Seit wann schreiben Sie und wie kam es dazu?
Andreas Altmann: Wann angefangen? Als „Privatmensch“ vor langer Zeit
mit dem träneneichen Vollmachen eines Tagebuchs. Als Reporter, der
veröffentlicht, fing ich 1988 an.
Wie es dazu kam? Seit mir auffiel, dass ich zu einem anderen Beruf nicht tauge.
Seit wann reisen Sie und was bedeutet das Reisen für Sie?
Andreas Altmann: Vielleicht fing ich als Sechsjähriger an, später
radelte ich als Pfadfinder, noch später als Abhauer: um dem Grind des Alltags
zu entkommen. Das blieb, die grauenhafte Angst, dass ich ranzig werde.
Bricht man auf, lässt man einiges zurück.
Was vermissen Sie, wenn Sie reisen?
Andreas Altmann: Mein Pariser Café.
Den Kurzbiographien in Ihren Büchern kann man entnehmen, dass Sie schon
viele Berufe ausgeübt haben. Mal angenommen, Sie würden nicht mehr reisen und
schreiben wollen - was wir nicht hoffen -, welcher Beruf könnte Sie heute
interessieren?
Andreas Altmann: Amerikanischer Außenminister, dann könnte ich mich
täglich amüsieren über den Stuss, den die Presse über politische
Entscheidungen verbreitet.
Sie arbeiten als Autor, aber auch als Journalist. Für Ihre Bücher und
Artikel gehen Sie oft an Grenzen, die für die meisten Menschen tabu sind. Um
nur eines von vielen Beispielen zu nennen: Sie haben eine Zeit in einem
Aidskloster in Prabat Nampu verbracht, Menschen beim Sterben die Hand gehalten,
nicht weggeschaut. Was ist die treibende Kraft, die Sie an diese Grenzen gehen
lässt?
Andreas Altmann: Klarstellung: Ich bin kein Journalist, ich bin Reporter,
noch besser, „writer“: Schreiber. Journalisten sagen nie „ich“, sind
immer objektiv und schaudern vor Gefühlen. Ich schreibe ich, halte
Objektivität für grausam öde und ertrage Gefühle, wenn Hirnmasse auch
auftritt. Warum ich das tue? Die immer gleiche Angst: um nicht vom ganz normalen
Leben anästhesiert werden. Das Normale bringt mich um.
Was war für Sie die bisher größte Herausforderung?
Andreas Altmann: Mein Abitur, ich glaube noch heute nicht, dass ich es
geschafft habe. Aber in meinem Ordner steht da „Reifezeugnis“. Immer wieder
muss ich lachen, wenn ich es sehe.
Ihr neustes Buch erforderte sicher viel Mut und Durchhaltevermögen. Zu Fuß,
ohne Geld, ohne Bett und Dusche - es sei denn, jemand hatte ein Einsehen mit
Ihnen. Waren Sie während dieser Reise einmal nahe dran, alles hinzuwerfen und
das Projekt abzubrechen?
Andreas Altmann: Nein, ich werfe nichts hin, ich traue mich ohne Story
nie zurück. Zudem hatte ich schon die Hälfte des Vorschusses kassiert,
drittens: das Gelächter über mich, den Aufgeber, ich hätte es nicht ertragen.
In Ihrem Vorwort erwähnen Sie, dass Sie mit dieser Reise u. a. auch das
Anliegen hatten, Ihr Weltwissen zu erweitern. Ist das eingetreten? Wenn ja,
inwiefern? Was haben Sie Neues gelernt?
Andreas Altmann: Sie stellen die letzten Fragen der Menschheit, Zuwachs
an Weltwissen lässt sich nicht messen, auf geheimnisvolle Weise ist jeder nach
einer solchen Erfahrung ein paar Millimeter weniger ignorant.
In Ihren Büchern steht das Interesse am Menschen immer ganz oben. Dabei ist
es egal, aus welcher gesellschaftlichen Schicht sie kommen. Das dürfte nicht
vielen Menschen egal sein, oder?
Andreas Altmann: Jeder Mensch ist mein Niveau, jeder irgendwo ein Spiegel
meiner selbst. In dem Augenblick, in dem wir uns begegnen, soll Energie
entstehen, Austausch, gegenseitige Bereicherung. Immer will ich ein kleines
Wunder erleben, einer erzählt, einer hört zu.
Zu Ihren denkwürdigen und amüsanten Reisevorbereitungen gehörte neben dem
Nassrasieren lernen auch die Lektüre früherer Wanderer. Gibt es unter diesen
jemanden, der Ihnen besonders imponiert hat und falls ja, wer und aus welchem
Grund?
Andreas Altmann: Jeder für sich ist der Bewunderung wert, was die Kunst
der deutschen Sprache betrifft: da steht Wolfgang Büscher wohl an erster
Stelle. Michael Holzach verfügte sicher über mehr menschliche Wärme als die
anderen.
Auf dieser Reise sind Sie sowohl durch einen Teil von West- als auch einen
Teil von Ostdeutschland gekommen. Für Sie wirkten Ost- und Westdeutschland wie
zwei verschiedene Länder, trotz der Wiedervereinigung. Worin liegt dieser
Unterschied Ihrer Meinung nach?
Andreas Altmann: Ach, das ist ein weites Feld, um es kurz zu machen: Die
Ossis waren die Verschwenderischsten, die Großzügigsten. Sie rannten als erste
nach einer Wurst für den Wandersmann. Dass sie nebenbei innig gejammert haben -
über das schwere Los, Ossi zu sein - auch klar.
Sie haben für Ihr neues Buch Tagebuch geführt. Den niedergeschriebenen
Gedanken (übrigens hochinteressantes Gedankengut!), die Ihnen während Ihrer
Wanderung durch den Kopf gingen, lassen dies auch erkennen, da sie beinahe
minutiös wirken. Bei Ihren anderen Büchern scheinen die Passagen hingegen
länger. Weniger einzelne Gedanken, als vielmehr zusammengefasste Eindrücke im
Rückblick. Haben Sie in Ihrem neuen Buch eine andere Vorgehensweise gewählt
als sonst und wenn das so ist, aus welchem Grund?
Andreas Altmann: Nach der Rückkehr habe ich über die Form nachgedacht,
irgendwie erschien mir (und den Verlegern) die Form eines Tagebuchs angebracht.
Positiver Nebeneffekt. Einen tiefsinnigeren Grund weiß ich nicht.
Baden durften Sie bereits bei Ihrer Ankunft in Berlin. Aber was haben Sie
nach dieser strapaziösen Reise als erstes gemacht, als Sie wieder nach Hause in
Ihre Pariser Wohnung kamen?
Andreas Altmann: Meine noch immer jaulenden Füße in mein Pariser Café
getragen.
Haben Sie schon neue Pläne was das Reisen und Schreiben betrifft?
Andreas Altmann: Es rumort. Darüber soll ein Schreiber - Meister Goethe
hat uns das nahegelegt - den Mund halten.
Eine letzte Frage: Wie ist die Farbe Ihrer Lieblingsblume?
Andreas Altmann: Weiß, Gänseblümchen.
Und was war auf dieser Reise Ihr innigster, mutigster, glücklichster Moment?
Andreas Altmann: Nehmen wir doch die letzten Zeilen des Buches: „...
nach 34 Tagen und 33 Nächten, nach einer Tonne kleinlauter Gedanken und einer
anderen voller Enthusiasmus und Überschwang bin ich am Ziel. Ich versinke.
Durch die Badezimmertür höre ich jemanden den wunderschönen Satz rufen: „Altmann,
deine Sachen stinken bestialisch, wohin damit?“
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