Katja, eine der beiden Hauptprotagonisten
des Buches, eine Lehrerin aus Hamburg ist zutiefst verstört.
Sie hat sich die Ausstellung „Verbrechen
im Osten“ angesehen. Sie weiß das ihr Vater im Kriege als
Soldat dort gewesen ist. Wo war er, als all diese
Scheußlichkeiten begangen wurden? Warum hat er immer abgeblockt,
sobald die Rede auf den Krieg und seine Erlebnisse kam?
Was hat ihr Vater mit seiner
humanistischen Bildung, seiner Kultiviertheit, seiner Liebe zu
seinen Klassikern, sowohl den griechischen wie den römischen, mit
dieser Barbarei zu schaffen? Ihr Vater, dem sie sich zeitlebens so
nahe fühlte und dem sie vertraute?
Sie bringt ihm den Katalog mit in sein
luxuriöses Seniorenheim und erwartet, dass er mit den Bildern
konfrontiert, endlich mit ihr über diese Zeit zu sprechen
beginnt.
Wobei sie ihre schlimmste Befürchtung
vorläufig verschweigt.
Meine Meinung:
Unscharfe Bilder ist ein Buch über die
Annäherung, die Konfrontation der nachfolgenden Generation. Wo
die Kriegsgeneration über das Erlebte, das Unfassbare, die
Ratlosigkeit, wie all das nur hatte geschehen können, nur
schweigen konnte, da verlangen die Kinder und Enkel Aufklärung,
ja Objektivität.
So beginnt Katjas Vater, Hans Musbach, auf
beharrliches Drängen seiner Tochter zu erzählen. Wie er damals
mit sechzehn Jahren mit seinem Freund Hugo nächtelang über eine
bessere, eine gerechtere Welt diskutiert hatte. Gegen die „Profigeier“
und „Plutokraten“, die Spießer. Dass es auf den Menschen,
seine Leistung und seine Gesinnung ankam, nicht auf ein
gutbürgerliches Elternhaus. Dass der Sohn eines Arbeiters genau
so Großes vollbringen konnte, wie der Sohn eines Arztes.
Und mit Begeisterung war er unter den
missbilligenden Blicken der korrekten Tante mit Koppel und
HJ-Uniform losgezogen, um durch die Potsdamer Wälder zu ziehen.
Zelte und Lagerfeuer, Schwimmen und
Dichterlesungen. Mit Freude im Herzen hatten sie die alten Lieder
gesungen.
Später dann war er zusammen mit seinem
Freund Hugo zur Infanterie eingezogen worden. Nach der Ausbildung
holte sie dann schnell die raue Soldatenwirklichkeit ein.
Er erzählt von dem Elend in den
Schützengräben. Die Nässe, die erbarmungslose Kälte, die
ständige Angst vor Angriffen.
Doch Katja wird ungeduldig, will nichts
wissen über das Elend der deutschen Soldaten, sondern pocht auf
die Bilder. Die zugerichteten Leichen, die Menschen am Galgen. Was
hatte er damit zu schaffen? Was hatte er getan es zu verhindern?
Doch das Bekenntnis zur Mitschuld will der
Vater so nicht geben. Er will erklären, fordert Geduld, wo die
Tochter immer unleidlicher und ungeduldiger auf Erklärungen
pocht.
Erst zum Schluss des Buches kommt es zu
einer Annäherung. Das Vertrauen der beiden Menschen, die sich
immer nahe waren und die einander vertraut hatten, ist auf eine
harte Probe gestellt worden.
Besonders im letzten Jahr ist eine Menge
Literatur über die Rolle der Deutschen im Krieg, über die Frage
ihrer Mitschuld an den Kriegsverbrechen der SS und über die
angebliche oder tatsächliche Unwissenheit der „normalen
Menschen“ geschrieben worden. Man könnte sich also fragen -
brauchen wir noch ein weiteres Buch zu diesem Thema?
Dazu gibt es für mich nur eine Antwort.
Ja, wir brauchen noch ein weiteres, wenn es mit der
erzählerischen Brillanz von Ulla Hahn erzählt wird.
Im Gegensatz zu diverser anderen Autoren
verkommt bei ihr dieses hochbrisante, traurige Thema nicht zu
einem rechtfertigenden Elaborat mit kitschigen Untertönen,
sondern es gelingt ihr dieses heikle und oft behandelte Thema zu
einem beeindruckendem Buch mit beklemmender Spannung zu machen.
Für Bücher wie “Das verborgene Wort“
und „Unscharfe Bilder“ hat sie sich ganz sicher unseren
Respekt verdient. (Mariposa)