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Rezension

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Inhalt:

Eine Kindheit in Amerika - aber was für eine! Der Vater säuft, die Mutter muss sich selbst verwirklichen – dazwischen sind dann die Kinder, unsere Erzählerin, Brian, Lori und Maureen. 

Tolle Eltern sind das, die es schaffen dem kleinen Mädchen einzureden, dass es ganz selbstverständlich ist, wenn man mit drei Jahren am Herd steht, Hot-Dogs zubereitet und sich verbrüht. Die Erziehung der Kinder verläuft merkwürdig. Beide Eltern leben sehr egozentrisch und die Kinder sind halt auch noch da. Dabei sind beide intelligent, auch wenn die Umwelt das nicht erkennt. Auch bösartig sind sie nicht, ‚nur’ anders. Der Vater ist einerseits dafür verantwortlich, dass die Familie hungern muss, andererseits ist er für die Kinder da, wenn sie gehänselt werden, sich durchsetzen müssen, Angst vor Gespenstern unter dem Bett haben. Er bringt ihnen etwas bei – Rechnen im Dualsystem z.B., da das Zehnersystem viel zu leicht ist, aber wie lebt das Kind damit, wenn es der Lehrerin erklären muss, was es da gerechnet hat? Auch die Mutter ist toll, sie malt, schreibt, sorgt sich nicht um Unordnung, nur müssen die Kinder sie dazu überreden, zur Arbeit zu gehen, damit etwas zu Essen gekauft werden kann. Und das, wo Mama doch gar nicht der Sinn nach Arbeit steht… - Omas, Großvater, Onkel sind eher schlimmer als besser. Die Kinder schaffen es, sie werden Erwachsene, hier ist der Weg dorthin aufgezeichnet. 

Meine Meinung: 

Der Anfangssatz ist viel zitiert, aber er hat auch Klasse, deshalb auch hier:

"Ich nestelte an meiner Perlenkette und fragte mich, ob ich nicht doch zu elegant für die Party angezogen war, als ich aus dem Taxifenster schaute und Mom sah, die gerade einen Mülleimer durchwühlte." 

Die Einstiegsseiten klären jedoch schnell die Situation. Voller Vorurteile hatte ich mit dem Lesen begonnen – Diese Schnepfe von Tochter, wie kann sie nur, so dachte ich. Die Einstellung veränderte sich jedoch schon nach den ersten paar Absätzen und richtete sich dann gegen die Eltern. Wie gut, dass Jeannette Walls mit ihrer autobiographischen Geschichte mit dem Heute beginnt und dieses Buch die Kindheit im Rückblick schildert, denn so ist von vornherein klar, das Kind kommt raus aus diesem Teufelskreis. Wie, das schildert die Autorin völlig unprätentiös und ohne Selbstmitleid in einer schlichten ergreifenden Sprache. Das Schloss aus Glas, die zerbrechliche Kindheit, das wankende Lügengebäude, diese Bilder beherrschten schnell die Gedanken zum Buch. 

Was die Autorin da erzählt, war mir schon auf den ersten Seiten zu heftig, nicht weil es so deutlich ausgesprochen war, oder gar Missbrauch mit im Spiel war - nein, vor allem alles unterschwellig vorhandene hat mir den Atem genommen. Die Selbstverständlichkeit, mit der das kleine Mädchen so vieles hingenommen hat, machte mich genauso sprachlos, wie die Selbstverständlichkeit, mit der die Eltern ihr eigenes Leben, ohne Rücksicht auf die Kinder führten. Anfangs dachte ich, wunderbar, wie die Eltern über ihre Armut den Kindern Werte vermitteln, schließlich fühlte ich mich an meine Kindheit erinnert, vieles, was für andere selbstverständlich war, konnten wir uns nicht leisten – aber das hier? Das war mehr. Ich fühlte mich an den Werbespott der Bausparkasse erinnert: "Ich will auch mal Spießer werden." Die Geschichten, die in beidem erzählt werden, bzw. das, was mein Kopf daraus macht, sind sehr ähnlich. 

An einigen Stellen lässt die Autorin den liebevollen Vater durchblicken. Er ist für die Kinder da, wenn sie ihn brauchen. Kaum hat er Geld, kauft er ihnen ein Fahrrad, ein Bett hatten die Kinder jedoch aus Pappkartons, er taucht mit Essen aus der Kantine auf, an den Tagen vorher hatten sich die Kinder aus dem Müll ernährt, er erklärt ihnen die Welt. Leider sind dies Momente des Glücks, die nur allzu selten vorkommen, aber die Zerrissenheit der Kinder wird dabei nur noch deutlicher. 

Mit fast jeder Aktion der Eltern steigerte sich meine Wut. Und das schafft die Autorin ohne dass direkte Anklagen in dem Buch vorhanden sind. So war’s halt, entnimmt man den Worten, und die Kinder haben es hingenommen, weil sie es nicht anders kannten. Der Zusammenhalt der Geschwister ist so wunderbar tröstlich, und sie haben viele ihrer Freiheiten genossen, das Buch lässt Sonnenstrahlen durchscheinen. Die Kindheit war nicht leicht, die Kinder konnten jedoch Abstand zu den Eltern gewinnen. Das zeigt sich auch bei der Wahl ihrer Widmung: 

"Für John, der mich davon überzeugt hat, dass jeder, der interessant ist, eine Vergangenheit hat."

Ich habe das Buch fast atemlos durchgelesen. Und obwohl es aussieht, als ob ich hier viel verraten hätte - ich habe es meines Erachtens nicht getan. Auch die Kinder haben später noch einige Überraschungen erlebt. (Binchen, Juli 2005)

geht es zur Rezension des Hörbuchs "Schloss aus Glas" im Hoerbuecher4um.

Bewertung: **** 

( * schlecht / ** ganz gut / *** gut / **** spitze)

Infos: Verlag Hoffmann und Campe, 2005, 19,95 €, 385 Seiten, ISBN 3455080049

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© 1998 Buecher4um, erstellt am 20.07.2005, letzte Änderung am 27.06.2006, Layout by abrakan