Inhalt
/ Meine Meinung:
Was geht in einem jungen Mann vor, der weiß, dass er blind
werden wird? Während die
Hormone in ihm wüten, wenn alle Energie sich auf die Welt
(besonders auf die wilde
Lilly) stürzen will - und es ringsum dunkler und dunkler wird?
Ein Thema, aus dem ein guter Autor "etwas machen"
könnte. Für den Bonner
Schriftsteller Hanno Erdwein ist es kein "Thema",
sondern das Leben selbst. Seit vielen
Jahren vollständig erblindet, lässt er uns teilhaben an seinem
verzweifelt
lebensgierigen Kampf gegen die Nacht.
Sein Alter Ego Hans Körner, gerade mal 16 Jahre alt, tritt die
Reise nach innen an.
"Träum dir die Welt", ist eines der poetischen Kapitel
überschrieben. So bereitet er sich
träumend vor auf die Zeit, in der die sichtbare Welt sich ihm
verschließen wird. Da ist
kein jammerndes Lamento zu hören. Die Eltern hatten ein Problem
mit ihrem Jungen,
doch der "schiss drauf", wollte sehen, speichern,
bunkern, tanken, was das Zeug hält:
"Und da kamen sie über den Parkweg dahingeschwebt.
Dauerwellen. Pferdeschwänze.
Entblößte schlanke Arme, die lässig vor und zurück pendelten.
Rocksäume umspielten
wohlgeformte Waden. Ein erquickender Anblick. Klar machten sie
sich über den lustig,
der glotzäugig von einer Bank aus auf ihre Formen starrte. Klar
tat das ein wenig weh.
Aber die Bilder waren im Kasten und sanken ins Archiv, um sie an
dunkleren Tagen
zur Hand zu haben." Erdwein hat sie immer noch zur Hand,
mitunter so plastisch, dass
man sich fragt, wie die Erinnerung über so lange Jahre so fisch
bleiben kann - der Autor
ist Jahrgang 45.
Das Faszinierende an seiner Prosa ist nicht nur ihr bewegender
Inhalt, sondern eben
jene Frische, die sich vielleicht deshalb erhalten konnte, weil
die sichtbare Welt sich für
den Schriftsteller schon so lange nicht mehr dazwischen drängt
mit immer neuen
Eindrücken. Die Sehenden dieser Altersgruppe mögen sich einmal von diesen
Geschichten in die Vergangenheit tragen lassen, und sie werden
bestätigen, dass ihre
eigene Erinnerung im Vergleich stumpfer geworden ist, denn da
liegt so viel Staub, von
all den Jahren aufgewirbelt.
Und so ist auch der Stil dieses Buches mitunter anrührend
unmodern: bedachtsam und
poetisch, und selbst die Ausbrüche des Jugendlichen haben sich
den Ton der
fünfziger/sechziger Jahre erhalten. Erdwein führt uns in die
Welt der Korbmacher und Bürstenbinder, ins jesuitische Internat, in die Blindenschule und
immer wieder in die
Arme von Lilli. In dieser Welt verschwand das Wichtige noch unter
einem Ladentisch,
den es heute nicht mehr gibt. Und hinterm Ladentisch, im Lager der
Kartonagenfabrik,
tobt das derbe Sexualleben der suchenden Jugend. Auch wer an den
Rand gedrängt
wird, z.B. wegen seiner Behinderung, muss Wege suchen, seiner
Triebwelt Herr zu
werden, so herum oder anders herum. Eine schwüle Zeit, die da heraufdämmert aus
den Tagen der Wirtschaftswunderpubertät. "Und immer wieder Vaters Druck, an den
Unterrichtsstunden im
Schröderheim
teilzunehmen. Blindenschrift lernen nach Feierabend! Was dachte
sich nur mein
Erzeuger?! Hatte ja keinen blassen Schimmer, wie sehr so ein Tag
schlauchte."
Eigentlich ist Körner "faul wie ein alter Apfel", aber
wenn es darum geht, Phantasien zu
entwickeln oder Lilli nachzustellen bzw. sich von ihr verfolgen zu
lassen, verausgabt
sich der junge Bursche bis zum Abwinken.
Und am Ende? Das wird nicht verraten, das kann nicht preisgegeben
werden, denn es
gibt noch mehr von Hans Körner. Der zweite und dritte Band liegt
praktisch schon vor,
ausformuliert in der reichen, farbigen und kristallklaren
Bilderwelt des Hanno Erdwein. (Simon Croll)
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Bewertung: ****
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