mich entdeckt
hatte, wurden ebenso aufgegriffen. Der Autor weist auf dieses
Vorbild auch
im Nachwort hin.
Der
Erzählstil sog mich sofort ein, wie ich es von Susanna Clarkes
‚ Jonathan Strange und Mr. Norrel erhofft hatte. Susanna Clark
ist es auf den ersten 100 Seiten noch nicht gelungen mich zu
fesseln. Christopher Marcy brauchte nur 3 Seiten um mich zu
verzaubern.
Dabei
geht es hier nicht um Zauberei sondern um Fantasy, wir erleben
‚einfach’ ein Zusammenspiel von phantastischen und möglicherweise
realen Figuren und ein geniales Nebeneinander von London heute mit
U-Bahn-Stationen und Bibliotheken und einer geheimnisvollen alten
Metropole mit Engeln, die nicht nur bezaubern, sondern auch
düsterer Herkunft sein können. Wer hat schon von der Theorie
gehört, dass Luzifer ein gefallener Engel ist?
Wer
gerade gestrickte, eindeutig gute oder böse Figuren sucht, wird
hier nicht fündig. Die Wesen hier sind vielschichtig, verändern
sich, und das nicht immer in eindeutige Richtungen. Wach bleibt
man auch, weil die Erzählebene von einem Ich-Erzähler zu einem
globalen Erzähler abwechselt, die Orientierung dazwischen war
nicht immer einfach. Kurze Sätze, die häufig wiederholt werden,
sind mir anfangs unangenehm aufgefallen. Nach einer gewissen Zeit
entwickelten sie sich zu einer Art Running Gag und wurden erträglich.
Obwohl ich dicke Bücher liebe, komme ich hier zum einzigen Manko
des Buches: Es hätte im letzten Teil ein wenig straffer geschrieben sein können.
Auffällig
ist bei diesem Buch der Vorsatzblätter, es ist einen Plan von
London. Diesen wünscht man sich auch, sobald die Protagonisten im
U-Bahn-Gewirr von London entschwinden.
Eine
fantastische Geschichte in einem Stil, der oftmals an Dickens
erinnert. Sie ist jedoch garantiert nicht ‚von gestern’.