Jean, Sohn eines Fabrikanten und
aus bestem Haus, hat fünf Jahre wegen Totschlags im Knast
gesessen. Nachdem er, aus dem Gefängnis entlassen, völlig
abgebrannt ist, steht er ohne einen Cent auf der Straße.
In einem Bus, mit dem die Witwe
Couderc von der Kleinstadt zurück in ihr kleines Dorf fährt,
lernt sie ihn kennen und nimmt den jungen Mann als Knecht auf
ihrem Bauernhof auf.
Bald nimmt sie den siebzehn Jahre
Jüngeren auch in ihr Bett, und alle könnten einigermaßen
zufrieden leben, wenn - ja, wenn da nicht die Familie ihres
verstorbenen Mannes und ihre junge rothaarige Nichte Fèlicie
wäre, die ihr manches heimzahlen möchten....
Meine Meinung:
Wie kein Zweiter versteht es
Simenon, mit scheinbar leichter Hand, den Charakteren seiner
Romane Leben und Seele zu geben.
Die atmosphärisch dichte
Umgebung, die er oft in seinen Büchern erzeugt und in der seine
Protagonisten sich bewegen, zeichnen seinen unverwechselbaren Stil
aus.
Um z. B. Gefühle wie Sehnsucht
nach Nähe und Zugehörigkeit zu beschreiben, verfügt er über
unzählige Facetten.
Das gelingt ihm auch dann oder
gerade dann, wenn es sich wie in „ Die Witwe Couderc“ um eher
ungebildete, langweilige und eher gewöhnliche Menschen handelt.
Wie die Witwe Couderc, ein
ehemaliges Dienstmädchen, ungebildet, bodenständig, aber mit
einer gehörigen Portion Bauernschläue. Fast instinktiv findet
sie die Schwachstellen ihrer Mitmenschen und nutzt sie zu ihrem
Vorteil.
Dann wären da noch die
dünkelhaften, von Gier und Missgunst getriebenen Schwägerinnen,
sowie die blutjunge, von keinen moralischen Grundsätzen belastete
Nichte.
Sie alle gruppieren sich um den
jungen Exsträfling Jean. Sie alle setzen ihm zu.
Die Schwägerinnen verfolgen ihn
mit tiefer Abneigung.
Die eine Frau verfolgt ihn mit
fast wahnhafter, besitzergreifender Zuneigung, geht so weit, sich
vor ihm zu erniedrigen.
Die Andere probiert aus, wie weit
sie ihr Spiel der Machtausübung zu treiben vermag. Kann sie doch
einem jungen Mann, einem Exsträfling zwar, aber aus allseits
bekannter guter Familie, ihre Gunst nach Belieben gewähren oder
verweigern.
Das alles spielt sich auf einem
Bauernhof in der tiefsten französischen Provinz ab.
Fast nebenbei, während der
Arbeit mit Kükenbrutkasten, dem Schneiden von Kaninchenfutter und
der Arbeit auf dem Feld.
Nichts Spektakuläres passiert
und dennoch verfolgt der Leser mit Spannung dieses Spiel um Gier
und Macht bis zum Schluss.
Fazit: Wer seinen Nachtschlaf
liebt, sollte als Feierabendlektüre darauf verzichten, „Die
Witwe Couderc“ zu lesen - oder noch besser - die Finger ganz von
Simenons Büchern lassen. (Mariposa)