Sonderbericht - Klaus Kinski:


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Klaus Kinski- 1954
(Foto: Hanns-Joachim Starczewski / Deutsches Filmmuseum Frankfurt a.M.) Filmuseum Potsdam
Klaus Kinski: Ein deutsches Grauen?

Klaus Kinski, geboren am 18. Oktober 1926 als Nikolaus Günther Karl Naksynski in Zoppot/Danzig, gestorben am 23. November 1991 in Lagunitas/San Francisco, wäre im vergangenen Jahr 75 Jahre alt geworden; gleichzeitig jährte sich sein Todestag zum zehnten Mal.

Beide Anlässe fanden im Medium Fernsehen, das zu solchen Anlässen normalerweise mit unzähligen Filmwiederholungen aufwartet, kaum ein Echo. Offenbar mag man lieber handzahmeren Filmschaffenden huldigen. Polarisiert und erhitzt Klaus Kinski womöglich bis über den Tod hinaus die Gemüter? "Der Mann, den alle zu hassen liebten, wenn auch aus ganz unterschiedlichen Motiven, [...] war nicht durch seine Filme, sondern trotz der Filme, mittendrin und außerhalb, eine eigene Geschichte. Es ist die Geschichte einer exaltierten Passion: ein deutsches Grauen, das zu sich kommt, indem es anderes zerstörend sich selbst zerstört", heißt es in einem Nachruf (Georg Seeßlen, Klaus Kinski - Ein deutsches Grauen, Epd Film 1/1992.).

Kinskis Geschichte und seine zerrissene Persönlichkeit interessieren auch heute noch, aber man kann und muss sie unter weit mehr Aspekten sehen. Und deshalb vollzog sich die Hommage an einen der exzentrischsten und international bekanntesten deutschen Schauspieler folgerichtig auf ganz anderer Ebene, nämlich im Rahmen retrospektiver Ausstellungen und diverser Publikationen von Büchern wie CDs. Verwiesen werden soll an dieser Stelle auf eine ambitionierte Kinski-Fansite: http://www.klaus-kinski.de/, die zum Stöbern einlädt und kaum eine Frage offen lässt.

Nachfolgend eine kleine Auswahl aus den Veröffentlichungen des Kinski-Jubiläumsjahres 2001.

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Klaus Kinski, „Fieber" - Gedichtband

Ich weiß nicht, wer ich bin und wer ich war

Ein Fremder vor mir selbst und neu für mich

Und alt, wenn ich im Spiegel sehe

Ich glaubte, dass ich überall zu Hause sei

Und war schon heimatlos, bevor ich noch ganz dort war

Ich bin durchaus sehr zart und fühl‘ mich doch kräftiger als alle

So stark manchmal, so schwach so oft [...]

Herausgeber Peter Geyer stieß 1999 zufällig bei einer Nachlassauktion auf den jahrzehntelang verschollenen maschinengeschriebenen Gedichtband, von dessen Existenz kaum jemand wusste und dessen Authenzität nicht unumstritten ist. Thomas Harlan, der mit Klaus im Frühjahr 1953 in Paris ein Hotelzimmer teilte, erinnert sich, wie die Gedichte entstanden. Kinski habe wie ein Besessener geschrieben, dem Freund vorgelesen, ja gebrüllt, und alles, so mutmaßt Harlan heute, aus Liebe zu einer schwerkranken jungen Norwegerin namens Bergell, die damals für kurze Zeit Kinskis Geliebte gewesen sei. Ein unstetes, unruhiges Leben führten die beiden, „alles war wie Fieber damals". Die gebundenen Manuskripte Kinskis ließen sie zusammen mit überflüssigem Reisegepäck bei einem Freund zurück - und holten es nie ab.
So manche männlichen deutschen Schauspieler sehen sich in Kinski’scher Tradition. Besonders diejenigen, die sich gern selbst inszenieren. Wenn sie allerdings Ben Becker heißen, mit volltönender Stimme gesegnet sind und aus Kinskis lyrischen Ergüssen eine regelrechte Performance zu veranstalten wissen - dann sei ihnen verziehen. Ein Auswahl von 12 Stücken findet sich auf der CD. Becker bringt die wahnwitzigen Texte, diesen „lyrischen Auswurf voll Weltschmerz, Weltwut und wahrer Körperflüssigkeitenflut" (taz vom 19.12.2001) mal vehement, mal zurückgenommen, immer suggestiv zu Gehör. Herausragend die akustisch-musikalische Untermalung Alexander Hackes („Einstürzende Neubauten"), u.a. mit Alltagsgeräuschen, die eine atmosphärische Note hinein bringt. Selbst obszöne, Ekel erregende Passagen gewinnen eine seltsame, vorher ungeahnte Faszination, die aber nur schwer auszuhalten ist. Kinski3.jpg (9341 Byte)
Klaus Kinski, „Fieber". Tagebuch eines Aussätzigen, hg. von Peter Geyer, mit einem Vorwort von Thomas Harlan, Eichborn 2001.

Fieber. Ben Becker spricht Klaus Kinski, Musik von Alexander Hacke, BMG 2001, ca. 46 min.

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Klaus Kinski.
Deutsche Grammophon Literatur 2001
CD ca. 70 min.
"Kinski spricht ..." - Unter diesem knappen wie präzisen Titel ging der einst hochgelobte Theaterdarsteller, der sich in kein Schauspielensemble dauerhaft integrieren ließ oder lassen wollte, seit den späten 1950er Jahren als Solist auf Tournee und nahm zahlreiche Schallplatten auf, die sich ausnehmend gut verkauften. (Vielleicht weil gelegentlich hüstelnde Hörer auf dem heimischen Sofa nicht Gefahr liefen, von einem erzürnten Rezitator beschimpft zu werden?)

Herausragendes Merkmal seiner charismatischen Vortragskunst: die Lautstärke. Kinski schreit Klassisches (Schiller, Shakespeare u. a.), Exzentrisches (Villon, Rimbaud), auch mal Exotisches ("Dichtung afrikanischer Völker").

Eigenmächtige Abänderungen literarischer Texte, "an denen der Orator so lange herumfeilt, bis sie sich in Dumdum-Geschosse verwandelt haben" ("Spiegel" 9/1961), waren nicht selten. Vom Publikum wird Kinski stürmisch gefeiert, wie z.B. 1957 mit Villon-Gedichten in Wien, vom Feuilleton hingegen werden beide geschmäht: "Wer aber ist dies offenbar doch unmündige Publikum? Es sind dieselben Leute, Akademiker, Bibliothekarinnen, Angestellte, Studenten, junge Damen und alte Mädchen, die sich bei Premieren absurden Theaters als die Claqueure jeglichen Avantgardismus gebärden. [...] Die Hände gefaltet und schwach lächelnd, nimmt er die Huldigung der Hunderte entgegen, die sich um den Meister scharen wie um einen Religionsstifter. [...] Die Gefühle, die er in der ,Masse' hervorruft und ihr zugleich abnimmt, stammen aus jenen gefährlichen Bereichen des Bewußtseins, die die großen Rattenfänger des Jahrhunderts zu nutzen verstanden und verstehen werden." (FR vom 8.2.1960, zit. nach P. Reichelt, Der Deklamator, in: Ich bin so, wie ich bin, S. 96f.)

Erstmals legt die Deutsche Grammophon nun Aufnahmen aus dem Jahr 1960 auf CD vor: Auszüge aus Dostojewskijs "Schuld und Sühne" und Baudelaires "Die Blumen des Bösen", afrikanische Lyrik, Gedichte von Friedrich Nietzsche sowie "Balladen und lasterhafte Lieder" von François Villon. Was auf den ersten Blick als gewagte Mischung literarischer Texte anmutet, erweist sich als kleiner Querschnitt durch Kinskis Lesungen. Gewöhnungsbedürftig für heutige Ohren ist der antiquierte Rezitationsstil, den Kinski pflegte und der schon damals überhaupt nicht mehr der seit Beginn der 1960er Jahre auf deutschen Bühnen Einzug haltenden "neuen Sachlichkeit" entsprach. Ein häufiges Übermaß an Pathos, ,"schnarrendes R", ein oft in die Monotonie abgleitender Sprachductus machen das erstmalige Abspielen der kompletten CD nicht unbedingt zu einem akustischen Highlight und lenken von den Inhalten zunächst ab. Erst das mehrmalige Anhören und ,Sich-einlassen', vor allem auf die Villon- und Baudelaire-Stücke, offenbaren Kinski Einfühlungsvermögen bei der Interpretation.

HIER geht es zu einer Rezension im Hoerbuecher4um zu "Kinski spricht Schiller" aus der Reihe "Kinski spricht"

Kinski4.jpg (9729 Byte) Klaus Kinski, Ich brauche Liebe, Heyne Tb (ursprünglich für den amerikanischen Buchmarkt ergänzte Fassung von "Ich bin so wild nach Deinem Erdbeermund").

Kinski braucht Liebe. Wer braucht die nicht? Die Frage ist nur: Wer braucht diese Autobiographie? Niemand. Klatschspalten-Klaus erfindet sich eine proletarische Kindheit und beschreibt hingebungsvoll seine vielfältigen sexuellen Ausschweifungen. Ob das alles wirklich so und nicht anders passiert ist? Da zweifelte sogar der Verleger - jedenfalls ist es den Beteiligten nicht zu wünschen. (Gut, dass manche von ihnen schon lange tot sind.) So landet man als Serie in "Bild", aber nicht in Bücherregalen.

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Ina Brockmann u. Peters Reichelt,
Ich bin so, wie ich bin,
dtv 1. Auflage 2001.
Ina Brockmanns und Peters Reichelts in vier thematische Abschnitte gegliederte Anthologie lenkt den Blick hauptsächlich auf das künstlerische Schaffen Kinskis. Die Aufsätze verschiedener AutorInnen zeichnen ein Bild des Schauspielers, das sich von den stereotypen Klassifizierungen des "wahnsinnigen Genies" oder "Irren vom Dienst" wohltuend abhebt (skandalträchtige Enthüllungen werden sensationslüsterne LeserInnen darin vergeblich suchen) und das dennoch nicht ‚weich gespült‘ wirkt. Hinzu kommen persönliche Anmerkungen ehemaliger Kollegen, wie z. B. Helmut Qualtinger, die sich ihrer Zusammenarbeit mit Kinski erinnern.
Klaus Kinski und die Bühne: Claudia Balk skizziert Kinskis erste Schritte auf renommierten deutschsprachigen Theaterbühnen, darunter dem Wiener Burgtheater, während sich Peter Reichelt dem Wirken Kinskis als Rezitator widmet ebenso wie der Nachdruck des "Spiegel"-Titels 9/1961 ("Deklamator Kinski").

Klaus Kinski und der Film: Georg Seeßlen verfolgt Kinskis Erfolge wie Misserfolge von Wallace über den Italo-Western bis Herzog. Über das letzte ambitionierte "Paganini"-Projekt berichtet Carsten Frank.

Biographische Informationen gibt schließlich Ina Reichelt anhand einer chronologisch-tabellarischen Übersicht. Ein Werkverzeichnis rundet den Band ab.

Nicht zuletzt besticht der Begleitband zu der ebenfalls von Reichelt und Brockmann konzipierten gleichnamigen Wanderausstellung, die noch bis Herbst 2003 gezeigt wird, durch die Wahl seiner Abbildungen, darunter Filmstandfotos und Plattencover wie Privatfotos. Die kontrastreiche und spannungsgeladene Anordnung des zum Teil bisher unveröffentlichten Bildmaterials macht das Stöbern zum Vergnügen.

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Klaus Kinski
(Foto: Coverfoto des Katalogs zur Ausstellung. Der Katalog kann für 23,- € hier bestellt werden - ISBN 3-88799-063-3)
"Ich, Kinski."

Ausstellung des Deutschen Filmmuseums Frankfurt am Main, derzeit zu sehen im Filmuseum Postdam.

Die Ausstellung "Ich, Kinski" gibt einen Gesamtüberblick über Leben und Arbeiten Klaus Kinskis. Sie zeichnet seine Anfänge als Theaterschauspieler in englischer Kriegsgefangenschaft sowie seinen ersten Theaterskandal mit Cocteaus "La voix humaine" (Berlin 1949) nach und widmet sich ausgiebig seinen Rezitations-Auftritten und Schallplattenaufnahmen. Das filmisches Werk zwischen 1947 bis 1989 ist mit Fotos, Originalfilmrequisiten (wirklich zum Fürchten: das "Nosferatu"-Kostüm) und Filmausschnitten vollständig vertreten, von den frühen Filmen über die schon fast ‚legendären‘ Edgar Wallace-Verfilmungen, bei denen wir uns doch alle so schön vor Klaus gegruselt haben, hin zu den seichten bis peinlichen B-Pictures und Spaghetti-Western, um bei Werner Herzog ausgiebig Station zu machen und schließlich bei Kinskis letztem engagierten Projekt zu enden: "Kinski-Paganini".

Anmerkung: Vom 09.04.-09.06.2003 ist die Aussellung "Ich, Kinski" im Österreichischen Theatermuseum in Wien zu sehen.

Biographische Notizen ergänzen die thematischen Schwerpunkte, so dass den Schauspieler von einer persönlichen Seite kennen lernt, u.a. als Sohn gutbürgerlicher Herkunft (was er selbst immer bestritt) oder als Vater, der Steifftiere sammelte und seinem Sohn zärtliche Briefe schrieb.

Zum ausgiebigen Stöbern, Zuhören und -schauen laden die zahlreichen Zeitungsartikel, Faksimiles, Rezitationsaufnahmen sowie Film- und Interviewausschnitte ein. Man sollte sich deshalb Zeit nehmen, um diese Ausstellung zu entdecken. Und wer den Hörer des alten schwarzen Telefons abheben mag, kann vor der "Edgar-Wallace"-Wand sogar mit Klaus telefonieren.

Der Katalog zur Ausstellung ist leider nur vor Ort beziehbar, nicht im Buchhandel. An den jeweiligen Ausstellungorten wird meist ein umfassendes cineastisches Begleitprogramm angeboten.

Kleiner Tipp: Unbedingt im Gästebuch blättern - Liebeserklärungen von Fans sind manchmal skurriler als ihr Idol...

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(Verfasserin des Berichts: © Fevvers)

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