Inhalt
/ Meine Meinung:
Ideenwerkstatt für eine emanzipatorisch-ökologische Epoche.
Sozialökologische Alternativen statt globalisierter
Wettrennökonomien fordern Franz Alt, Rudolf Bahro und Marko Ferst.
Neuere Studien belegen, ökologische Themen nehmen wieder an
Wichtigkeit zu, nachdem Ende der neunziger Jahre wandelte ich das
Blatt langsam aber stetig. So glauben zum Beispiel 90 Prozent der
Menschen in Deutschland, es komme eine limagefährdung auf uns zu.
Faktenreich wird in dem Buch "Wege zur ökologischen
Zeitenwende belegt, wie eng der Spielraum für ein Umsteuern aus
dem jetzigen verfahrenen Zustand bereits ist. Die Potsdamer
Klimaforscher sagen voraus, ab 2050 könnte eine insbesondere
Europa betreffende Eiszeit auf Grund vermehrter Süßwasserzufuhr
in den Atlantik eintreten, weil der Golfstrom in so einem Szenario
sich stark abschwächt.
Andere Wissenschaftler vermuten eher eine extreme Verstärkung der
Wärmefalle durch die Freisetzung von Me-thaneis in den
Weltmeeren. Dies würde bisher in den Klimamodellen kaum
berücksichtigt. Ob bei den vielen Unbekannten, egal in welche
Richtung sich die Welt bewegt, nicht so oder so ein für Menschen
wenig attraktives Wettergeschehen herauskommt, muss man sich nicht
erst seit der Hochwasserkatastrophe an der Elbe fragen. So
bescheinigten die Hamburger Klimaforscher, es gäbe in Deutschland
inzwischen doppelt so viele Starkregenereignisse wie vor 100
Jahren.
Franz Alt, Rudolf Bahro und Marko Ferst stellen also erst mal die
richtigen Eingangsfragen. Franz Alt, Fernsehmoderator der
3sat-Sendung "grenzenlos" schieb bereits mehre
Umweltbücher und handelte sich in den achtziger und neunziger
Jahren bei Fernsehchefs u.a. immer wieder Kritik ein, weil er
entweder die Atomkraftnutzung kritisierte oder andere ökologische
Innovationen in seinen Sendungen politisierte. Rudolf Bahro
veröffentliche vor 25 Jahren "Die Alternative" für die
damals 8 Jahre Haft veranschlagt wurde und die eine systematische
Analyse und Kritik des Pseudosozialismus enthielt. Später
profilierte er sich als Sozialökologe und hielt über viele
Semester hinweg gut besuchte öffentliche Vorlesungen an der
Humboldt-Universität.
Als Dritter im Bunde begründete Marko Ferst 1994 zusammen mir
vielen anderen die Ökologische Plattform bei der PDS. Er ist der
Herausgeber des Bandes und beschäftigt sich auch mit
sozialpsychologischen Aspekten der ökologischen Krise,
veröffentlichte dazu über Erich Fromms Paradigma "Haben
oder Sein" einen Sammelband. Eine wirkliche neue Politik
erwartet Franz Alt nicht von den Regierungen.
Entscheidend seien in jedem Fall qualifizierte Minderheiten. So
wie 1968
antiautoritäre Gruppen gegen eingefahrene gesellschaftliche
Konventionen
protestierten oder 1989 Friedens-, Umwelt- und
Bürgerrechtsgruppen gegen das
verknöcherte SED-Regime Erfolg hatten, so wird eine organisierte
Minderheit
künftig gegen unseren selbstmörderischen Entwicklungsweg
auftreten müssen.
Die Menschen wissen längst, wir ernten was wir sähen. Bestechend
ist bei
Alt, wie er konkrete Vorschläge für den ökologischen Wandel
macht, die hier
und jetzt umsetzbar sind oder gar schon existieren. So zum
Beispiel wie in
Karlruhe die Menschen erfolgreich vom Auto in die Straßenbahn
umsteigen,
die Fahrgastzahlen um ein Vielfaches stiegen und wie Holland zum
Paradies
für Fahrradfahrer wurde.
Über eine systematische Kritik der real existierenden
Gesellschaftsordnung
hinaus, setzt Marko Ferst auf vorausschauende Perspektiven: In
einem
Panorama zeichnet er eine Vision auf, wie die Gesellschaft von Morgen
aussehen könnte. Ökologische Landwirtschaft, Lebenswelten mit
minimiertem
Materialverbrauch, solare Energieversorgung bis hin zu den
Strukturen einer
nichtkapitalistischen Organisation der Arbeitswelt und vieles
andere wird
vorgestellt. Bis aber ein deutscher Ökokanzler eine
Regierungserklärung im Fernsehen abgibt, wie sie Ferst aufgeschrieben hat, werden wohl
noch einige Jahrhunderthochwasser und Megaorkane das Land verwüsten. Die von
ihm
formulierte Vorreiterrolle in der Abrüstungspolitik und eine auf
Suffizienz
basierte Lebensweise wäre wohl selbst dann nicht zu erwarten,
wenn Jürgen
Trittin zum Kanzler gewählt würde, weil die Grünen 40 Prozent
der Stimmen
eingefahren hätten. Freilich könnte ein zweites Parlament als ökologischer
Rat für die langfristigen Aufgaben der Gesellschaft, den
ökologischen Reformprozess, so wie die Autoren denken, vielleicht
beschleunigen.
Rudolf Bahro nimmt in seinen Texten die Frage auf, wo liegen die
tiefsten
Ursachen der ökologischen Krise. Zwar glaubt auch er nicht, eine
kapitalistische Lösung des Problems könne auf Dauer angehen, im
Gegensatz zu
Alt etwa. Er sieht auch auf den patriarchalen Untergrund der Krise
und
thematisiert den Aktionszwang der in unserer Kultur liege. So wird
dargelegt
in wiefern unsere geschichtlich erworbene Sozialpsychologie die treibende
Kraft hinter der ökologischen Weltkrise sein könnte, verstärkt
über die auf
Sachzwänge gegründete Megamaschine. Offen bleibt jedoch wie
Bahro den
formulierten seelisch-geistigen Kultursprung, praktisch auf die
politische
Bühne zu bringen gedachte. Viel plausibler sind jedoch seine
umfangreichen
Kritiken an der Studie "Zukunftsfähiges Deutschland".
Im Ganzen ist das Buch keine Anleitung zu systemkonformer
Umweltreparatur, sondern es setzt auf eine grundsätzliche Alternative, wie schon
jenes Buch
von Bahro vor 25 Jahren, dass eine Kritik des real existierenden
Sozialismus im Focus hatte. So unterschiedlich die drei Autoren
argumentieren, "Putzarbeiten auf der Titanic" (Bahro)
zelebrieren sie nicht.
Damit heben sie sich wohltuend von jenen Bestsellerschreibern ab,
die
schönfärberisch Ökooptimismus verkünden und wenig hilfreich
sind, um die
auf uns zukommenden Gefährdungen abzuwenden.
Wege zur ökologischen Zeitenwende. Reformalternativen und
Visionen für ein
zukunftsfähiges Kultursystem. Leseproben, Inhalt: www.umweltdebatte.de
Für Leute, die wissen wollen was wirklich getan werden muss.
(Heike Koall)
Bewertung: ****
( * schlecht / ** ganz gut / *** gut
/ **** spitze)
Infos: 340 Seiten, Edition Zeitsprung, 2002,
21,90 €
|